Brexit:"Die Briten leben in einer anderen Galaxie"

UK Prime Minister Meets With The European Council President Donald Tusk

Anfang April besuchte EU-Ratspräsident Tusk die britische Regierungschefin May in London, nun treffen sich die EU-Staaten ohne sie

(Foto: Getty Images)
  • Die EU-Staaten gehen mit maximaler Geschlossenheit in den Brexit-Sondergipfel. Doch wie lange die hält, ist ungewiss.
  • Vor den Verhandlungen über ein Handelsabkommen sollen drei strittige Punkte geklärt werden: die Rechte von EU-Expats, die Kosten des Austritts und die Grenze zu Nordirland.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Auch wenn der Ton in London nicht mehr ganz so triumphierend sein mag, sind sie in Brüssel noch immer fassungslos. Die EU-Diplomaten und Beamten sind es gewohnt, dass die Briten stets mit am besten vorbereitet sind, wenn es ans Verhandeln geht. Doch so ist es diesmal wohl nicht. "Die Briten leben in einer anderen Galaxie", sagt ein EU-Diplomat. Solange sie daran glaubten, dass der Brexit ein Erfolg werde, solange sie sich nicht eingestehen, dass der EU-Austritt ein lose-lose-Prozess für beide Seiten sei, werde es sehr schwierig. Die bisherigen Gespräche mit London seien jedenfalls Zeitverschwendung gewesen, klagt der Diplomat. Und kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: "Großbritannien brauchte neun Monate, um den Austritt zu erklären. Die EU schaffte es in nur einem Monat, sich auf eine Haltung zu einigen."

In der Tat: So viel Geschlossenheit war selten. Wenn die 27 Staats- und Regierungschefs an diesem Samstag erstmals zu einem formellen EU-Gipfel ohne Großbritannien zusammenkommen, wollen sie als Einheit auftreten. Die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen sind so gut wie fertig; deren Beschluss ist Formsache. Auch die Botschaft in Richtung London ist eindeutig: Die EU will mit äußerster Härte in die Austrittsverhandlungen gehen. Es gibt viele Forderungen, die in Großbritannien als Zumutung empfunden werden und den dortigen Plänen zuwiderlaufen.

Das beginnt schon beim Kernelement der Verhandlungsstrategie. Die EU will erst die Bedingungen des Austritts klären, bevor es um die künftige Beziehung geht. In London will man wiederum so rasch wie möglich über ein Handelsabkommen reden - am liebsten sofort. "Das wird nicht passieren", sagt ein hochrangiger EU-Beamter. Sogar der Chefunterhändler der Europäischen Union, Michel Barnier, musste feststellen, dass die Mitgliedstaaten in dieser Frage äußerst strikt sind. Barnier soll nichts gegen die ein oder andere Überlappung haben, aber das ist mit den EU-Staaten bislang nicht zu machen.

Ihnen geht es um drei Punkte, die noch in diesem Jahr geklärt werden sollen: die Rechte von in Großbritannien lebenden EU-Bürgern, die Brexit-Rechnung, und dann wollen sie noch alles dafür tun, eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland zu verhindern. Die EU wird bei ihrem Gipfel deshalb an das Karfreitagsabkommen von 1998 erinnern. Sollten sich Irland und Nordirland für die darin festgeschriebene Option der Vereinigung entscheiden, würde dieser Staat Teil der EU.

Drei Kernpunkte zu den Brexit-Verhandlungen

Und damit nicht genug. Geht es nach der Europäischen Union, sollen alle in Großbritannien lebenden EU-Bürger, die bis zum Brexit-Datum von der EU-Freizügigkeit profitiert haben, diese "lebenslang" erhalten. Das soll auch für ihre Familienangehörigen gelten, die bis zum Austrittsdatum nachziehen. Die Briten warnen deshalb bereits vor einer Einwanderungswelle. In der Kampagne vor dem Brexit-Referendum hatte das Thema Immigration eine zentrale Rolle gespielt.

Auch beim Geld zeigt sich die EU unerbittlich. Alle Kosten, die der Brexit mit sich bringt, sollen von London übernommen werden. "Wenn der Brexit uns einen Cent mehr kostet, gibt es keinen Deal", soll ein niederländischer EU-Vertreter gesagt haben. Das Problem ist nur: Alle EU-Staaten haben den sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen bis 2020 beschlossen. Viele Milliarden sind längst verplant. Doch wer springt für den Nettozahler Großbritannien ein, wenn das Land vom 30. März 2019 an ein Drittstaat sein wird?

Erst wenn es in diesen Fragen "ausreichenden Fortschritt" gibt, soll über ein Handelsabkommen gesprochen werden. Doch wie dieser "Fortschritt" definiert wird, darüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen in den EU-Staaten. Wie lange die Einigkeit der 27 hält, ist also offen. Ende Mai soll die EU-Kommission das offizielle Verhandlungsmandat bekommen. Die Briten wählen dann am 8. Juni ein neues Parlament. Bis die Brexit-Verhandlungen wirklich beginnen, dauert es noch ein wenig.

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