Brexit:EU gerät plötzlich unter Druck

Brexit: Eine überwältigende Mehrheit in London stimmte für die Herauslösung der Bürgerrechte aus dem Austritssabkommen.

Eine überwältigende Mehrheit in London stimmte für die Herauslösung der Bürgerrechte aus dem Austritssabkommen.

(Foto: AP)
  • Premierministerin Theresa May muss nach einem Parlamentsbeschluss mit der EU darüber sprechen, die künftigen Bürgerrechte für Briten in der EU und EU-Bürger in Großbritannien auch im Falle eines No-Deal-Brexit zu sichern.
  • Die EU-Kommission lehnt das ab, doch die Staats- und Regierungschefs könnten ihr einen entsprechenden Auftrag erteilen.
  • Fast fünf Millionen Betroffene befürchten Nachteile in Gesundheitsversorgung, Rente, bei der Arbeitssuche und anderen Themen.

Von Thomas Hummel

Vermutlich zum ersten Mal in diesem langen, zähen Brexit-Prozess war sich das britische Parlament quasi einig: Der Antrag des konservativen Abgeordneten Alberto Costa, die Bürgerrechte für die in EU-Ländern lebenden Briten und in Großbritannien lebenden EU-Bürger sollen gesichert werden, egal, was beim Brexit sonst vereinbart wird. Obwohl tags zuvor Premierministerin Theresa May noch Einwände vorgebracht hatte, war die Unterstützung dafür am Mittwochabend in London so eindeutig, dass im Unterhaus nicht einmal eine Abstimmung nötig war. Von führenden Brexit-Hardlinern bis zu Befürwortern eines Verbleibs in der EU stimmten fast alle dafür. Geht nun endlich was voran im Scheidungsprozess zwischen Großbritannien und der EU?

Am heutigen Donnerstag kam die Antwort aus Brüssel: Die EU-Kommission lehnt einen eigenen Vertrag mit London über den künftigen Status der fast fünf Millionen betroffenen Menschen ab. "Wir werden keine Mini-Deals verhandeln", sagte eine Kommissionssprecherin. Denn das würde den Eindruck erwecken, dass die Verhandlungen über das gesamte Brexit-Paket gescheitert seien.

Damit bleibt die EU zunächst bei der internen Vorgabe: Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist. Das gründet aus der Angst, Großbritannien könne bei Einzelverhandlungen Rosinenpickerei betreiben wollen, also sich Vorteile sichern und Zugeständnisse ablehnen. Mit dem Votum in London gerät die Union allerdings unerwartet stark unter Druck, sich in diesem Punkt zu bewegen.

Das derzeitig angestrebte Austrittsdatum am 29. März rückt immer näher und der Austrittsvertrag ist noch immer nicht unterzeichnet. Es droht ein Herausfallen Großbritanniens ohne Vertrag, das sogenannte No-Deal-Szenario. Dann wären die Rechte der Bürger teils sehr unsicher und nach derzeitigem Stand abhängig vom guten Willen der einzelnen Staaten. Deutschland etwa bietet in dem Fall den hier lebenden Briten eine Übergangszeit von mageren drei Monaten an, um sich für einen neuen Aufenthaltstitel zu bewerben.

Bundesregierung hält sich zurück

Es geht um Gesundheitskosten, Rente, Staatsbürgerschaft, Familienzusammenführung, Aufenthaltsgenehmigungen bis zu Arbeitserlaubnissen und die Anerkennung von Ausbildungen. Jobsuchende tun sich schon jetzt schwer, eine Arbeit zu finden, weil Arbeitgeber nicht sicher sein können, welchen Status ihr neuer Mitarbeiter im April haben wird. Bewohner von Pflegeheimen oder Menschen, die auf Medizin angewiesen sind, wissen oft nicht, ob die Krankenkassen dann noch zahlen werden.

Deshalb fordern die Bürgerbewegungen the3million und British in Europe, die die Interessen der Betroffenen vertreten, seit Monaten ein Auskoppeln - auf Englisch: ring-fencing - der entsprechenden Paragrafen aus dem Austrittsabkommen. Darin ist eine jahrelange Übergangsphase vereinbart, in der sich für die fast fünf Millionen fast nichts ändern würde. Die allermeisten von ihnen könnten spätestens dann die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen und ihr Leben wie bisher fortsetzen.

Die Ablehnung der EU-Kommission, jetzt darüber zu sprechen, kommt indes nicht überraschend. Sie führt lediglich den Auftrag der Staats- und Regierungschefs aus, der kein Heraustrennen einzelner Abschnitte vorsieht. Das britische Parlament hat aber nun Premierministerin May den Auftrag erteilt, im Europäischen Rat die Regierungen der EU-Länder aufzufordern, die Bürgerrechte herauszuschneiden und gesondert zu verabschieden. Die Zeit dafür könnte knapp werden: Sollte Großbritannien tatsächlich am 14. März beschließen, ohne Vereinbarung die EU zu verlassen - was nach den neuen Entwicklungen in London allerdings sehr unwahrscheinlich ist - bleiben dafür nur zwei Wochen. Nach dem Austritt wären eine solche Vereinbarung unter Artikel 50 im EU-Vertrag nicht mehr möglich.

Erste Reaktionen etwa aus den Niederlanden sind positiv. Die Bundesregierung hält sich hingegen mit öffentlichen Äußerungen zurück. Maike Bohn von der Bürgerbewegung the3million erklärt: "Wir können nicht sagen, wie hoch die Chancen sind. Denn die Frage ist, wie wichtig den Staatsoberhäuptern ihre eigenen Bürger sind." Bohn kommt aus Lübeck, zog vor 25 Jahren nach Großbritannien und ist Mitgründerin von the3million. Für sie gehe es keineswegs um Rosinenpickerei für eine der Seiten, sondern darum, "mit einer vernünftigen Lösung für den Notfall fünf Millionen Menschen einen No-Deal-Horror zu ersparen". Darin ist sie sich immerhin mit der EU-Kommission einig, deren Sprecherin sagte: Es gehe um Millionen Menschen auf beiden Seiten des Ärmelkanals und "sie sollten nicht den Preis für den Brexit zahlen".

Alberto Costa, Sohn italienischer Einwanderer, avancierte am Mittwochabend zum Star der Bürgerbewegungen. Nicht nur, dass er ihre Belange vorbrachte im britischen Parlament, der 47-Jährige verlor deshalb auch noch seinen Job in der Regierung. Er war eine Art Staatssekretär des Schottlandministers und es ist unerwünscht, das jemand in einer solchen Position Anträge ins Parlament einbringt, die der eigenen Regierung ein Handeln aufzwingt. In einem Gastbeitrag in der Zeitung Times schrieb Costa: "Dass mein Antrag notwendig war, ist an sich schon traurig." Er sei immer dagegen gewesen, die Bürgerrechte zu einer Verhandlungsmasse im Brexit zu machen. "Hier geht es nicht um Waren oder Dienstleistungen, Auffanglösungen für Nordirland oder Grenzen, sondern um Menschen."

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