Brexit:Briten sind nicht willkommen

Brexit: Sicher im Nordmeer: Norwegische Fischer sind vor der EU-Konkurrenz geschützt.

Sicher im Nordmeer: Norwegische Fischer sind vor der EU-Konkurrenz geschützt.

(Foto: Cornelius Poppe/AP)
  • Nach dem Brexit könnten sich die Briten um einen Beitritt zur Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) bemühen.
  • Norwegen könnte den Briten den Zugang verweigern, die Regierung steht einem Beitritt der Briten skeptisch gegenüber.
  • Efta-Mitglieder haben fast den gleichen Zugang zum Binnenmarkt wie EU-Staaten, müssen allerdings Brüsseler Entscheidungen umsetzen, ohne mitzuentscheiden.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Immer wieder hat Erna Solberg vor einem Brexit gewarnt. Ausgerechnet die Ministerpräsidentin von Norwegen, das selbst zweimal gegen einen Beitritt gestimmt hat, riet den Briten wiederholt: Macht es nicht wie wir.

Ganz uneigennützig war das nicht. Die britischen Austritt-Fans sollten nicht glauben, die EU so einfach gegen einen anderen Klub austauschen zu können. Gegen jenen Klub von Staaten nämlich, die nicht zur EU gehören, aber fast denselben Zugang zum Binnenmarkt haben. Außer Norwegen sind das Island und Liechtenstein. Großbritannien passe da nicht rein, so lautete Solbergs Botschaft. Nun, da der Brexit beschlossen ist, könnte Norwegen den Briten theoretisch den Zugang verweigern. Falls sie ihn überhaupt wollen.

"Diejenigen, die sagen, es gibt eine gute, romantische Geschichte außerhalb der Europäischen Union, unterschätzen die Herausforderung, die der ganze Prozess der Spaltung haben wird", sagte die Ministerpräsidentin noch am Tag vor der Abstimmung zu CNN. Norwegens Position außerhalb der EU sei nichts für die Briten: "Ich denke, es wäre für britische Wähler schwieriger zu akzeptieren, dass Brüssel entscheidet und sie nicht mitreden dürfen."

Das Vereinigte Königreich ist 1973 von der Efta in die EG übergewechselt

Norwegen ist Mitglied in der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta), ebenso wie Island, Liechtenstein und die Schweiz. Aus der 1960 gegründeten Organisation waren im Lauf der Zeit sechs Mitglieder zur Europäischen Gemeinschaft gewechselt, Großbritannien 1973. Die verbliebenen Efta-Staaten wurden in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) integriert, mit Ausnahme der Schweiz, die ihr Verhältnis zur EU in bilateralen Verträgen regelt. Norwegen zahlt Beiträge an die Union und setzt die meisten Brüsseler Entscheidungen in nationales Recht um: Auf norwegischen Zigarettenpackungen stehen die von Brüssel vorgegeben Warnungen, und das Land steht EU-Bürgern genauso offen wie jeder Mitgliedstaat. Nur mitentscheiden darf Norwegen nicht.

Der Gedanke, Großbritannien könnte in die Efta zurückkehren, stößt in Oslo auf gemischte Gefühle. "Es ist nicht sicher, dass es gut wäre, ein großes Land in eine solche Organisation zu lassen", sagte EU-Ministerin Elisabeth Vik Aspaker der norwegischen Tageszeitung Aftenposten. "Es würde die Balance verschieben, was nicht unbedingt in Norwegens Interesse ist." Über neue Mitglieder entscheidet die Efta einstimmig. Norwegen wäre es theoretisch möglich, einen Beitritt zu blockieren.

Um die norwegischen Sorgen zu verstehen, muss man wissen, wie das Efta-EWR-Modell funktioniert. Ulf Sverdrup, Direktor des Norwegischen Instituts für Internationale Beziehungen, vergleicht den Mechanismus mit einem Update fürs iPad: "Wenn neue Software verfügbar ist, klicken wir auf 'Akzeptieren', ohne die Möglichkeit, das Update anzupassen, und oft ohne die Bedingungen durchzulesen."

Gegen den Efta-Beitritt der Briten spricht die Freizügigkeit der Arbeitskräfte

Norwegen, Island und Liechtenstein müssen jeder EWR-Neuerung gemeinsam zustimmen, was sie bisher stets getan haben. Eine Sorge sei, dass es mit Großbritannien schwieriger würde, sich in der Efta zu einigen. Es könnte Updates aus Brüssel blockieren, die Grundlage für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum sind. "Großbritannien wäre dann grundsätzlich in der Lage, Regulierungen zu stoppen, die Norwegen gerne übernommen hätte", so Sverdrup.

Das alles ist Theorie. Niemand weiß bisher, wie die Beziehungen Großbritanniens zur EU nach dem Austritt aussehen werden. "Wir sollten nicht damit anfangen, Optionen auszuschließen, Norwegen jedenfalls sollte das nicht tun", sagt Sverdrup.

Gegen den britischen Verbleib im Binnenmarkt spricht die Freizügigkeit der Arbeitskräfte. Den Bürgern der EWR-Länder steht es frei, überall innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums zu leben und zu arbeiten. Für Norwegen mit seinen 5,2 Millionen Einwohnern sind die Zuwanderer wichtig. Für viele Briten waren sie wohl ein Grund, für den Austritt zu stimmen.

Viele EU-Skeptiker würden Großbritannien in der Efta begrüßen

In Oslo streitet man trotzdem bereits über die möglichen Folgen, sollten die Briten im EWR bleiben und dafür die Efta nutzen wollen. "Großbritannien in der Efta würde Norwegen weiter wegrücken von der EU", befürchtet Jan Erik Grindheim, Leiter der pro-EU-Gruppe "Europabevegelsen i Norge", die eine Minderheit der Norweger repräsentiert: Nach einer Umfrage vom Juni sind 71 Prozent gegen einen Beitritt. Viele EU-Skeptiker würden Großbritannien in der Efta begrüßen, wenn sich dadurch die Bande Norwegens zur EU lockern würden.

Audun Lysbakken, Chef der Sozialistischen Linkspartei, erwartet, dass Großbritannien "wegen seiner Größe und seines Platzes in Europa" bei den Verhandlungen mit der EU einen größeren Handlungsspielraum erhalten wird als Norwegen. Sein Land müsse die Gelegenheit nutzen und versuchen, selbst ein besseres Angebot zu bekommen, schrieb er im Dagbladet. Den gesamten Frühling über habe die Regierung darauf bestanden, dass der EWR kein gutes Modell sei und nichts, was sie den Briten empfehlen könne, schreibt er weiter. "Jetzt wollen sie es plötzlich so lassen, wie es ist." Das Abkommen habe ein erhebliches Demokratiedefizit geschaffen, weil es Gesetze ins Land bringe, die Norwegen kaum beeinflussen könne.

Efta-Abkommen ist auf Bedürfnisse der Mitgliedsländer abgestimmt

Genau das kritisiert zwar auch die Regierung in Oslo. Für sie ist das EWR-Abkommen dennoch die zweitbeste Lösung nach einem Beitritt. "Wir sollten nicht eine Vereinbarung aufs Spiel setzen, die Norwegen 20 sehr gute Jahre beschert hat", sagt auch Jonas Gahr Støre, Chef der Sozialdemokraten und Oppositionsführer. Auch er ist skeptisch, Großbritannien an einem Abkommen zu beteiligen, das von norwegischen und isländischen Bedürfnissen bestimmt worden sei.

Ein Beispiel: Landwirtschaft und Fisch sind aus dem EWR-Abkommen ausgeklammert. Norwegisches Gemüse ist teuer, daher schützt es der Staat durch Zölle und Subventionen vor Konkurrenz. Jonas Gahr Støre befürchtet, dass Großbritannien dagegen den EU-Markt für seine landwirtschaftlichen Produkte offenhalten will.

Eine Arbeitsgruppe der Regierung untersucht nun die Brexit-Folgen für Norwegen. Falls er dazu führe, dass die EU Nicht-Mitglieder stärker in Entscheidungen einbinde, sagt Sverdrup, wäre das jedenfalls eine Verbesserung. Auch für Norwegen.

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