Brexit-Verhandlungen:Der beinharte Boris

Brexit-Verhandlungen: Boris Johnson während eines Videocalls mit EU-Ratspräsident Charles Michel

Boris Johnson während eines Videocalls mit EU-Ratspräsident Charles Michel

(Foto: AFP)

Koste es, was es wolle: Der britische Premier wird sein Land zum Jahresende vollständig aus der EU herauslösen - auch ohne Freihandelsvertrag. Johnson hat drei Gründe, sein Ultimatum an die EU einzuhalten.

Kommentar von Alexander Mühlauer, London

Boris Johnson stellt die EU vor die Wahl: Entweder gibt es im Herbst einen Freihandelsvertrag, oder es kommt am Jahresende zum No Deal. Diese Art der Drohung ist nicht neu. Wie schon bei den Verhandlungen über das Austrittsabkommen versucht Johnson, Brüssel mit einer Deadline unter Druck zu setzen. Seit der Premier in Downing Street regiert, ziehen sich Ultimaten wie ein roter Faden durch die Brexit-Gespräche. Doch diesmal sollte die EU gewarnt sein: Johnson dürfte es wirklich ernst meinen. Er wird die Deadline mit ziemlicher Sicherheit einhalten und sein Land zum Jahreswechsel endgültig von Brüssel loslösen. Dafür gibt es mindestens drei Gründe.

Erstens: Innenpolitisch steht Johnson dermaßen unter Druck, dass ihm der Brexit-Streit als Ablenkung von der Corona-Krise ganz gelegen kommt. Während der Premier bei der Bekämpfung der Pandemie orientierungslos wirkt, kann er sich in den Verhandlungen mit Brüssel als selbstbewusster Regierungschef inszenieren. Seine Konservative Partei dürstet förmlich danach, dass der beinharte Boris wieder zurückkehrt, der sein Land mit wortgewaltiger Entschlossenheit führt. Johnson ist wegen seiner Fehler in der Corona-Krise so angeschlagen, dass sogar Nigel Farage wieder aufgetaucht ist. Der Erz-Brexiteer will eine neue Partei gründen und gegen Johnson in Stellung bringen. Farage geht der Ausstieg aus dem Corona-Lockdown zu langsam, der aus der EU sowieso. Für Johnson bedeutet das: Er muss gegenüber Brüssel knallhart auftreten, um die Brexit-Fans - auch unter den Tories - bei Laune zu halten.

Der zweite Grund für Johnsons rigorosen Brexit-Kurs ist das Geld. Großbritannien ist noch immer einer der größten Nettozahler der EU. Damit soll vom 1. Januar an Schluss sein. Das Vereinigte Königreich will nicht länger Milliarden in den EU-Haushalt einzahlen, der künftig noch größer werden soll. Weitere Jahre zäher Brexit-Verhandlungen würden die Briten nicht nur finanziell teuer zu stehen kommen. Sie wären auch noch weiter an EU-Vorschriften gebunden, die in London als Wachstumsbremse empfunden werden: etwa die Datenschutzgrundverordnung, die Investoren abschreckt, oder die strengen Wettbewerbsregeln, die manch staatliche Subvention verbieten.

Tiefste Rezession seit mehr als 300 Jahren erwartet

Und dann gibt es noch einen dritten Grund, die Verhandlungen mit Brüssel in diesem Jahr abzuschließen - oder vor die Wand fahren zu lassen. Johnson kann den wirtschaftlichen Schaden des Brexit mit dem sehr viel größeren Schaden der Corona-Krise kaschieren. Die Bank of England rechnet allein wegen der Pandemie mit der tiefsten Rezession seit mehr als 300 Jahren. Niemand könnte genau sagen, welchen Anteil ein harter EU-Austritt am Wirtschaftsabsturz hat, der Großbritannien ohnehin bevorsteht.

Wie es aussieht, wird Johnson seinem Land einen doppelten Schock aufbürden: Brexit und Corona. Er nimmt dafür sogar einen drohenden Zerfall des Vereinigten Königreichs in Kauf. Die Regionalregierungen von Schottland, Wales und Nordirland halten nicht nur große Teile von Johnsons Corona-Politik für falsch, sie haben sich auch für längere Brexit-Verhandlungen ausgesprochen. Was bleibt, ist also nur die Hoffnung, dass der Premier sich noch an ein Bonmot aus den Gesprächen über den Austrittsvertrag erinnert. Damals bezeichnete Johnson ein mögliches Scheitern als ein "Versagen von Staatskunst". Damit hatte er recht.

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