Brexit:Boris gegen Dave

Für den britischen Premier ist die Aussage des Londoner Bürgermeisters, für einen EU-Austritt werben zu wollen, ein herber Schlag. Beide treibt das gleiche Motiv an: persönlicher Ehrgeiz.

Von Christian Zaschke

Stünde nicht so viel auf dem Spiel, könnte man die Saga um den möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU als angenehm irre politische Farce betrachten. Dass der Londoner Bürgermeister Boris Johnson beschlossen hat, sich gegen Premierminister David Cameron zu stellen und für den Austritt zu werben, ist dabei die bisher bizarrste Volte. Wie Cameron wird Johnson in der Frage vor allem von persönlichen Ambitionen angetrieben. Der Bürgermeister erweist sich jedoch als der noch größere Zyniker.

Es ist ein schwerer Schlag für Cameron, dass Johnson sich auf die Seite der EU-Gegner geschlagen hat. Bisher standen an der Spitze derer, welche die Europäische Union wirklich verlassen wollen, ein paar Dutzend hartleibige konservative Hinterbänkler und Politiker vom Schlage Nigel Farages, dem Chef der UK Independence Party, der gern mit einem Bier und breitem Grinsen posiert. Cameron glaubte, darauf bauen zu können, dass es denen an Seriosität fehlen wird, und dass die Mehrheit der Briten für Populismus ohnehin nicht sonderlich empfänglich ist. Nun sieht die Sache anders aus.

Cameron und Johnson treibt eins an: persönlicher Ehrgeiz

Dass auch einige Mitglieder des Kabinetts für den Austritt werben, hatte Cameron erwartet, damit kann er leben. Dass Justizminister Michael Gove zu dieser Gruppe gehört, einer seiner engsten Vertrauten, wurde an seinem Amtssitz in 10 Downing Street mit Verärgerung registriert, aber nicht als entscheidend bewertet. Johnsons Erklärung hingegen ist ein Schock. Der Londoner Bürgermeister ist einer der populärsten Konservativen. Viele Parteianhänger haben darauf gewartet, wie Johnson sich entscheidet, bevor sie selbst Position beziehen. Zu erwarten ist, dass die Zahl der EU-Gegner unter den Tories nun gewaltig wachsen wird.

Im Unterhaus ist diese Bewegung bereits zu beobachten. Ursprünglich war Camerons Lager davon ausgegangen, dass höchstens 80 konservative Abgeordnete für den Austritt werben. Mittlerweile gehen Beobachter von 150 EU-Gegnern auf den Bänken der Regierungspartei aus - die Hälfte der konservativen Parlamentarier steht gegen den Premier. Das bedeutet nicht, dass das Referendum verloren ist. Die anderen Parteien sind wie der Premier mehrheitlich für den Verbleib, und es ist immer noch eher wahrscheinlich, dass diese Gruppe schließlich die Mehrheit stellt. Doch für die Konservative Partei birgt die jüngste Entwicklung die Gefahr der Implosion.

Das Außergewöhnliche ist, dass eine der bedeutendsten Fragen der jüngeren britischen Geschichte nun im Wesentlichen in den Händen zweier Männer liegt, die die gleiche Privatschule (Eton) besucht haben, an der gleichen Universität (Oxford) studierten, dort Mitglied im gleichen Trinkklub (Bullingdon Club) waren und seit Langem Rivalen sind. Einerseits ist die Geschichte von Boris und Dave eine, die dringend verfilmt gehört. Andererseits ist sie so voller Klischees, dass sie vollkommen überkonstruiert wirkt.

Cameron ist mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein ausgestattet. Der ebenfalls nicht eben schüchterne Johnson sagte schon auf der Schule, er würde gern "Weltkönig" werden. Als die beiden vor den Olympischen Spielen in London zu Werbezwecken mit zwei Rollstuhlfahrern Tennis spielten, geriet das Match schnell außer Kontrolle, weil sowohl Johnson als auch Cameron allen Ernstes gewinnen wollten. In Westminster wird die schöne Geschichte erzählt, wie Johnson dem Premier in der Downing Street einmal ein Blatt Papier entreißen wollte, auf dem das maximale Budget für sein Bürgermeisterbüro stand. Bald sollen beide Männer rangelnd auf dem Boden gelegen haben, und angeblich erzählen beide in ihrer Version der Geschichte, sie hätten am Ende das Papier in den Händen gehalten.

Nun rangeln sie wieder, doch der Einsatz ist bedeutend höher. Johnsons Schritt entspringt dem Kalkül, dass Cameron das Referendum verlieren könnte und dann wohl an der Parteispitze untragbar wäre. Mit Cameron wären auch einige hochrangige Minister beschädigt - das Feld wäre frei für Johnson. Er könnte womöglich noch in diesem Jahr zwar nicht Weltkönig werden, aber immerhin britischer Premierminister.

Johnson riskiert die Einheit der Tories, die Zukunft Großbritanniens in der EU und damit möglicherweise auch die Zukunft der Union selbst, um seinen persönlichen Ehrgeiz zu stillen. Cameron wiederum wollte nie aus der EU austreten, er hat das Thema nur auf die Agenda gesetzt, um die Partei zu befrieden und seine Macht zu sichern. Das war bemerkenswert kaltblütig. Dass er so erst den Angriff jenes einen Mannes ermöglichte, der ihm in politischer Kaltblütigkeit in nichts nachsteht, ist eine Pointe, die dem Premierminister nicht entgangen sein dürfte.

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