Süddeutsche Zeitung

Freihandelsabkommen:Die nächste Klippe für den Brexit

  • Nimmt das britische Unterhaus das Brexit-Abkommen an, verlässt das Land die EU am 31. Januar. Danach beginnt eine elfmonatige Übergangsphase.
  • Während dieser Zeit wollen sich Premier Boris Johnson und die EU auf einen Freihandelsvertrag einigen.
  • EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nennt den Zeitplan "sehr herausfordernd".
  • Die Briten dürften bis Ende Juni zwar eine Verlängerung der Übergangsphase um bis zu zwei Jahre beantragen, Boris Johnson aber schließt das aus.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Die Präsidentin der EU-Kommission findet freundliche Worte für jenes Land, das bald wohl nicht mehr zur EU gehört: Der Brexit sei "nicht das Ende von etwas", sagte Ursula von der Leyen am Freitag im Pressesaal des Ratsgebäudes, "sondern der Anfang von exzellenten Beziehungen". Die EU-Staats- und Regierungschefs diskutierten am zweiten Tag ihres Gipfels in Brüssel auch über das Wahlergebnis und die nächste Phase der Brexit-Verhandlungen. Damit aber die Gespräche mit London tatsächlich in eine exzellente Partnerschaft münden, muss manche Hürde überwunden werden.

Größtes Problem ist der Zeitdruck. Nimmt das Unterhaus den Austrittsvertrag an, verlässt das Land die EU am 31. Januar. Danach beginnt eine elfmonatige Übergangsphase, in der sich für Bürger und Firmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals fast nichts ändert. Während dieser Zeit wollen sich Premier Boris Johnson und die EU auf einen Freihandelsvertrag einigen, damit nach der Übergangsphase, im Januar 2021, keine Zölle eingeführt werden. Zudem möchten die Partner die Zusammenarbeit in vielen anderen Bereichen festzurren, von Fischerei über innere Sicherheit bis zu Verteidigung. Die neuen Verträge müssten die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel billigen, spätestens im Dezember 2020. Damit bleiben eher zehn als elf Monate für die Gespräche - ein Zeitplan, den Fachleute ehrgeizig bis unmöglich nennen.

Allerdings dürfen die Briten Ende Juni, also fünf Monate nach dem Austritt, eine Verlängerung der Übergangsphase um bis zu zwei Jahre beantragen. Das Problem: Johnson schließt das aus. Ist der Juni-Termin erst einmal verstrichen, könnten die EU und Großbritannien wieder auf eine Klippe zusteuern. Denn wird der Handelsvertrag nicht fertig, drohen im Januar 2021 Zölle und Chaos an den Häfen. Sollte Johnson im Herbst seine Entscheidung bereuen, müsste extra der Austrittsvertrag aufgeschnürt werden, um doch noch eine Verlängerung zu ermöglichen.

Handelsverträge abzuschließen dauert normalerweise mehrere Jahre. Bei Großbritannien könnte es schneller gehen, weil Standards und Wirtschaftsregeln mit denen der EU übereinstimmen. Allerdings ist es Johnson wichtig, die Regeln in Zukunft ändern zu können. Er will auch Handelsabkommen mit Wirtschaftsmächten wie den USA vereinbaren und könnte daher gezwungen sein, für manche Produkte amerikanische Regeln zu akzeptieren. Die EU will ihren Markt jedoch nur dann komplett für das Königreich öffnen, wenn London nicht die Standards senkt, an die sich Konzerne halten müssen. Die übrigen EU-Staaten - der wichtigste Exportmarkt britischer Firmen - befürchten ansonsten unfairen Wettbewerb durch einen Rivalen direkt vor der Haustür. Johnson möchte aber guten Marktzugang und zugleich die ganz große Freiheit: Das dürfte die Verhandlungen erschweren und den Zeitplan gefährden.

Kommissionspräsidentin von der Leyen sagte nach dem EU-Gipfel, ihr Ziel seien "null Zölle, null Quoten, null Dumping". Den Zeitplan nannte sie "sehr herausfordernd", doch Brüssel stehe am 1. Februar bereit, "um das Meiste aus der kurzen Zeit herauszuholen". Die Kommission werde Prioritäten setzen. Vorrang bei den Gesprächen hätten Themen, bei denen Anfang 2021 "eine Klippe" drohe und bei denen es keine alternativen Lösungen gebe, wenn die Verhandlungen scheitern.

Als am Donnerstagabend die Hochrechnung zum Wahlausgang publik wurde, debattierten die EU-Staats- und Regierungschefs gerade außenpolitische Themen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Freitag, viele Gipfelteilnehmer hätten sich über das "klare Ergebnis" gefreut. Johnson gebühre "professionelle Anerkennung" dafür, so viele Wähler überzeugt zu haben: "Chapeau, muss man einfach sagen."

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SZ vom 14.12.2019
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