Bremer Bürgerschaftswahl:Orange gegen Rot

Früher Hippie und Vorzeige-Unternehmer: Mit einem unkonventionellen Kandidaten will die CDU das Bremer Rathaus erobern - erstmals seit 74 Jahren.

Von Peter Burghardt, Bremen

Carsten Meyer-Heder, Germany's Christian Democrats Union (CDU) top candidate takes part in an election campaign in Bremen,

Der Pulli ist orange, aber auch die Socken: Carsten Meyer-Heder führt seinen Straßenwahlkampf in Bremen streng nach den Vorgaben einer Berliner Werbeagentur.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Ein Samstagmorgen zwischen Bremer Parkplatz und Kaufhaus, das ist natürlich Geschmackssache. Aber solche Termine gehören gerade zum neuen Leben dieses großen und schlanken Mannes mit Glatze und Fünftagekinnbart, der nach fast 74 Jahren die SPD bezwingen und für die CDU die Hansestadt erobern will.

Das öffentliche Wochenende des Carsten Meyer-Heder, 58 Jahre alt, begann um neun vor einem Supermarkt. Jetzt steht er um kurz vor elf mit seinem Sohn vor der nächsten Kaufhalle, wie an allen Stationen an einem Stehtisch mit orangem Sonnenschirm der CDU. Es ist sein dritter von acht Auftritten in ungefähr neun Stunden, von einer Bude weht Bratwurstdunst hinüber.

Wäre Carsten Meyer-Heder bei seinem alten Leben geblieben, dann würde er an einem so schönen Tag zum Beispiel Motorrad fahren. Oder arbeiten. Er hat eine Internetagentur mit 1000 Angestellten aufgebaut. "Ich tret ja nicht an, weil ich einen Job brauche", sagt er. Doch im März 2018 trat der frühere Bremer "Unternehmer des Jahres" in die Partei ein, wurde im Mai 2018 mit 98,5 Prozent Spitzenkandidat und fordert nun den Bürgermeister Carsten Sieling und die SPD heraus.

Er hat es bei seinem politischen Kaltstart auf die stabilste Hochburg der Sozialdemokratie abgesehen, seit 1945 regiert die SPD das kleinste deutsche Bundesland. "Bremen ist einfach traditionell links", das weiß Meyer-Heder, er war selbst mal links. Aber mittlerweile habe "jeder mitgekriegt, wo Bremen steht", und er zählt auf: Armut, Verschuldung, Arbeitslosigkeit, Bildung - überall sei Bremen auf dem schlechtesten Platz. "Die Menschen sind das leid."

Bisher durfte die CDU in dem Stadtstaat bestenfalls mal als Juniorpartner der Genossen mitreden, seit 2007 regiert Bremens SPD mit den Grünen. Doch kurz vor der Bürgerschaftswahl am 26. Mai führt laut Umfragen die CDU: 26 Prozent CDU und 24,5 Prozent SPD sagt das ZDF-Politbarometer voraus, Infratest Dimap für die ARD sogar 27 Prozent CDU und 24 Prozent SPD. Es wird spannend, auch bundespolitisch.

Sieling bräuchte Rot-Rot-Grün, Meyer-Heder wünscht sich Jamaika. Die Grünen (18 Prozent) müssen sehen, ob sie ein linkeres oder ein erstmals konservativeres Bremen wollen. Wobei es für die FDP (fünf Prozent) knapp werden könnte und Meyer-Heder meint, dass die Grünen in Baden-Württemberg konservativer seien als seine Bremer CDU.

Meyer-Heder nennt als ein Vorbild Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Mit der CDU habe er als junger Mann nichts am Hut gehabt: "Ich war Hippie. Ich hab mit langen Haaren in der Höhle gesessen und Jonglieren geübt." Das ist schon eine Zeit lang her, sein Zivildienst auch, inzwischen ist er IT-Manager und kahlköpfig. Er trägt bei seiner Tour Jeans, Daunenjacke, orangen Pulli und orange Socken. Die Farbe gehört zur PR-Offensive, die mit der Kampagne "Carsten Meyer-Wer?" begonnen hatte.

Inzwischen kennen ihn viele der 680 000 Bewohner von Bremen und Bremerhaven. Die orangen Plakate hängen fast überall, darauf Sprüche wie: "Ich bin kein gelernter Politiker, aber ein Problemlöser." Oder: "I have a stream: Wlan und Tablets in Schulen." Oder: "Spurwechsel im Rathaus. Für fließenden Verkehr." Entworfen hat das eine Berliner Werbeagentur. Es gibt auch orange Karten mit diesem Rat: "Der Bauch muss dem Kopf öfter in den Arsch treten", schwierige Übung.

So soll der CDU-Neuling auch Wählern gefallen, die sonst keine CDU wählen, und trotzdem keine Unionsfreunde verschrecken. "Mein Vorteil ist, dass ich von außen komme", sagt Meyer-Heder, "dass ich ein anderer Typ bin." Die entscheidende Frage für ihn: Vertrauen die Bremer trotz der Engpässe auch nach mehr als sieben Jahrzehnten der SPD und ihrem Bürgermeister Sieling, SPD-Mitglied seit 1976? "Oder gebt ihr mal einem Quereinsteiger und Unternehmertypen eine Chance?" Das Wort Chance zählt zu seinen Lieblingsvokabeln, genauso wie Team, Effizienz, pragmatisch, kreativ. Er spricht von Pilotprojekten, Start-ups, Mobilitätskonzepten. Zu seiner Vergangenheit gehört auch, dass er eine schwere Krankheit überstand. Und den Wahlkampf prägte in dieser Woche der Tod des Bremer CDU-Vorsitzenden Jörg Kastendiek, der den Novizen Meyer-Heder der CDU präsentiert hatte.

Carsten Meyer-Heder war Hippie und IT-Unternehmer, nun ist er Spitzenkandidat der CDU

Wenige Tage vor dieser traurigen Nachricht steht der Debütant Meyer-Heder etwas verloren in einem Museumsraum neben dem CDU-Europaabgeordneten und ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister, der nachher schwärmt: "Carsten Meyer-Heder ist total erfrischend." Anschließend schaut er mit Entourage und Daumen in den Taschen an einem Bunker und einem türkischen Supermarkt im weniger schicken Stadtteil Hemelingen vorbei und weiß nicht recht, was er da sagen oder fragen soll. Immerhin erfährt man, dass um die Ecke seine Lieblingsdisco war. "Ich darf nicht wählen", grüßt akzentfrei eine Passantin, die offenbar keinen deutschen Pass besitzt.

Nächster Halt ist ein hipper Teil der Altstadt, wo der Bewerber einst gewohnt hat und nun wie ein Ausrufezeichen am CDU-Schirm wartet. Gegenüber füllt sich sein Lieblingsitaliener. "Nicht so CDU-freundlich hier, oder?", ahnt Meyer-Heder. Er kommt dann doch ins Gespräch. "Wählen Sie doch einfach mal CDU", rät er einer älteren Dame und reicht ihr eine Birne aus einem Korb, am Stiel steht "Klare Birne".

100 Stellen

für zusätzliche Referendare will Carsten Meyer-Heder bei einer Regierungsübernahme schaffen. Zudem wolle die CDU ein Programm für die Sanierung von Schulen und Turnhallen vorlegen, sagte er am Freitag.

Tags darauf dann Rededuell in der Bürgerschaft beim Rathaus, veranstaltet vom Weser-Kurier. Carsten gegen Carsten, Sieling mit Krawatte, Meyer-Heder ohne. Als Geschäftsmann war er mit dem Bürgermeister auf Delegationsreisen. Jetzt ist der Ton schärfer. Hier der sachliche, faktensichere und meist freundlich dreinblickende Sieling, 60. Er schaut hauptsächlich dann genervt, wenn sein Rivale unrealistisch erscheinende Ideen vorträgt, und verweist dann bei Kita oder Autobahnbau auf Verfassung oder Genehmigungsverfahren. "Sie belehren mich ja gerne", erwidert Meyer-Heder, er wippt auf seinem Hocker. Bremen könne besser und schneller sein, findet er, "Bremen muss mal vor die Welle kommen". Welle, auch das Wort mag er.

Es geht um Schulden, Schulen, Digitalisierung, Verkehr, Wohnungen. Grob gesagt wirbt Sieling mit seiner Erfahrung und damit, dass Bremen mit ihm Fortschritte mache. Zuletzt wuchs die Bremer Wirtschaft, und Bremens Rot-Grün hat beim Bund ordentlich Geld herausgehandelt. Meyer-Heder kontert, dass Bremen beim Länderfinanzausgleich einst Nettozahler gewesen sei, und will "Verkrustungen aufbrechen, ich will ja nicht Verfilzung sagen". Sieling warnt, Jamaika würde Tafelsilber verkaufen und die Mieten treiben. "Angstschürende Phantomdebatte", sagt Meyer-Heder. Er sei halt grundsätzlich der Ansicht, dass Privat manches besser könne als der Staat. "Ich glaub, da muss einfach mal ein Manager ran, nicht ein Politiker."

Und wenn doch der Manager verliert und der Politiker gewinnt? Dann will der Quereinsteiger trotzdem weitermachen. "Dann kann ich auch nicht sagen, war nur ein Scherz", aus seiner Firma habe er sich ja schon zurückgezogen. Kann er noch jonglieren? "Drei Dinger krieg ich vielleicht noch hoch", sagt Meyer-Heder, der sich vom linken Höhlenhippie in die Bremer CDU-Hoffnung verwandelt hat.

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