Bürgerschaftswahl:Die rote Bastion Bremen fällt

Carsten Meyer-Heder, Germany's Christian Democratic Union party (CDU) top candidate for the German city-state of Bremen parliamentary elections reacts after first election polls were published in Bremen

Carsten Meyer-Heder jubelt über den Zugewinn, den er als Spitzenkandidat für die CDU in Bremen erzielt hat. Der IT-Unternehmer, erst seit 2018 CDU-Mitglied, will Bürgermeister Carsten Sieling von der SPD ablösen.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)
  • In Bremen verliert die SPD ihre Position als stärkste Kraft nach 73 Jahren an die CDU.
  • Spitzenkandidat der CDU ist ein Ex-Hippie und Quereinsteiger in die Politik.
  • Nun hängt alles von den Grünen ab.

Von Peter Burghardt, Bremen

Jetzt ist sie höchstwahrscheinlich gefallen, diese letzte und vielleicht auch schönste Bastion der deutschen Sozialdemokratie: das Bremer Rathaus, Weltkulturerbe und seit 73 Jahren regiert von der SPD. Hochrechnungen am Sonntagabend bestätigten die Umfragen und Prognosen. Demnach hat erstmals in mehr als sieben Jahrzehnten die CDU die Bürgerschaftswahl im kleinsten Bundesland gewonnen, angeführt von Carsten Meyer-Heder, der Hippie war, dann IT-Unternehmer wurde und erst seit 2018 in der Union ist. 24,8 Prozent der Stimmen sollen Meyer-Heder und die CDU bekommen haben, die SPD mit ihrem Bürgermeister und Senatspräsidenten Carsten Sieling 23,9 Prozent.

"Wir haben einen klaren Regierungsauftrag", sagt Meyer-Heder - er will Bürgermeister werden. "Bittere Zahlen", sagt Sieling - er will trotzdem Bürgermeister bleiben. Den Grünen wurden 16,4 Prozent berechnet, und so wird das passieren, was auch Henning Scherf geahnt hatte: "Dann werden die SPD und die CDU um die Grünen werben." Die Grünen müssen in den kommenden Tagen entscheiden, ob künftig Rot-Rot-Grün oder ein Jamaika-Bündnis im Bremer Senat sitzt, angeführt vom mutmaßlichen Wahlsieger Meyer-Heder und der CDU oder vom mutmaßlichen Wahlverlierer Sieling und der SPD.

Am Freitag vor dieser Abstimmung steht Henning Scherf wie ein sozialdemokratisches Ausrufezeichen auf dem Marktplatz am Rathaus. Geht nun eine Ära zu Ende, die längste Regierungszeit der SPD? Scherf, inzwischen 80 Jahre alt, ist Teil dieser sagenhaften Serie. Zwischen 1995 und 2005 war er der wohl populärste Bürgermeister und Senatspräsident, den dieser Stadtstaat aus Bremen und Bremerhaven je hatte. Noch immer herzt der Pensionär Scherf praktisch alle Bremer, die sich ihm nähern. Da tut sich der unauffälligere Sieling, 60, deutlich schwerer.

Auch Oma-Knutscher Scherf hat die SPD aufgefahren

Der Umarmer Scherf trägt eine rote Krawatte mit den Bremer Stadtmusikanten drauf. Rot und Bremen, das gehörte zusammen, die SPD wurde zunächst von den Alliierten kurz nach dem Krieg eingesetzt. "Wir haben praktisch direkt von den Nazis diesen Schrotthaufen, den Bremen damals darstellte, übernommen", sagt Scherf und lacht. Von 1946 an wurde die SPD dann gewählt. Bis zuletzt.

Die SPD war die Partei des Bremer Wiederaufbaus und dann die Partei, die besonders unter dem Niedergang der Bremer Werften litt. Die Folge: Bremen hat unter den Bundesländern im Schnitt die meisten Arbeitslosen und armen Kinder, die höchsten Schulden, die schlechteste Bildungsbilanz.

Es gibt Villen und Bürgerhäuser hier und marode Schulen und heruntergekommene Straßenzüge dort. In Bremerhaven liegt der größte Autoverladehaufen Europas - aber die Stadt ist eine der ärmsten Kommunen Deutschlands. Auch wenn Rot-Grün zuletzt den Haushalt saniert und mehr 400 Millionen Euro Bundeszuschüsse pro Jahr erkämpft hat, in Schulen investiert und den Mindestlohn auf mehr als elf Euro hebt.

Die Sparpolitik hat die Bremer SPD auch nicht beliebter gemacht, und die finanziellen Engpässe bleiben, weil viele Bremer Angestellte in Niedersachsen wohnen und dort auch Steuern zahlen. Auch wenn Bremen ein Hotspot von Flugzeugbau, Raumfahrt, Automobilbranche und Start-ups ist, umgeben von diesem weltoffenen, alternativen und tendenziell unaufgeregten Lebensgefühl an der Weser.

Die Sparpolitik hat die Bremer SPD auch nicht beliebter gemacht

Treue heißt unten am Fluss mit seiner schönen Promenade ein alter Frachter, auf dem heutzutage Partys gefeiert werden. Aber mit der Treue für Parteien ist es heutzutage so eine Sache, gerade im Falle der SPD, auch in Bremen. "Wir hatten traumhafte Wahlergebnisse", schwärmt Scherf, "das muss ja nicht ewig weitergehen. Ich verstehe alle, die sagen, in der Demokratie braucht es auch mal einen Wechsel."

Welcher Wechsel wird es sein? Das ist die große Frage, eine bundespolitische Frage: Rot-Rot-Grün oder Jamaika? Für Rot-Grün, das seit 2007 die 680 000 Einwohner regiert, wird es ohne Unterstützung nicht mehr reichen. Die FDP (6 Prozent) hat es offenbar erneut in die Bürgerschaft, so könnte sich die CDU um das von ihr gewünschte Bündnis mit den Grünen und den Liberalen bemühen. Ihr betont lässiger Spitzenmann Meyer-Heder, 58, hat die Bremer CDU als Quereinsteiger an die Spitze geführt. Er warb grob gesagt damit, dass ein Manager die Politiker ablösen soll, um Bremen in den Griff zu kriegen. Scherf findet seine orangefarbenen Plakate mit Sprüchen wie "Bildung öffnet mehr Türen als Brecheisen" oder "Ich bin kein gelernter Politiker, aber Problemlöser" witzig, Sieling gingen sie auf die Nerven.

Die Grünen ringen mit sich

Gegenmodell zu Jamaika wäre die erste Mitte-links-Koalition im deutschen Westen. Dafür hat sich Carsten Sieling in der vergangenen Woche ins Zeug gelegt und eine große Koalition mit der CDU ausgeschlossen. Das gefiel bei der SPD nicht jedem, aber der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hält die Entscheidung für logisch: "Ist doch klar, dass die Stadt 'ne linke Regierung haben will", sagt er zwei Tage vor der Wahl im Kapuzenpulli mit Europasternen. "Hier ist immer links regiert worden, es gibt 'ne linke Mehrheit. Es wäre absurd, sie nicht zu nützen." Auch Henning Scherf weiß: "Die Grünen sind diesmal die Königsmacher. Das hat es früher nie gegeben, das waren immer wir."

Die Königsmacherin sitzt drei Tage vor der Wahl in ihrem Büro bei den Grünen. "Wir werden viel in den Koalitionsvertrag hineinschreiben müssen", sagt Maike Schaefer. In welchen? Die Grünen ringen mit sich. Auch Robert Habeck ist am Sonntag in Bremen, der Bundesvorsitzende, dessen grüne Parteikollegen in Schleswig-Holstein Jamaika versuchen. "SPD und CDU unterscheiden sich jetzt nicht wahnwitzig", meint Maike Schaefer, die Spitzenfrau der Bremer Grünen. "Wir würden mit beiden Lösungen finden. Problematisch ist es mit den kleineren Parteien."

An der FDP stört die Grünen zum Beispiel deren Freude an Autos und gewisser Hang zu sozialer Kälte, bei den Linken deren Vorsatz, mehr Geld auszugeben. Denn in Bremen haben die Grünen mit ihrer Finanzsenatorin Karoline Linnert fleißig mitgespart und in Berlin mitverhandelt, dennoch wurde in einer Urwahl die Biologin und Hobbyimkerin Schaefer, 47, zur Kandidatin gekürt. Sie setzt auf Umwelt, Soziales, Bildung. Sie sagt: "Wir werden nicht automatisch diejenigen sein, die die SPD ins Rathaus hineinhieven."

Carsten Sieling sieht am Wahlabend angeschlagen aus, wie sollte es anders sein. Seinem Vorgänger Jens Böhrnsen war er nachgefolgt, als der 2015 mit nur 32,8 Prozent gewonnen hatte, was für die SPD heutzutage ein Traum wäre. Mit Sieling hat die SPD gut sieben Prozentpunkte eingebüßt. Seinem Gegner Meyer-Heder wirft er vor, dass der mal so eben Bürgermeister werden wolle, ohne Erfahrung. Dabei habe ein Bremer Bürgermeister mit den Problemen am Bordstein zu tun, reise aber auch ins Kanzleramt und nach Brüssel. Am Montag hatte Sieling erzählt, dass er meistens zu Fuß ins Rathaus gehe oder Fahrrad fahre. Die Grünen könnten entscheiden, ob er weiterhin im Bremer Rathaus arbeitet.

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