Süddeutsche Zeitung

Bremen:Die Parteichefin von der Biomarkt-Kasse

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Kai Wargallas Haare sind hellblau, sie hat Occupy London mitgegründet und Barack Obama verklagt. Jetzt führt sie die Bremer Grünen.

Von Gianna Niewel

Es war 2011, in Nordafrika blühte der Arabische Frühling und Kai Wargalla saß in London vor ihrem Laptop. Auslandssemester. Wieso, habe sie sich gefragt, gibt es so etwas nicht auch bei uns: Menschen, die für ihre Überzeugung auf die Straße gehen, die wütend sind und das auch zeigen? Grund zum Aufregen gab es aus ihrer Sicht auch im Westen genug. Wikileaks-Gründer Julian Assange, der in der ecuadorianischen Botschaft in London harrt, weil er die Auslieferung in die USA fürchtet. Banken, die Milliarden setzen, als sei es Spielgeld.

Wargalla war wütend, und sie machte ihre Wut zu Politik. In England gründete sie "Justice for Assange", eine Online-Kampagne zur Unterstützung des Enthüllers. Sie gehörte zu den Aktivisten, die Occupy London ins Leben riefen. In New York blockierte sie gemeinsam mit zehntausenden Gleichgesinnten die Südspitze von Manhattan, Occupy Wall Street - auch eine Protestbewegung für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik.

Den politischen Fragen des 21. Jahrhunderts will Wargalla sich auch weiterhin widmen, das geht nicht nur in New York oder London, sondern auch in Bremen. Seit Mitte Januar steht die 31-Jährige mit den hellblauen Haaren an der Spitze der Bremer Grünen. Deutschlands kleinstes Bundesland hat eine Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent und die höchste Pro-Kopf-Verschuldung. Immerhin hat Neu-Politikerin Wargalla als Aktivistin gelernt, mit wenig Geld viel auf die Beine zu stellen.

Erst hat sie sich mit der Wall Street angelegt, dann mit Barack Obama

Wenn Wargalla aus ihrem Leben erzählt, spielt Twitter eine wichtige Rolle. Überhaupt die sozialen Netzwerke. Über die hat sie 2011 in London die Demos organisiert. Erst sei es nur ein kleiner Kreis von Nerds gewesen, sagt sie. Irgendwann campierten 6000 Menschen zwischen der Londoner Börse und der St.-Pauls-Kathedrale. Sie zelteten auf Beton, sie bastelten Plakate, sie skandierten: "Global Democracy Now". Einige Wochen später half Wargalla auch bei Occupy Wall Street in New York mit. Sie programmierte eine App, mit der Demonstranten sich im riesigen Finanzdistrikt zurechtfinden sollten: Wo ist die Polizei, wo sind wir? Da war sie Ende 20.

Nach der City of London und der Wall Street war Barack Obama an der Reihe. Gemeinsam mit sechs anderen - darunter Whistleblower Daniel Ellsberg und der Linguist Noam Chomsky - klagte Wargalla gegen das Gesetz des US-Präsidenten zur Genehmigung des Verteidigungshaushalts: "Darin versteckt sich ein Absatz, der es dem Präsidenten erlaubt, Menschen an einem geheimen Ort wegsperren zu lassen, wenn sie irgendwie die nationale Sicherheit gefährden könnten - ohne, dass ein Gericht ihren Fall prüfen müsste."

Auch sie selbst, erzählt Wargalla, wurde wegen ihres politischen Aktivismus als "feindlich" eingestuft. Aus diesem Grund wurde sie im März 2012 vor ein Gericht in New York geladen. Die Anwälte des amerikanischen Präsidenten wollten von ihr wissen, ob sie sich künftig zurücknehmen werde. Natürlich nicht.

In erster Instanz haben Wargalla und die sechs internationalen Kläger - die "Freedom Seven" - gewonnen, erst der Supreme Court lehnte ihre Klage ab.

Neben ihrem Studium arbeitet Wargalla in einem Bio-Supermarkt

Wargalla zog wieder nach Hause, wo schon ihre Mutter in der Bremischen Bürgerschaft aktiv war. In Oldenburg beendet sie ihr Masterstudium in Nachhaltiger Wirtschaft. 15 Stunden die Woche arbeitet Wargalla nebenbei im Bio-Supermarkt Alnatura, aber natürlich reicht es ihr nicht, an der Kasse zu sitzen. Sie will einen Betriebsrat gründen: "Nur in einer von 98 Filialen, in Freiburg, gibt es bisher einen." Wenn in Bremen nun eine zweite Filiale nachzieht, hofft Wargalla, könnte auch ein Gesamtbetriebsrat gegründet werden.

Als Landesvorsitzende muss sie nun lernen, in Stadtteilen zu denken statt in Kontinenten. Sie will die Beiräte abklappern, die Landesarbeitsgemeinschaften, sie will erfragen, was die Basis umtreibt. "Bei aller Regierungsverantwortung, die wir haben - die Grünen dürfen nicht in der Koalition verschwinden", sagt sie. Bremen ist das einzige Land, in dem rot-grün zum dritten Mal in Folge regiert.

Gerade war Wargalla bei einer Veranstaltung zum Thema Stadtteilbudgets, demnächst geht es um die Verpflegung in Bremer Schulen und die Agrarwende. Ansonsten bestimmt auch in der Hansestadt der Umgang mit den Flüchtlingen die Politik. Es brauche mehr Wohnraum und mehr Sprachkurse, sagt Wargalla, die Kinder brauchten Kita-Plätze. Es ist dasThema, an dem der Kontinent zu zerbrechen droht. Für Kai Wargalla dürfte es noch deutlich anstrengender werden als im Bio-Markt an der Kasse.

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