Bilel Ben A.:Die schwierige Suche nach Amris Freund

Terroranschlag Breitscheidplatz

Bei dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 starben zwölf Menschen.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz wurde ein mutmaßlicher Komplize von Anis Amri abgeschoben.
  • Die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses wollen den abgeschobenen Freund möglichst schnell als Zeugen befragen.
  • Nur: Wo befindet sich Bilel Ben A. derzeit?

Von Florian Flade, Lena Kampf und Georg Mascolo

Am 01. Februar 2017, um 09.30 Uhr, hob in Frankfurt am Main eine Lufthansa-Maschine nach Tunis ab. Es befanden sich 118 Passagiere an Bord, darunter auch der Tunesier Bilel Ben A., damals 26 Jahre alt. Er hatte jahrelang unter zahlreichen Aliasnamen als angeblich Asylsuchender in Deutschland, der Schweiz und Italien gelebt. Nun wurde er kurzerhand abgeschoben.

Zwei Jahre später sorgt die Abschiebung des Tunesiers in sein Heimatland im Bundestag für einige Irritationen. Denn Bilel Ben A. war einer der engsten Freunde von Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 einen Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz verübte. Noch am Vorabend saßen die beiden Männer beim Abendessen zusammen, am Tattag telefonierten sie wohl miteinander. Auf dem Handy von Ben A. fanden die Ermittler außerdem Fotos vom Breitscheidplatz - aufgenommen schon Monate vor dem Attentat.

Eine Tatbeteiligung oder Mitwisserschaft konnten die Ermittler dem Freund des Attentäters allerdings nicht nachweisen. Gleichzeitig hielten sie Bilel Ben A. für einen gefährlichen Islamisten, dem jederzeit ein Anschlag zugetraut wurde. Es habe Anfang 2017 keine rechtliche Handhabe dafür gegeben, Ben A. länger in Haft zu behalten, heißt es bis heute aus Sicherheitskreisen. Daher sei entschieden worden, den Tunesier kurzerhand abzuschieben.

In Medienberichten waren jüngst Behauptungen aufgestellt worden, wonach Ben A. direkt am Anschlag auf dem Breitscheidplatz beteiligt gewesen sei. Die Spekulationen gingen sogar noch weiter: Ben A. sei ein Agent des marokkanischen Geheimdienstes, schrieb das Nachrichtenmagazin Focus. Er sei schnell außer Landes gebracht worden, um seine Beteiligung am Anschlag zu "vertuschen". Für derartige Behauptungen aber gibt es bislang keinerlei Belege. Es lägen keine Erkenntnisse über eine Agententätigkeit von Bilel Ben A. oder eine Tatbeteiligung beim Terrorakt vor, teilte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am vergangenen Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Berlin mit.

Die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz fordern dennoch weitere Aufklärung. Sie wollen den abgeschobenen Freund des Attentäters möglichst schnell als Zeugen befragen. "Die Causa Ben A. darf nicht dazu führen, dass Behördenhandeln zu Verschwörungstheorien und staatlicher Vertuschung umgedeutet wird", warnt Armin Schuster (CDU), Vorsitzender des Ausschusses. "Im Sinne der Aufklärung ist es deshalb wünschenswert, dass der Untersuchungsausschuss Ben A. als Zeugen vernehmen kann."

Auch Martina Renner, Obfrau der Linke-Bundestagsfraktion, will Amris Freund zeitnah befragen. "Ben A. ist für uns eine der wichtigsten Personen aus dem Umfeld von Amri", so Renner. Er sei der "Schlüssel zur Aufklärung des hinter Amri stehenden Netzwerks". Daher müsse nun schnell sein Aufenthaltsort ermittelt werden. Bislang sei die Bundesregierung dabei untätig geblieben.

Es sei ein "gravierender Fehler der Ermittlungsbehörden" gewesen den Freund des Breitscheidplatz-Attentäters "überhastet" abzuschieben, kritisiert Benjamin Strasser, Obmann der FDP im Untersuchungsausschuss. Durch das "vorschnelle Handeln" stünden nun "massive Vertuschungsvorwürfe im Raum". Der abgeschobene Freund von Anis Amri wird somit zu einer zentralen Figur im Aufklärungsbestreben der Parlamentarier. Nur: Wo befindet sich Bilel Ben A. derzeit?

Nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung war Bilel Ben A. direkt nach der Abschiebung aus Deutschland im Februar 2017 in Tunesien in Gewahrsam gekommen. Er soll vom tunesischen Innenministerium als "gefährliche Person" eingestuft worden sein. Gegen Ben A. sollen außerdem drei Terrorismusvorwürfe und der Vorwurf eines Raubüberfalls vorliegen. Am 17. Juli 2017 wurde der Amri-Freund von einem tunesischen Gericht wegen der Terrorismusvorwürfe freigesprochen. Allerdings soll die nächsthöhere Instanz entschieden haben, den Fall erneut aufzurollen. Ben A. blieb demnach in Haft.

In der vergangenen Woche teilte Bundesinnenminister Horst Seehofer bei einer Pressekonferenz mit, dass seinem Ministerium der aktuelle Aufenthaltsort von Bilel Ben A. nicht bekannt sei. Nach Informationen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung wurden die deutschen Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren jedoch mehrfach von tunesischen Behörden über das Schicksal des abgeschobenen Amri-Freundes informiert. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Linken-Politikerin Martina Renner hervor.

Im März 2017 erhielt der Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes (BKA) in Tunis demnach die schriftliche Mitteilung, Ben A. sei "in Polizeigewahrsam (Ort unbekannt). Im September 2017 folgte eine mündliche Mitteilung, Ben A. "sei auf freiem Fuß". Ebenfalls mündlich teilte ein tunesischer Ermittlungsrichter der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft dem BKA im Juli 2018 mit, Ben A. sei "unter Meldeauflagen auf freiem Fuß in Tunesien (ohne Nennung des konkreten Aufenthaltsortes)" und habe keinen Reisepass.

Aktuellere Informationen zum Verbleib von Bilel Ben A. sollen den hiesigen Behörden bis heute nicht vorliegen. Aus Sicherheitskreisen heißt es, im Frühjahr 2018 habe es neue Erkenntnisse gegeben, dass Ben A. zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei. Gesichert aber seien diese Informationen nicht. Bundesinnenminister Seehofer kündigte in der vergangenen Woche an, deutsche Behörden würden sich nun um neuere Informationen zum Verbleib von Bilel Ben A. bemühen.

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