Süddeutsche Zeitung

Wahl in Brasilien:Warum der Totengräber der Demokratie Präsident werden könnte

  • Der Rechtspopulist Bolsonaro hat die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Brasilien klar gewonnen. Er tritt am 28. Oktober in einer Stichwahl gegen Kandidat Haddad von der Arbeiterpartei an.
  • Bolsonaro erhielt 46 und Haddad 29 Prozent der Stimmen. Umfragen hatten einen Abstand von nur zehn Prozent zwischen den beiden gesehen.
  • Gründe für Bolsonaros Erfolg sind seine Fake-News-Kampagnen auf sozialen Netzwerken sowie die Unterstützung durch einflussreiche Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Für einen Moment sah es am Sonntagabend in Brasilien schon so aus, als sei ein neuer Präsident gewählt worden. Ein Präsident, der als Totengräber der Demokratie bezeichnet wird, weil er gegen Minderheiten wettert, die Diktatur verherrlicht und erklärtermaßen keinen anderen Wahlsieger als sich selbst anerkennen will. Aber so schlimm ist es dann doch nicht gekommen - vorerst jedenfalls nicht.

Für die kurzzeitige Verwirrung ist ein brasilianischer Enthüllungs- und Sensationsjournalist verantwortlich. Eine halbe Stunde vor der ersten offiziellen Hochrechnung teilte er mit, er kenne bereits das Ergebnis. Demnach habe der ultrarechte Kandidat Jair Bolsonaro im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht, Stichwahl überflüssig. Agenturen, Zeitungen, Fernsehsender verbreiteten die vermeintliche Nachricht ungeprüft.

Was folgte, waren die vielleicht längsten 30 Minuten des Jahres. Ein Land gespalten in Verzweiflung und Euphorie. Überzeugte Demokraten brachen auf offener Straße in Tränen aus, während vor dem Anwesen Bolsonaros in Rio de Janeiro ein spontanes Fest seiner Anhänger stieg. Viele waren in dem gelb-grünen Trikot der Fußballnationalelf gekommen und sangen die Nationalhymne, manche machten zur Feier des Tages Liegestütze. Eine Kraftdemonstration sollte das wohl sein.

Die große Exklusiventhüllung erwies sich dann aber als so falsch wie die meisten Wahlprognosen der vergangenen Wochen. Tatsächlich hat Jair Messia Bolsonaro, 63, den ersten Durchgang mit deutlich größerem Vorsprung gewonnen als die Demoskopen vorhergesagt hatten: 46 Prozent - das ist keine rechtpopulistische Welle mehr, das ist ein Tsunami. Aber unterm Strich stand am Ende dieses bewegenden Abends: Es wird am 28. Oktober sehr wohl eine Stichwahl geben.

Bolsonaro trifft dort auf Fernando Haddad, 55, von der linken Arbeiterpartei PT, den Ersatzmann des inhaftierten Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Haddad bekam im ersten Durchgang 29 Prozent der Stimmen.

Es war allgemein erwartet worden, dass es auf dieses Duell hinauslaufen würde, aber die Ausgangslage für das Stechen hat sich nun grundlegend verändert. In Umfragen vor der Wahl lag Haddad, der ehemalige Bürgermeister von São Paulo, rund zehn Prozentpunkte hinter Bolsonaro. Jetzt muss er fast das Doppelte aufholen. Nach Lage der Dinge ist schwer vorstellbar, wie ihm das gelingen soll.

Brasiliens Linke ist am Sonntag fragmentiert angetreten und Haddad konnte darauf hoffen, in der Stichwahl die Reihen schließen zu können, um Bolsonaro zu verhindern. Aus ideologischer Sicht dürfte es für die PT kein allzu großes Problem sein, die Wähler des linksgerichteten Ciro Gomes und der halblinken Marina Silva auf ihre Seite zu ziehen, beide dienten wie Haddad schon als Minister unter Lula. Aber es gibt jetzt ein unerwartetes mathematisches Problem: Gomes kam am Sonntag nur auf enttäuschende 12,5 Prozent der Stimmen und die zweimalige Präsidentschaftskandidatin Silva landete bei einem absolut unterirdischen Ergebnis von einem Prozentpunkt. Das würde auch gemeinsam nicht mehr gegen den ehemaligen Armee-Hauptmann Bolsonaro reichen.

Es sieht schlichtweg danach aus, dass es im größten Land Südamerikas derzeit eine rechtsextreme Mehrheit gibt. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen hat schwer gelitten in der Wirtschaftskrise und angesichts der gigantischen Korruptionsskandale der zurückliegenden Jahre. Bolsonaro konnte sich in dieser Lage erfolgreich als Anti-Establishment-Kandidat inszenieren, obwohl er selbst zum politischen Establishment gehört.

Sein unheimlicher Erfolg gründet zum einen auf einem weit verbreiteten und längst irrationalen Hass gegen die langjährige Regierungspartei PT von Lula und Haddad. Zum anderen führte er eine professionelle Fake-News-Kampagne in den sozialen Netzwerken, wo er zuletzt auch eine reale Messerattacke gegen ihn von Anfang September populistisch ausschlachtete.

Auch Brasiliens Großunternehmer, Börsenanleger, konservative Parteien, Teile der Justiz und der Massenmedien, das Militär und nicht zuletzt die höchst einflussreichen evangelikalen Kirchen unterstützen offenbar lieber einen rechten Brandstifter als einen PT-Kandidaten.

Eine Antwort auf die Frage aber, wie Bolsonaro von der jüngsten Umfrage am Samstag zur Wahl am Sonntag noch einmal um fast zehn Prozentpunkte zulegen konnte, muss man vielleicht auch unter den Millionen von Fußballfans im Land suchen. Am Sonntagmorgen hatten die beiden brasilianischen Weltmeister und Weltfußballer Ronaldinho und Rivaldo zur Wahl von Jair Bolsonaro aufgerufen.

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