Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahl:Durch Brasilien wogt eine Welle des Hasses

  • Ein berühmter Capoeira-Meister wurde mit Messerstichen getötet, weitere Menschen wurden angegriffen: Die Lage in Brasilien spitzt sich nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen zu.
  • Dort hatte der Rechtsextremist Bolsonaro hoch gewonnen, er gilt nun als Favorit für die Stichwahl am 28. Oktober.
  • Seinen Wahlkampf und sein früheres Dasein als Politiker bestritt er mit Hetze gegen verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Die kalkulierte Sprachverrohung dürfte zum aktuellen Klima des Hasses mindestens beigetragen haben.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Am Montag haben sie in Salvador de Bahia den populären Musiker und Capoeira-Meister Moa do Katendê beerdigt. Am Vorabend, kurz nachdem der Sieg des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen verkündet worden war, soll Mestre Moa in Salvador eine Bar betreten haben, in der Bolsonaro-Anhänger feierten.

Er rief laut Augenzeugenberichten: "Hier unterstützen wir die Arbeiterpartei". Daraufhin verließ der inzwischen verhaftete und geständige Täter das Lokal, kam zehn Minuten später mit einem Messer zurück und tötete Moa do Katendê, 63, mit zwölf Stichen. Er ist das bislang prominenteste Opfer einer Welle des Hasses, die in ganz Brasilien zu spüren ist.

Jair Bolsonaro, dem Mann, der bald das größte Land Südamerikas regieren will, fiel dazu unter der Woche ein: "Ein Typ, der ein T-Shirt von mir trägt, begeht einen Exzess, was habe ich damit zu tun?"

Mal abgesehen davon, dass es sich nicht um einen Exzess, sondern um einen Mord handelte, liegt der Verdacht nahe, dass der Präsidentschaftskandidat sehr wohl damit zu tun hat. Niemand kann mehr die menschenverachtenden und gewaltverherrlichenden Aussagen zählen, die Bolsonaro in den vergangenen Monaten und Jahren von sich gegeben hat. Er sprach davon, dass die brasilianische Militärdiktatur versäumt habe, 30 000 Menschen zu töten; er nannte Hitler "einen großen Strategen"; er kündigte an, dass im Falle seines Wahlsieges für die indigenen Völker Brasiliens "kein Zentimeter" übrig bleiben werde.

Dafür wird er von seinen eingefleischten Fans verehrt. Viele nicht ganz so Eingefleischte, die ihn trotzdem wählen wollen, halten das für Geschwätz und glauben, Bolsonaro sei kontrollierbar, wenn er erst einmal im Präsidentenpalast sitze. Aber seine kalkulierte Sprachverrohung scheint sich schon verselbständigt zu haben, sie hat die Stimmung vergiftet und offenbar realer Gewalt den Weg bereitet. In der Kommunikationswissenschaft heißt das "Framing".

Bolsonaro spricht von "Einzelfällen", die er am Mittwoch zwar erstmals deutlich verurteilte, aber nur um direkt hinterherzuschieben: "Es gibt eine orchestrierte Bewegung, um Aggressionen zu schmieden, die unserer Kampagne schaden." Eine entschiedene Distanzierung klingt anders.

Zudem verwies Bolsonaro darauf, Anfang September selbst von einem Messerstecher attackiert worden zu sein. Dem Journalisten, der nach den neuen Gewaltausbrüchen fragte, warf er angesichts dessen vor, Täter und Opfer umzukehren. Was Bolsonaro nicht sagte, war, dass sein Wahlkampfteam das Attentat gegen ihn politisch ausschlachtete, obwohl der Täter geistig verwirrt war und offenbar allein handelte.

Zu den "Einzelfällen", die sich in den vergangenen Tagen ansammelten, gehört ein Wahlkampfauftritt des rechtskonservativen Politikers Wilson Witzel, mutmaßlich nächster Gouverneur des Bundesstaats Rio de Janeiro. Während seiner Rede vor Bolsonaro-Anhängern wurde auf der Bühne eine Erinnerungsplakette an die 2017 erschossene Marielle Franco zertrümmert. Der Mord an der linksgerichteten, dunkelhäutigen Stadträtin löste internationale Empörung aus und ist nicht aufgeklärt.

Besorgte Demokraten fürchten, der Rechtspopulist habe mit seinen Tiraden das Land geändert

Die Polizei in Porto Alegre ermittelt im Fall einer jungen Frau, die drei unbekannte Männer beschuldigte, sie mit einem Messer verletzt zu haben. Die 19-Jährige gab an, sie habe in einem Linienbus ein T-Shirt mit dem Motto der feministischen Anti-Bolsonaro-Bewegung "EleNão" getragen. Nach dem Ausstieg seien ihr die Männer gefolgt, zwei hätten sie festgehalten, der Dritte habe ihr ein Hakenkreuz in die Haut geritzt. Offiziell bestätigt ist das aber noch nicht. Einer der Ermittler sagte, es handle sich nicht um ein Hakenkreuz, sondern um ein "ähnliches, buddhistisches Symbol".

In einem Krankenhaus in der Stadt Natal wurde eine Ärztin suspendiert, die ein Rezept vor den Augen ihres 72-jährigen Patienten zerriss, als der erzählte, er unterstütze Bolsonaros Gegenkandidaten. Die Ärztin sagte laut Medien, sie habe überreagiert und bereue den Vorfall. Aber für viele besorgte Demokraten ergibt all das ein Bild eines neuen Brasiliens, das Bolsonaro mit seinen Tiraden bereits geschaffen hat. Der Musiker Roger Waters warnte sein Publikum am Dienstag bei einem Auftritt in São Paulo vor der Gefahr des "Neofaschismus". Auf der Großleinwand war der Slogan "EleNão" zu sehen. Anhänger Bolsonaros rufen nun zum Boykott weiterer Shows des Pink-Floyd-Gründers in Brasilien auf.

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SZ vom 12.10.2018/bepe
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