Brasilien:Tänze aus Wut, Tänze aus Freude

Ex-Präsident Lula muss wegen Korruptionsvorwürfen in Haft. Das treibt Anhänger und Gegner auf die Straße.

Von Benedikt Peters

Brasilien: An Lula da Silva spalten sich die Geister in Brasilien: Manche derer, die ihn gerne hinter Gittern sehen, machen demonstrativ in Gefängniskluft mobil.

An Lula da Silva spalten sich die Geister in Brasilien: Manche derer, die ihn gerne hinter Gittern sehen, machen demonstrativ in Gefängniskluft mobil.

(Foto: Douglas Magno/AFP)

Der Ex-Präsident verfolgte die Gerichtsverhandlung im Fernsehen. Luiz Inácio da Silva, den alle in Brasilien nur Lula nennen, war in die Zentrale der Metallarbeiter-Gewerkschaft in São Bernardo do Campo gekommen. In der Stadt im Bundesstaat São Paulo hatte er in den 1970er Jahren seine Karriere als Gewerkschaftsführer in der Autoindustrie begonnen. Es ist wahrscheinlich, dass Lula nun am gleichen Ort dem Ende eben dieser Karriere zugesehen hat. Sie führte ihn 2003 in den Präsidentenpalast von Brasília und ließ ihn zeitweise zum beliebtesten Politiker Lateinamerikas aufsteigen.

Die Richter des Obersten Gerichtshof hatten darüber zu befinden, ob Lula ins Gefängnis muss oder nicht. Bereits im Januar war der Ex-Präsident zu zwölf Jahren und einem Monat Haft verurteilt worden. Ein Bundesgericht hatte ihn in zweiter Instanz der Korruption für schuldig befunden. Lula ließ sich demnach vom Baukonzern Oas ein Luxus-Apartment an der Atlantikküste renovieren, wofür er sich dann wiederum bei der Vergabe staatlicher Aufträge erkenntlich gezeigt haben soll. Lula selbst bezeichnet die Vorwürfe bis heute als haltlos und politisch motiviert.

Seine Anwälte haben gegen das Urteil Berufung eingelegt, eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Bis dahin sollte der Ex-Präsident auf freiem Fuß bleiben. Es war dieser Antrag, den die Richter des Obersten Gerichtshofs nun gekippt haben. Nun bleiben Lula nur noch wenige Verzögerungsmöglichkeiten. In wenigen Tagen oder Wochen wird er wohl seine Haft antreten müssen.

In Brasilien erregte die Nachricht enormes Aufsehen, denn es geht nicht nur um die Verurteilung eines beliebten Politikers, sondern auch um den Ausgang der Präsidentschaftswahl am 7. Oktober. Lula hatte angekündigt erneut zu kandidieren, in den Umfragen führte er mit bis zu 36 Prozent. Sein derzeit stärkster Herausforderer kommt auf gut die Hälfte. In den vergangenen Wochen hatte sich Lula bereits auf Wahlkampftour gemacht, aus dem Gefängnis heraus wird er sie nur schwerlich fortsetzen können.

Es sei ein "tragischer Tag für die Demokratie", erklärte Lulas Arbeiterpartei nach dem Urteil

Das brasilianische Fernsehen übertrug die Verhandlung, die sich über beinahe elf Stunden bis in den frühen Donnerstagmorgen hineinzog. Danach kam es zu Demonstrationen. Sie zeigen, wie gespalten Brasilien ist. Neben den zahlreichen Unterstützern Lulas, welche die Sozialprogramme und den Wirtschaftsaufschwung in seiner Regierungszeit nicht vergessen haben, hat sich Lula ebenso viele Gegner gemacht. Letztere feierten und tanzten zu Tausenden auf den Straßen Brasilias, viele in die grün-blaue Landesfahne gehüllt.

Die traditionell rot gekleideten Unterstützer Lulas riefen ebenfalls zu Protestmärschen auf, unter den ebenfalls Tausenden Teilnehmern hatten viele augenscheinlich mit den Tränen zu kämpfen. Die brasilianische Arbeiterpartei, der Lula angehört, erklärte wenige Minuten nach dem Urteil, es handle sich um einen "tragischen Tag für die Demokratie".

Was das Urteil nun genau für die Präsidentschaftswahl bedeutet, ist ungewiss. Sollte Lula wirklich nicht kandidieren können, wäre Jair Bolsonaro laut aktuellen Umfragen Favorit: ein stramm rechter Politiker, der aus seiner Verachtung für Homosexuelle keinen Hehl macht und verspricht, Brasilien wieder sicherer zu machen. Andererseits speist sich seine Kampagne vor allem aus dem Hass auf Lula, weshalb sich nun Wähler auch wieder von ihm abwenden könnten. Dass Lula bis zu den Wahlen im Herbst noch eine weitere juristische Volte gelingt und er doch zur Wahl antreten kann, ist allerdings auch nicht ausgeschlossen.

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