Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Rückkehr der Regenwald-Retter

Lesezeit: 3 Min.

Die neue linke Regierung will die Abholzung am Amazonas stoppen. Doch die Schutzbehörden im Land sind in desolatem Zustand und der Widerstand ist riesig.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Es sind martialische Videos, die das brasilianische Umweltministerium derzeit im Netz postet: Dichter Regenwald, über dem Hubschrauber kreisen, Rauchsäulen steigen auf, Feuer lodern. Doch nicht Urwaldriesen brennen hier, sondern Goldgräbercamps, in Brand gesteckt von Beamten des Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis, kurz Ibama.

Die Behörde ist so etwas wie die brasilianische Entsprechung des deutschen Umweltbundesamtes. Allerdings verfügt sie über eine Sondereinheit, speziell ausgebildet und teilweise schwer bewaffnet. Sie kann auch noch in den entlegensten Gebieten Einsätze ausführen.

Das Ibama war darum lange berühmt und bei Umweltsündern berüchtigt, zuletzt aber wurde es immer öfter auch belächelt, es fehlten Mittel und Personal und die Beamten hatten immer weniger Befugnisse.

Eine radikale Kehrtwende gegenüber der Umweltpolitik der Vorgängerregierung

Doch mit all dem ist nun Schluss. Am 1. Januar hat in Brasilien eine neue linke Regierung ihr Amt angetreten. Sie hat versprochen, den Natur- und Regenwaldschutz zu stärken. Und um von Anfang an klarzumachen, dass das kein leeres Versprechen ist, stellt das Umweltministerium nun Videos von Razzien gegen illegale Goldgräber und Holzfäller ins Netz: "Das Ibama ist zurück", heißt es über einem davon, in Großbuchstaben.

All das ist eine radikale Kehrtwende gegenüber der Umweltpolitik der letzten Regierung. Brasiliens rechter Ex-Präsident Jair Bolsonaro sah im Amazonas-Regenwald weniger ein schützenswertes Naturjuwel als vielmehr einen Rohstoff-Schatz, den es zu heben galt, zum Wohle der Wirtschaft und des Fortschritts. Umweltschutzorganisationen schätzen, dass in den letzten vier Jahren zwei Milliarden Bäume gefällt wurden.

Nun soll schon bis 2030 der Kahlschlag sogar bis auf null sinken, so hat es Brasiliens neuer Präsident Luiz Inácio Lula da Silva versprochen. Ein ehrgeiziges Ziel, doch als die Zahlen für die Abholzung im Januar veröffentlicht wurden, lagen diese tatsächlich 61 Prozent unter denen des Vorjahres. Allerdings ist der Januar ein Monat, in dem es am Amazonas oft regnet, und dicke Wolken verdecken die Sicht für die Satelliten, mit denen Brasilien den Regenwald überwacht. Gut möglich also, dass mancher Kahlschlag schlicht übersehen wurde. Zugleich könnte es sein, dass manche Bauern einfach die ersten Wochen der neuen Regierung abwarten wollten.

Schon für die ersten beiden Februarwochen wurde jedenfalls wieder Abholzung auf 208 Quadratkilometer gemeldet, der schlechteste Wert seit Jahren für diesen Monat und ein Beweis dafür, dass der Kampf gegen die Abholzung am Amazonas wohl nicht so schnell zu gewinnen ist, wie manche gehofft hatten.

Das liegt zum einen daran, dass der Widerstand riesig ist, der der neuen linken Regierung und ihrer Umweltpolitik entgegenschlägt. Die Agrarindustrie hat in den letzten Jahrzehnten in Brasilien massiv an Einfluss gewonnen. Das Land gehört heute zu den größten Rindfleisch- und Sojaproduzenten der Welt. Bundesstaaten wie Mato Grosso haben sich in weiten Teilen in grüne Wüsten verwandelt, mit Feldern bis zum Horizont. Und längst leben in Brasilien mehr Rinder als Menschen. All das ist ein gigantisches Geschäft, mit riesigem Wachstumspotenzial, immer mehr Wald fällt darum Weiden und Äckern zum Opfer.

Für Bolsonaro waren Goldgräber keine Umweltsünder, sondern "hart arbeitende Männer"

Gleichzeitig boomt auch der illegale Goldabbau. Immer tiefer dringen Glücksritter dabei in den Regenwald vor, verschmutzen Flüsse mit Chemikalien und reißen den Boden auf. Ex-Präsident Bolsonaro ließ die Goldgräber weitestgehend gewähren, sie seien keine Umweltsünder, sagte er, sondern "hart arbeitende Männer".

Manche Schutzgebiete sahen sich bald regelrechten Masseninvasionen ausgesetzt, aus kleinen Camps wurden Siedlungen, Landepisten für Kleinflugzeuge wurden in den Urwald geschlagen, schweres Gerät herangeschafft. Hinter all dem steckt oft auch das organisierte Verbrechen, schätzen Experten. In den abgelegenen Gebieten florieren Schmuggel und Wilderei, immer wieder gibt es Morde an Aktivisten oder Indigenen.

Die illegalen Goldgräber müssen nun mühsam wieder vertrieben, die Holzfäller, Viehzüchter und Soja-Bauern daran gehindert werden, noch mehr Wald zu vernichten. Keine leichte Aufgabe, denn einerseits erstreckt sich Brasilien über eine Fläche, die doppelt so groß ist wie die gesamte Europäische Union, andererseits befinden sich viele Behörden in desolatem Zustand.

Unter der Bolsonaro-Regierung wurden Schutz-Institutionen gezielt geschwächt. Gelder wurden gekürzt und Führungspositionen neu besetzt mit politisch opportunem, aber fachlich meist inkompetentem Personal. Engagierte Mitarbeiter kündigten entnervt, andere wurden entlassen oder versetzt.

Am brasilianischen Umweltbundesamt Ibama lässt sich dieser institutionelle Kahlschlag besonders deutlich sehen: Nur noch 350 Mitarbeiter ließen sich heute für Operationen wie Razzien oder Patrouillen einsetzen, heißt es aus der Behörde. Altes Personal soll nun wieder aktiviert und neue Mitarbeiter eingestellt werden, all das aber braucht Zeit.

Die Aufgabe sei riesig, sagte der neue Chef des Ibama, Rodrigo Agostinho, vor ein paar Tagen in einem Interview mit einer brasilianischen Nachrichtenseite: "Es ist nicht so, als ob wir versuchen würden, irgendjemanden mit einem kleinen Auto zu stoppen. Das hier ist eher ein ganzer Zug." Er sei überzeugt, dass die Abholzungszahlen in Zukunft sinken würden. "Doch dafür brauchen wir Zeit." Frühestens in einem halben Jahr, glauben Experten, könne man sehen, ob es wirklich Erfolge gibt im Kampf gegen die Abholzung im Amazonas-Regenwald.

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