Süddeutsche Zeitung

Odebrecht-Skandal:Schmierstoff für den Kontinent

Lesezeit: 3 min

Das Verfahren gegen Ex-Präsidenten Lula ist für ganz Lateinamerika bedeutsam.

Von Sebastian Schoepp, SZ, München/Rio de Janeiro

Korruption wurde in Lateinamerika lange als sozusagen gegeben und unabänderbar hingenommen - als unmoralischer, aber auch unverzichtbar erscheinender Schmierstoff für das Gelingen von Geschäften und Projekten, ja für das Funktionieren von Gesellschaften. Oder, weniger positiv ausgedrückt: als Virus, der alle Aspekte des Lebens infiziert, wie es Papst Franziskus kürzlich auf seiner Lateinamerikareise formulierte. Doch es gibt Anzeichen für Besserung. Dafür spricht die ungewöhnliche Tatsache, dass der Zusammenschluss von elf wichtigen Zeitungen namens Grupo de Diarios de América kürzlich einen Richter zur einflussreichsten Persönlichkeit des Kontinents kürte. Es handelt sich um den ehrgeizigen und wegen seines Geltungsdrangs nicht unumstrittenen brasilianischen Untersuchungsrichter Sérgio Moro, der mit einer ungeschriebenen Regel gebrochen hat: Moro scheute sich nicht, hohe Manager und Politiker wegen Korruption zu verfolgen und viele von ihnen vor Gericht zubringen - unter anderem auch Brasiliens Ex-Präsidenten Lula. Diese Amtsauffassung strahlt auf den ganzen Kontinent aus.

Bezeichnend dabei ist, dass auch der Ursprung des größten Übels in Brasilien liegt. Dort ist der Baugigant Odebrecht zuhause, eines der größten Unternehmen des Kontinents, das neue Maßstäbe in Sachen Schmiergeldzahlungen setzte, die selbst für lateinamerikanische Verhältnisse gigantische Ausmaße annahmen. Der Konzern soll nach Schätzungen des US-Justizministeriums in den letzten 15 Jahren 788 Millionen Dollar Bestechungsgelder allein in Lateinamerika gezahlt haben. Mit den Geschäften, die so angebahnt wurden, soll er drei Milliarden Dollar verdient haben.

Es waren die Jahre des Booms in Lateinamerika, als die Rohstoffeinnahmen vor allem durch Chinas Ressourcenhunger nur so sprudelten. Regierungen armer Länder sahen dies als Chance, um endlich dem Rückstand zu entkommen, in Infrastruktur und Prestigebauten zu investieren. Das Familienunternehmen Odebrecht mit Sitz in Brasilien, gegründet vor siebzig Jahren von Nachkommen des Greifswalder Auswanderers Emil Odebrecht, war der richtige Partner. Odebrecht war endlich mal ein potenter Partner nicht aus China, Europa oder den USA, sondern sozusagen vom eigenen Boden; man wusste, wie man miteinander umzugehen hatte, sprach gewissermaßen dieselbe Sprache, oder zumindest eine sehr ähnliche. Das beförderte das Geschäft. Gesellschaften der Odebrecht-Gruppe bauen Chemiefabriken, Stadien und Flughäfen, sie bieten schlüsselfertige Bioenergieanlagen und Komplettlösungen für Infrastrukturprojekte. Schmiergeld stabilisierte die Auftragslage.

In Brasilien selbst soll der Konzern nach Daten des US-Justizministeriums eine Art "Schmiergelddepartment" unterhalten haben, ranghohe Politiker des ganzen Kontinents standen auf der Zahlungsliste. Das kam nach und nach im Zuge der Ermittlungen unter dem Namen "Lava Jato" (Autowäsche) unter Leitung des Richters Sérgio Moro ans Licht, bei denen es anfangs um den Ölgiganten Petrobras ging. Doch bald schon geriet auch der Bausektor ins Visier der Ermittler. Dabei zeigte sich, dass Odebrecht keineswegs ein Einzelfall war, sondern sozusagen nur der prominenteste Vertreter eines in der Branche typisches Geschäftsgebarens. In Brasilien laufen wegen Schmiergeldzahlungen unterschiedlicher Firmen inzwischen Ermittlungen gegen ein Drittel der amtierenden Minister, auch gegen Präsident Michel Temer selbst. Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva soll unter anderem die Fäden gezogen haben, als Odebrecht 22 Millionen Dollar an Petrobras zahlte.

In die Odebrecht-Ermittlungen schalteten sich die Justizbehörden mehrerer Länder ein. Im April 2017 bekannte sich die Firmenleitung von Odebrecht schuldig und zahlte nach dem Urteil eines US-amerikanischen Gerichts 2,6 Milliarden Dollar Entschädigung, 93 Millionen flossen in die USA, 116 in die Schweiz, über die viele der Schmiergeldzahlungen abgewickelt worden waren, 2,3 Milliarden blieben in Brasilien. Den Konzern hat das massiv geschwächt, zu Glanzzeiten hatte er 180 000 Angestellte in 21 Ländern, jetzt sind es nur noch 80 000, ein Symbol für den Niedergang der einst so gehypten brasilianischen Wirtschaft. Firmenchef Marcelo Odebrecht wurde zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt, die auf zehn Jahre reduziert wurden, als er sich entschloss auszupacken. Seine Aussagen waren für die Ermittler äußerst wertvoll. Seit Dezember darf Marcelo Odebrecht seine Strafe als Hausarrest in seinem Anwesen in São Paulo absitzen.

Nun rollen die Ermittlungen über Lateinamerika hinweg. Im Nachbarland Peru wird Ex-Präsident Alejandro Toledo im Zusammenhang mit Odebrecht-Millionen per Haftbefehl gesucht. Der momentane Präsident Pedro Pablo Kuczynski entging nur knapp einer Amtsenthebung. In Venezuela sagte der Odebrecht-Chef aus, er habe Präsident Nicolás Maduro 35 Millionen Euro gegeben, damit dieser nach seiner Wahl weiter den Konzern bei Aufträgen bevorzuge. Insgesamt sollen 98 Millionen Dollar nach Venezuela geflossen sein. In Ecuador stürzte der bisher ranghöchste Politiker: Vizepräsident Jorge Glas soll Odebrecht bei Aufträgen für eine Metro in Quito, Staudämme und Straßenbau bevorzugt haben. Im Dezember wurde er zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Diese und andere Fälle haben ein völlig neues Bewusstsein für Korruptionsverfolgung in ganz Lateinamerika wach werden lassen. Einziges Problem dabei: Politiker einer ganzen Generation und aller Couleur stehen im Visier. Und eine neue ist nicht in Sicht.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2018
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