Der letzte Geburtstag im Amt war ein seltsames Fest für Luiz Inácio Lula da Silva, den beliebtesten Präsidenten, den Brasilien je hatte. Am Mittwoch wurde Lula 65 und weihte am Morgen einen Hafen ein; in Argentinien starb derweil sein früherer Kollege Néstor Kirchner an einem Herzinfarkt. Tags darauf stand in Buenos Aires auch der Brasilianer im schwarzen Anzug am Grab, daheim hatte er mitten im Kampf um seine Nachfolge Staatstrauer angeordnet.
Die Glückwünsche für das Geburtstagskind gingen deshalb ein wenig unter. Immerhin aber bestellte Lula bei der Kandidatin seines Vertrauens, Dilma Rousseff, als Geschenk: den Sieg in der Stichwahl. Am Sonntag will sie ihm das Präsent übergeben, "um fünf Uhr Nachmittags am 31. Oktober". Dann nämlich werden die Wahllokale für 135 Millionen Wähler schließen, und Rousseff wird voraussichtlich als erste Frau den Präsidentschaftspalast Planalto von Brasilia erobert haben.
Nach letzten Umfragen bekommt sie diesmal die absolute Mehrheit, die Institute sagen ihr einen bequemen Vorsprung vor dem Rivalen José Serra voraus. Beim ersten Wahlgang vor vier Wochen hatten die Orakel zwar daneben gelegen, Favoritin Rousseff musste in die Verlängerung. Das mag daran liegen, dass sie nach wie vor nicht das Charisma ihres Mentors hat; viele Landsleute können mit der spröden Technokratin wenig anfangen. Doch Lulas Verve und Bilanz dürften genügen, um die Brasilianer hinter ihr zu vereinen; mehr als 80 Prozent der Brasilianer mögen oder verehren ihn.
Lula selbst darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten, also soll Rousseff übernehmen. Beim Finale musste sich seine politische Erbin allerdings noch mit Themen herumschlagen, die der früheren Guerillera-Kämpferin und späteren Kabinettschefin von Lula eher missfielen. Es ging dabei um himmlischen Beistand, um ungeborene Kinder und die Natur, letztlich aber um die 20 Millionen Stimmen, die im ersten Durchgang die drittplazierte Grüne Marina Silva erbeutet hatte. Deren Erfolg nämlich hatte Dilma Rousseff in diesen Showdown gezwungen. Die vormalige Umweltministerin Silva hatte wegen Rousseffs und Lulas Träumen von kontinuierlichem Wachstum die Regierung verlassen. Sie ist aber Mitglied der Pfingstkirche Assembleia de Déus, die acht Millionen Gläubige zählt. Auf der Jagd nach den Stimmen der Religiösen wurde der Wahlkampf bei der Streitfrage Abtreibung sehr heftig. In der Vergangenheit hatte die Linke Rousseff durchblicken lassen, dass sie das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen für ein Problem halte. Nun aber, nachdem ihr politische Gegner vorgeworfen hatten, sie wolle "Kindlein töten", wiederholt sie gebetsmühlenartig: "Ich persönlich bin gegen Abtreibungen."
Papst Benedikt XVI. mischte sich ein und warnte Brasilien davor, die Abtreibung zu legalisieren. Rousseff sagte, "das ist die Position des Papstes, sie muss respektiert werden". Ihren Sieg über den Lymphdrüsenkrebs schrieb sie der heiligen Jungfrau zu.
Zwischendurch wurde es dann sogar handgreiflich. Gegenkandidat José Serra, der zuvor Bürgermeister und Gouverneur des Wirtschaftszentrums Sao Paulo gewesen war, bekam in einem Tumult in Rio de Janeiro einen Schlag auf den Kopf ab und wetterte, der Angriff sei organisiert gewesen. Lula wiederum nannte Serras Attacken gegen seine Statthalterin Rousseff "Terrorismus". Später wandten sich die Kontrahenten dann wieder irdischen Schlachtfeldern zu, etwa der Korruption und dem halbstaatlichen Ölgiganten Petrobras. Serra wirft Lula und Rousseff vor, den Konzern mit Genossen besetzt zu haben und insgeheim schrittweise zu privatisieren. Eine gigantische Lüge sei das, antwortete Rousseff. Jeder wisse, dass der frühere Präsident Fernando Henrique Cardoso, Serras Parteifreund, Petrobras habe verkaufen wollen.
Allerdings hat der scheidende Amtsinhaber die entscheidenden Argumente auf seiner Seite. Vor der brasilianischen Küste wurde viel Öl gefunden, Petrobras ist mithin eines der wertvollsten Unternehmen der Welt, was dem Staat viel Geld einbringt. Außerdem sind Dank Lulas Sozialprogrammen 29 Millionen Einwohner der Armut entkommen. Rousseff - das bedeute Konstanz, Serra hingegen Rückschritt, lautet der Slogan bei Lulas Leuten. "Ich beende meine Amtszeit auf die glücklichste Weise", sagt er selbst. Seine Botschaft ist bei seinen Anhängern mindestens so viel wert wie Gottes Wort, und sein Triumph wird auch Dilma Rousseff in sein Büro tragen.