Brasilien:Brasiliens Regierung unterbindet politischen Protest während Olympia

Brasilien: "Temer raus", steht auf den Plakaten dieser Demonstranten in Rio.

"Temer raus", steht auf den Plakaten dieser Demonstranten in Rio.

(Foto: Jeff Pachoud/AFP)
  • Michel Temer zettelte als Vizepräsident das Amtsenthebungsverfahren gegen Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff an.
  • Als Übergangspräsident reagiert er äußerst empfindlich auf Protest. Beim Volk ist er ausgesprochen unbeliebt.
  • Die Olympischen Spiele lenken bislang von Temers Machenschaften ab. Doch die Aussage eines Kronzeugen über Schwarzgeld könnte ihm gefährlich werden.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Ein brasilianisches Bundesgericht hat am Montagabend "friedliche politische Meinungsäußerungen" für rechtens erklärt. Es ist schon fast alles gesagt über die Lage im größten Land Südamerikas, wenn es für solch eine Feststellung einen Richterspruch braucht. Der Form nach wird die Republik Brasilien ja seit 1985 demokratisch regiert, derzeit ist aber ein Interimspräsident namens Michel Temer an der Macht, den niemand gewählt hat und der nach allen verfügbaren Umfragen auch niemals gewählt werden würde.

Zu sagen, Temer regiere das Land, wäre übertrieben. Mit dem Versuch, den allgemeinen Unmut gegen seine Übergangsregierung zu kaschieren, ist er ausgelastet. Sicherlich trägt es auch nicht zur Förderung einer Kultur der freien Meinungsäußerung bei, dass die Stadt Rio de Janeiro gerade von 38 000 schwer bewaffneten Soldaten besetzt wird, um die reibungslose Durchführung der Olympischen Spiele zu garantieren.

Während der Veranstaltung, die sich "das Fest des Friedens und der Völker" nennt, teilt sich Michel Temer die Ordnungsgewalt mit einem klandestinen Altherren-Zirkel, der unter dem Kürzel IOC bekannt ist, und der es mit den demokratischen Grundprinzipien nie so genau nahm. Im Grunde kann es also nicht schaden, wenn die Brasilianer jetzt richterlich bestätigt haben, das sie auf friedliche Weise ihre Meinung kundtun dürfen.

Der Mann ist im Volk so unbeliebt wie die Frau, die er ablösen will

Der studierte Jurist Michel Temer, 75, steht kurz vor seinem größten Karrieresprung vom unscheinbaren Vizepräsidenten Dilma Rousseffs zum neuen Staatsoberhaupt. Dafür nimmt er einiges in Kauf. Er hat ein Amtsenthebungsverfahren gegen seine langjährige Vorgesetzte angezettelt, das nicht nur aus Sicht eingefleischter Rousseff-Fans nach einem parlamentarischen Putsch stinkt. Der Mann ist im Volk so unbeliebt wie die Frau, die er ablösen will. Das ist gerade auch bei Olympia in Rio sichtbar. Zumindest so lange, bis die Polizei kommt.

Mehrere Zuschauer, die friedlich gegen Temer protestierten, wurden bei diesen Spielen aus den Stadien geschmissen. Trotz gültiger Eintrittskarten, versteht sich. Der bislang prominenteste Vorfall ereignete sich bei einem Frauenfußballspiel. Ein Gruppe brasilianischer Zuschauer hatte T-Shirts an, auf denen "Temer raus" und "Komm zurück, Demokratie" zu lesen war. Sie wurden genau so verbannt wie eine Familie mit zwei Kindern, die einen Anti-Temer-Zettel zum Bogenschießen mitgebracht hatte. Vier Soldaten der nationalen Streitkräfte übernahmen den Einsatz.

Juca Kfouri, einer der prominentesten Sportkolumnisten Brasiliens, nannte dieses Vorgehen eine "repressive Dummheit." Die Regierung Temer beruft sich derweil auf das Regelwerk des Internationalen Olympischen Komitees, das politische Botschaften in den Stadien verbietet. Der Richterspruch vom Montag sagt im Grunde, dass in einem demokratischen Staat nicht die Gesetze einer vordemokratischen, sportlichen Besatzungsmacht gelten dürfen. Er gilt allerdings nur erstinstanzlich.

Neue Korruptionsvorwürfe gegen Temer

Eher im Halbschatten der aufregenden Spiele und der aufgeregten Debatten von Rio geht in der Hauptstadt Brasília nun der dubiose Impeachment-Prozess gegen die gewählte Präsidentin Rousseff in seine entscheidende Phase. In der Nacht zum Mittwoch wird er im Senat wohl die nächste Hürde nehmen - die vorletzte vor dem endgültigen Urteilsspruch.

Rousseff ist bislang nur vorübergehend suspendiert, um sie unwiderruflich abzusetzen, braucht es eine Zweitdrittelmehrheit der 81 Senatoren. Diese Abstimmung ist für Ende August geplant, wenige Tage nach der olympischen Schlussfeier und gerade noch rechtzeitig vor dem G-20-Gipfel in China, wo Temer erstmals als offizieller Staatschef auftreten will. Das Votum von Dienstag auf Mittwoch ist eine von unzähligen Vorabstimmungen in diesem absurd komplizierten Verfahren, interessant ist es vor allem als letzter Stimmungstest.

Entgegen der Stimmung im Volk hat Temer in der politischen Blase von Brasília allen Prognosen zufolge das Momentum auf seiner Seite. Nach Lage der Dinge ist seine endgültige Machtübernahme kaum noch zu verhindern. Mehr als die Hälfte der Senatoren haben öffentlich erklärt, Ende August gegen Rousseff und damit für Temer zu stimmen. Viele begründen das mit einem notwendigen Neuanfang inmitten der allgemeinen Krisenstimmung oder mit ihrer Abneigung gegen die korrupten Machenschaften während der zurückliegenden Regierungsjahre von Rousseffs Arbeiterpartei.

Zeugenaussage über Schwarzgeld für Temers Partei

Es spielt dabei nicht mal am Rande eine Rolle, dass es im Impeachment-Antrag gar nicht um Korruption geht, sondern um den Vorwurf, Dilma Rousseff habe bei der Erstellung ihres jüngsten Haushaltsentwurfes getrickst. Jeder weiß, dass dies nur ein juristischer Vorwand für ein politisches Verfahren ist, das geben sogar Rousseffs Gegner erstaunlich offen zu. Ausgerechnet gegen die gewählte Präsidentin liegen bislang keine Indizien dafür vor, dass sie an dem gigantischen Korruptionsskandal rund um den halbstaatlichen Erdölriesen Petrobras beteiligt war. Im Fall von Michel Temer sieht die Sache anders aus.

Brasilien wartet mit großer Spannung auf die Veröffentlichung der Kronzeugenaussage des Bau-Unternehmers Marcelo Odebrecht, der im Zuge der Petrobras-Ermittlungen zu 19 Jahren Haft verurteilt wurde. Laut dem Magazin Veja, das den Bericht angeblich schon vorliegen hat, soll sich Temer von Odebrecht persönlich drei Millionen Euro für eine Schwarzgeldkasse seiner Partei gesichert haben. Wenn sich das bestätigen sollte, dann geht die Staatskrise mit dem anstehenden Präsidentenwechsel nicht zu Ende.

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