Brasilien:Ende eines brasilianischen Traumes

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Arbeiter entfernen die Abdeckung an den olympischen Ringen in einem Park in Rio. (Foto: Getty Images)

Als Rio de Janeiro als erste Stadt in Südamerika die Olympischen Spiele zugesprochen bekam, schien das Ausdruck einer neuen Weltordnung zu sein. Davon ist nicht viel geblieben.

Kommentar von Boris Herrmann

Die Olympischen Sommerspiele 2016 sind zweifellos die Spiele des Luiz Inácio Lula da Silva. Er, und kein anderer, hat sie nach Rio de Janeiro geholt. Unter Tränen verkündete der Präsident damals Brasiliens Aufbruch in eine neue Ära. Knapp sieben Jahre ist das her. Wenn nun am Freitag die ganze Welt zum Marsch der Nationen ins Stadion Maracanã blickt, dann wird man Luiz Inácio Lula da Silva vergeblich auf der Ehrentribüne suchen.

Der ehemalige Staatspräsident hat angekündigt, jenes Ereignis zu schwänzen, das eigentlich sein Lebenswerk krönen sollte. Es kann kein stärkeres Symbol für das Ende eines brasilianischen Traumes geben. Falls Lula am Freitag vor dem heimischen Fernseher weint, dann gewiss nicht vor Rührung.

Die Spiele in Rio sollten eigentlich die letzten Zweifler davon überzeugen, dass dieses so lange verzagte frühere Kolonialreich endlich in der ersten Welt angekommen ist. Stattdessen gibt es am Vorabend seiner größten Party eher das Bild einer Bananenrepublik ab: vom Drogenkrieg gezeichnet, von Gewalt erschüttert, von Stechmücken geplagt, von Korrupten verkauft. Die Eröffnungsfeier wird von einem Interimspräsidenten geleitet, der nie gewählt wurde. Außer Lula boykottiert auch die durch Wahlen legitimierte Präsidentin Dilma Rousseff das Fest, gegen sie läuft gerade ein Amtsenthebungsverfahren.

Heute würde Rio die Spiele nicht mehr bekommen

Eine fatale Mischung aus politischer Unfähigkeit, Mauschelei und Schamlosigkeit hat nicht nur die Volkswirtschaft, sondern auch das demokratische System Brasiliens ins Wanken gebracht. Spitzenpolitiker aller großen Parteien stehen heute mit einem oder mit beiden Beinen im Gefängnis. Auch gegen den Olympiamacher und Ex-Präsidenten Lula wird pünktlich zum Fest der Prozess eröffnet - wegen Behinderung der Justiz bei der Korruptionsermittlung. Niemand ist mehr unantastbar in Brasilien, das ist vielleicht das einzige positive Signal, das derzeit von dem Krisenland ausgeht.

Man muss sich noch einmal an den Rausch erinnern, um den Kater zu begreifen. Als Rio im Oktober 2009 zum Ausrichter der Spiele gekürt wurde, als erste Stadt in Südamerika, da herrschte Konsens, dass dies nicht nur eine logische Wahl war, sondern auch der Ausdruck einer neuen Weltordnung. Brasilien, dem ewigen Land der Zukunft, schien plötzlich alles zuzufliegen: erst einer der größten Erdölfunde des 21. Jahrhunderts, dann die Fußball-WM und schließlich Olympia.

Die Welt ächzte damals unter der globalen Finanzkrise, während Lula lächelnd von Sieg zu Sieg schwebte. Sein Lebensweg vom Schuhputzer zum Staatsmann und zum Superstar der Südhalbkugel galt als der Inbegriff der brasilianischen Erfolgsgeschichte. Auf dem Höhepunkt der Lula-Mania sprach Barack Obama ehrfurchtsvoll vom "beliebtesten Politiker der Welt". Der US-Präsident selbst scheiterte trotz persönlichen Einsatzes bei dem Versuch, die Spiele nach Chicago zu holen. Lulas Charme erschien unbesiegbar. Heute räumt das lokale Organisationskomitee ein, dass Rio unter den gegenwärtigen Umständen den Zuschlag nicht bekommen hätte.

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Olympia ist in erster Linie ein teures Vergnügen

Um die Spiele selbst muss man sich am wenigsten Sorgen machen. Es wird wie immer strahlende Sieger und heulende Verlierer geben. Die dringlichere Frage ist, was zurückbleibt, wenn der Partytross wieder abzieht. Im olympischen Jargon ist in diesem Zusammenhang vom "Vermächtnis" die Rede, ein Begriff, der zu den größten Lügen des globalen Sportgeschäfts gehört. Es wäre schlichtweg naiv zu glauben, dass sich Brasilien mit seinen Spielen aus dem Schlamassel ziehen könnte. Solche Mega-Events sind für die Ausrichter keine Konjunkturprogramme und keine Entwicklungshilfe, sondern zunächst einmal ein teures Vergnügen. Ein Luxus, den man sich leisten können muss. Brasilien kann das eigentlich nicht.

Schon die Fußball-WM von 2014 hat dem Land unnütze Stadien und enttäuschte Hoffnungen eingebracht. Für Olympia in Rio mussten nun die letzten Finanzreserven zusammengekratzt werden, das Geld fehlt an Schulen und Universtäten, in Krankenhäusern sowie in der Rentenkasse. Es stimmt natürlich, dass in Rio Milliarden in die Infrastruktur investiert wurden, in Tunnels, Schnellbus-Trassen und eine U-Bahn. Dabei standen aber nie die Bedürfnisse der Allgemeinheit im Vordergrund, sondern stets der Ablaufplan einer dreiwöchigen Veranstaltung.

Wenn überhaupt, dann kann Olympia für den Gastgeber nur einen symbolischen Wert haben. Brasilien hätte sich in diesem Sommer zum Beispiel als ein ganz normales Land der Gegenwart präsentieren können. Egal, was in den kommenden drei Wochen passiert, diese Chance hat es auf fast schon tragische Weise verspielt.

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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