Brasilien:Mit letzter Kraft gegen das Papasöhnchen

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Zwei Tage vor der Wahl sind Rousseff und Neves bei einem TV-Duell aufeinander getroffen. (Foto: REUTERS)

Der Wahlkampf hat Brasiliens Präsidentin Rousseff viel Energie gekostet. Ihr letzter Herausforderer, Aécio Neves, ist Spross eines reichen Clans und gilt als Weichling. Er hat allerdings auch einige prominente Unterstützer.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Brasiliens Präsidentin ist heiser vor Stress, außer den Nerven leidet in dieser Schlacht auch die Stimme. Dilma Rousseff muss seit Wochen viel mehr reden, als sie mag. In der ersten Wahlrunde Anfang Oktober hatte die Bewerberin der linken Arbeiterpartei PT zwar verblüffend deutlich die Ökologin Marina Silva besiegt, aber nur knapp ihren konservativen Rivalen Aécio Neves. So folgt am Sonntag die Stichwahl, und wieder standen Reisen quer durch das riesige Land und vier Fernsehdebatten an. Nun empfängt die Titelverteidigerin wetterfest frisiert in einem Hotel im schicken Strandrevier Barra da Tijuca von Rio de Janeiro und eröffnet mit kratzendem Hals das Finale. "Ich glaube, dass es eine Trendwende gibt", sagt sie matt.

Die letzten Umfragen der zahlenverliebten Republik versprechen ihr am Donnerstag sechs bis acht Prozentpunkte Vorsprung auf den Herausforderer Neves. Erstmals liegt die resolute Amtsinhaberin offenbar deutlich in Führung. Reicht es noch einmal, trotz allem? Wie 2010? Vor vier Jahren gewann die Erbin Rousseff, 56, dank ihres Vorgängers Luiz Inácio Lula da Silva, dem Helden der Massen. Es hieß damals, Lula hätte auch einen Laternenpfahl aufstellen können und hätte gewonnen. Aber bald war die sperrige Technokratin fast so beliebt wie ihr leutseliger Mentor. Später kamen die Demonstrationen 2013, und nun wurde dieser Wahlmarathon dermaßen anstrengend, dass sie in einem TV-Duell einen Schwächefall bekam.

Der Herausforderer gilt als "Papasöhnchen"

Aécio Neves, ihr Widersacher mit sanft ergrauten Schläfen, steigt ein paar Kilometer entfernt in Rios Luxusviertel Leblon aus einer Limousine, ein mittelgroßer Mann von 54 Jahren in weißem Hemd, Jeans und blauem Sakko. Sein Großvater Tancredo Neves wurde 1985 zum ersten Staatschef nach 21 Jahren Militärdiktatur gewählt, erlag jedoch vor Dienstbeginn einer Blutvergiftung. Der Enkel vertritt die Unternehmer-Partei PSDB, die sich sozialdemokratisch nennt und nach zwölf Jahren die Arbeiterpartei ablösen will. "Wir haben alle Chancen zu gewinnen", berichtet Aécio Neves, er hat seine älteste Tochter im Blümchenkleid mitgebracht. Er gebe nichts auf Prognosen, "sonst stünde ich nicht hier", im ersten Durchgang hatte man ihn schon abgeschrieben. "Ich lade jeden ein, die Chance zu ergreifen, Brasilien zu verändern."

Neves II. war Gouverneur im Bundesstaat Minas Gerais und ist Senator. Er tritt jovialer auf als die Favoritin, die sich anders als der Spross eines wohlhabenden Clans allerdings hatte durchbeißen müssen. Beide stammen aus Belo Horizonte, sie überstand in São Paulo und Brasília Gefängnis, Folter und Krebs. Seinen Verehrern gilt Aécio Neves als effizienter Verwalter, seinen Kritikern als Freund von Partys und Hochfinanz. "Papa-Söhnchen", spottet Lula. Dilma Rousseff erinnerte daran, dass sich der Autofahrer Neves einmal in Rio einer Alkoholkontrolle verweigert hatte. Die PT suhle sich bei diesem Wahlkampf im Schlamm, klagt Neves. "Das sind lügnerische, anklagende, kriminelle Verleumdungen. Brasilien hat so ein Niveau nicht verdient."

Spielen in Schutt und Armut: Während Brasiliens Wirtschaft schwächelt, wirbt Präsidentin Dilma Rousseff mit Sozialprogrammen. (Foto: Felipe Dana/AP)

Der Widersacher indes stürzt sich ebenso vergnüglich auf die Skandale der Regierung, die Affäre um den Stimmenkauf im Parlament und die mutmaßlichen Schmiergelder des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Petrobras. Dabei sollen auch Funktionäre der PSDB prächtig bezahlt worden sein, als Aufträge für Nahverkehrszüge in São Paulo an Firmen wie Siemens vergeben wurden. "Die offizielle Kandidatin ist eine Besiegte, unabhängig vom Ergebnis", findet Neves. Und Lula stutze sich selbst zusammen. Seit ungefähr 25 Jahren war das lebensfrohe Brasilien nicht mehr so zerstritten, seinerzeit verlor Lula seine erste Wahl gegen einen nachher abgesetzten Luftikus.

Der Riss geht quer durch die Nation. Frau gegen Mann, ärmerer Nordosten gegen reicheren Südosten, irgendwie links gegen irgendwie rechts, rot gegen blau. Es gab sogar Prügeleien beider Lager. Aécio Neves hat außer dem vormaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, dessen Zentralbankchef Arminio Fraga, der ausgeschiedenen Marina Silva und Privatmedien Fußballstars um sich geschart, darunter den Nationalstürmer Neymar und den pummeligen Ronaldo. Er verspricht einen kontrollierten Haushalt und sichere Grenzen sowie Investitionen in Armee, Gesundheit und Erziehung. Auch würde er sich von Venezuela und Kuba ab- und den USA zuwenden.

Dilma Rousseff und ihr Wahlhelfer Lula dagegen werben mit ihren Devisenreserven und Sozialprogrammen. Ihre Marketingstrategen machen Reklame mit dem Aufstieg von Millionen Brasilianern in die Mittelschicht und warnen, dass die Großkapitalisten um den Kontrahenten Neves die Elite bevorzugen. "Das ist Dilma, die Kriegerin", singen dunkelhäutige Tänzer in einem flotten PR-Spot. Wobei die Begeisterung des Volkes nachgelassen hat, seit die Wirtschaft schwächelt.

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Wut auf Korruption und Spekulanten

Hoch über Rio de Janeiro steht eine füllige Grundschullehrerin in der Vorzeigefavela Santa Marta. Sie ist mit der Standseilbahn zur Befriedungspolizei hinaufgefahren, das sind Symbole der Veränderung in diesem Slum am Berg. Drüben am Corcovado breitet die Christusfigur ihre Arme aus, unten leuchten die Strände von Botafogo bis Ipanema. Viele Bewohner der einfachen, teils bunt bemalten Häuser besitzen Smartphones, Flachbildschirme und Satellitenschüsseln, es geht ihnen besser als vor Lula/Dilma. Die Pädagogin erzählt, dass ihre Verwandtschaft daheim in der Region Maranhão geschlossen Hilfsgelder bezieht. "Für manche Leute sind Zuschüsse von 130 Reais (40 Euro) nichts, aber für die Familien in bedürftigen Gegenden ist das eine Menge." Doch sie schimpft auf die Kleptomanen der Politik, auf Grundstücksspekulation und hat gar keine Lust zu wählen, obwohl das in Brasilien Pflicht ist.

Selbst Siedlungen wie Santa Marta sind geteilt, auch dort wird eifrig für Aécio Neves und den Wandel gestimmt. "Am Sonntag spreche ich wieder zu euch", verspricht Neves unten im teuren Leblon zwischen Meer und Lagune den Reportern: "als Präsident der Republik." Oder es redet doch wieder die Präsidentin und Siegerin Rousseff, falls die Stimme mitmacht.

© SZ vom 25.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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