Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Manaus ringt nach Luft

In der Millionenmetropole ist abermals das Gesundheitssystem zusammengebrochen. Viele Menschen fühlen sich an die dunkelsten Tage zu Beginn der Pandemie erinnert.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Die brasilianische Millionenmetropole Manaus steht vor einer Katastrophe. Seit Wochen steigt die Kurve der Covid-19-Infektionen immer stärker an, nun ist das Gesundheitssystem zusammengebrochen. Auf den Intensivstationen gibt es keine freien Betten mehr, selbst Sauerstoff zur Versorgung von Schwerkranken fehlt. Lokale Medien berichten von Pflegern, die verzweifelt versuchen, Patienten mit manueller Beatmung am Leben zu halten. "Das, was ich heute hier erlebt habe, hätte ich mir so in meinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können", sagte eine schockierte Ärztin dem Nachrichtensender G1.

Schon vergangenes Jahr geriet Manaus in die Schlagzeilen, weil der Covid-19-Erreger hier unerbittlicher wütete als in fast jeder anderen Metropole in Brasilien. Das Gesundheitssystem kollabierte, Massengräber mussten ausgehoben werden. Wissenschaftler schätzen, dass sich während jener ersten Welle mehr als zwei Drittel der Bevölkerung mit Corona infiziert haben könnten. Dies würde bedeuten, dass in Manaus die sogenannte Herdenimmunität erreicht wurde, eine natürliche Immunisierung also, die den Erreger daran hindert, sich weiter zu verbreiten.

Tatsächlich flachte die Infektionskurve nach dem schweren Ausbruch im Frühjahr 2020 ab. Restaurants, Bars und auch das weltberühmte Opernhaus öffneten wieder. Spätestens seit Dezember aber werden immer mehr Neuinfektionen gemeldet. Unklar ist, ob dies allein am unbesorgten Umgang der Bevölkerung mit dem Virus liegt oder auch an einer kürzlich entdeckten lokalen Mutation. Sie weist Ähnlichkeiten mit vermutlich sehr viel ansteckenderen Varianten des Erregers auf, die zuletzt in Großbritannien und Südafrika registriert wurden.

Die Armee muss Sauerstoff ein- und Frühgeborene ausfliegen

Dass nun abermals auch wieder das Gesundheitssystem in Manaus kollabiert, liegt zum einen an der Lage der Metropole tief im brasilianischen Amazonasgebiet. Nur wenige Straßen führen in angrenzende Provinzen. "Wir haben keine Verbindung zum Rest von Brasilien", sagte der Bürgermeister der Stadt, David Almeida. "In diesem Moment ist das wie ein Todesurteil." Die brasilianische Armee hat nun begonnen, dringend benötigten Sauerstoff einzufliegen. Zugleich werden Patienten per Flugzeug in andere Bundesstaaten verlegt, unter ihnen Dutzende Frühgeborene.

Auf der anderen Seite ist die katastrophale Situation in der Stadt aber auch auf das Versagen der Politik zurückzuführen. Im Dezember ließ der Gouverneur des Bundesstaats Amazonas, Wilson Lima, das öffentliche Leben einschränken, um so die Ausbreitung des Virus auch in Manaus zu stoppen. Nach massivem öffentlichen Druck wurde das Maßnahmenpaket aber wieder zurückgenommen. Rechte Politiker und Anhänger von Präsident Jair Bolsonaro feierten dies als Erfolg.

Der brasilianische Staatschef hat die Pandemie stets verharmlost. Nach Rücktritten und Entlassungen führt nun Eduardo Pazuello das Gesundheitsministerium, ein General ohne jede medizinische Ausbildung. Unterlagen sollen nun belegen, dass Pazuello schon lange wusste, dass Sauerstoff in Manaus knapp werden könnte. Unternommen habe der Minister aber nichts, stattdessen wies seine Behörde die Ärzte in der Stadt nun an, Patienten Hydroxychloroquin zu verabreichen. Das Mittel wird eigentlich zur Behandlung von Malaria eingesetzt und seine Wirkung gegen Covid-19 ist höchst umstritten.

Präsident Bolsonaro schürt Zweifel an den Impfstoffen

Präsident Jair Bolsonaro sagte am Freitag, seine Regierung habe in Manaus alles getan, was in ihrer Macht stehe. Zugleich hat sich Brasiliens Präsident in den vergangenen Wochen immer wieder demonstrativ gegen alle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gestellt. Mehr als acht Millionen Menschen haben sich in Brasilien bereits mit Corona infiziert, mehr als 200 000 Menschen sind gestorben. Bolsonaro aber nahm am Neujahrstag an einem überfüllten Strand ein Bad in der jubelnden Menge.

Viele Brasilianer zeigen sich trotz teils dramatisch steigender Infektionszahlen unbekümmert. Straßen, Geschäfte, Restaurants und Bars sind voll. Auf der anderen Seite hat die katastrophale Lage in Manaus nun aber auch zu steigendem Widerstand geführt. In fast allen großen Städten des Landes machten Bewohner am Freitag- und Samstagabend mit Töpfen und Pfannen Lärm, als Protest gegen die Regierung. "Bolsonaro raus"-Rufe waren zu hören, andere forderten: "Impfungen jetzt".

Trotz eines gut ausgebauten Impfsystems hat eine Immunisierung in Brasilien noch nicht begonnen. Und schon jetzt schürt der Präsident Zweifel an den Impfstoffen: Er wolle keine Verantwortung für Nebenwirkungen übernehmen. "Wenn du dich in ein Krokodil verwandelst, ist das dein Problem", erklärte der Präsident.

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