Brasilien:Lula verspielt sein politisches Erbe

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Luiz Inácio Lula da Silva sieht sich Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. (Foto: AFP)

Unter seinem früheren Präsidenten stieg Brasilien zu einem wirtschaftlichen und sozialen Modellstaat für Südamerika auf. Davon ist nicht viel übrig. Wie konnte es so weit kommen?

Kommentar von Sebastian Schoepp

Am Telefon fielen zärtliche Worte: "Tchau querida", "Tschüss, meine Liebe", beendet Luiz Inácio Lula da Silva ein Gespräch, bei dem nun ganz Brasilien mithört. Der Richter Sérgio Moro, der Ex-Präsident Lula wegen Korruption ins Gefängnis bringen will, hat die Sache durchsickern lassen.

In dem Gespräch bot Präsidentin Dilma Rousseff ihrem Vorgänger Lula einen Ministerposten an - um ihn zu schützen, wie Moro behauptet. Seitdem haben die Hunderttausende, die in Brasilien für eine Ablösung der Präsidentin auf die Straße gehen, einen neuen Slogan: "Tchau querida", rufen sie, was in diesem Fall nicht zärtlich gemeint ist, sondern heißen soll: Hau endlich ab.

Mit der Vereidigung ihres Vorgängers zum Minister hat Rousseff versucht, Lula zu retten - und ihre Präsidentschaft. Seine Flucht unter das Dach der Immunität wirkte wie ein Schuldeingeständnis. Auch Lula-Anhänger fragen sich: Ist an den Vorwürfen mehr dran? Dieser Meinung scheint jedenfalls der Bundesrichter zu sein, der sogleich gegen die Ernennung vorging.

In der Tat wirken Lula und Dilma in dem Chaos wie zwei Ertrinkende, die sich aneinanderklammern. Zurzeit spricht alles dafür, dass sie gemeinsam untergehen werden, und mit ihnen ein Modell, das nicht nur für Lateinamerika, sondern für die Schwellenländer insgesamt mal vorbildlich war - ein Modell der Emanzipation, der Blockfreiheit, der Verbindung von Marktwirtschaft und sozialer Verantwortung.

Der brasilianische Weg schien nach der Jahrtausendwende die Alternative zu sein zur Dominanz des Nordens. Brasilien, war das nicht ein Vorbild der sogenannten Brics-Staaten - freundlicher als Russland, demokratischer als China, seriöser als Indien, stabiler als Südafrika? Auf Brasilien lastete die Hoffnung des Südens. Und auch im Norden gab es viele, die im empathischen "Lulismus" eine Alternative zum Turbokapitalismus sahen. Davon ist nicht viel übrig. Das Land steckt in der Rezession, die Währung taumelt, die politische Klasse scheint korrumpiert zu sein.

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Brasilianer schadeten sich durch Tollkühnheit

Wie konnte es so weit kommen? Es begann damit, dass das Modell nur finanzierbar war bei hohen Rohstoffpreisen. Zwar hat Brasilien Ansätze einer Diversifizierung der Wirtschaft unternommen, zum Teil mit Erfolg, wie das Flugzeugwerk Embraer zeigt, bei dem auch Lufthansa kauft.

Doch solche Punktlandungen haben die Brasilianer ein wenig tollkühn gemacht. Sie versuchten, in Bereichen mitzuhalten, in denen sie nicht konkurrenzfähig sind, wie der Hochtechnologie. Gleichzeitig schotteten sie sich ab. Wichtigster Exportzweig blieben Landwirtschaft und Rohstoffe, und da hat es das Land nicht geschafft, eigene Wertschöpfungsketten zu etablieren. Chinas Bergwerk zu sein, Chinas Sojaplantage - so wirtschaftet man nicht nachhaltig.

Die Krise trifft nun die stark gewachsene, aber verletzliche Mittelschicht, die spürt, dass ihr nur der Weg zurück nach unten offensteht. Diese Mittelschicht trägt freilich Mitschuld an ihrer Misere: Brasilien in den Boomjahren - das waren Kreditkarte und Konsum auf Pump, ein SUV aus Europa, ein bewachtes Apartment, ein Flachbildfernseher und die Paris-Reise. Alles ging zu schnell, ein typisches Schwellenland-Phänomen.

Es ist diese Schicht, für die Lula und Rousseff jetzt der Ursprung allen Übels sind. Das ist unfair, aber es ist ein typisches Schicksal im personalisierten Politikbetrieb Lateinamerikas. Wenn sich alles auf eine Führungsfigur konzentriert, wird man von der Lichtgestalt schnell zur Unperson, die an allem schuld sein soll.

Nimmt Lula sich selbst nicht mehr ernst?

Paradoxerweise waren es auch Lulas Sozialreformen, die eine große Zahl von Brasilianern erst in die Lage versetzt haben, tiefer über ihr Dasein zu reflektieren und Unmut über eine Gefälligkeitswirtschaft zu entwickeln, die früher als endemisch galt.

Was immer an den Vorwürfen gegen den Ex-Präsidenten dran sein mag - fest steht, dass auch die Widersacher Lulas und Rousseffs nicht gerade wie Hoffnungsträger aussehen: der bigotte Parlamentsvorsteher Eduardo Cunha nicht, der eitle Richter Moro nicht und schon gar nicht der sinistre Vizepräsident Michel Temer. Allesamt sind sie Königsmörder wie aus einem Shakespeare-Drama.

Lula selbst sagte einmal, Lateinamerikas Linke sei in die Jahre gekommen, es sei Zeit für eine Erneuerung. Nun will er mit 70 und mithilfe eines Winkelzugs zurück an die Macht als Rousseffs Schattenpräsident. Nimmt er sich selbst nicht mehr ernst? 2018 will er sogar wieder kandidieren, "um es allen zu zeigen".

So ist Luiz Inácio Lula da Silva dabei, sein politisches Erbe zu verspielen. Er wirkt weniger wie der Retter, der er sein möchte, als wie einst der greise Juan Perón in Argentinien, der 1973 partout zurück ans Ruder wollte - und sein Land ins Chaos stürzte.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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