Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Kandidat in der Zelle

Die Arbeiterpartei nominiert Ex-Präsident Lula für die Präsidentenwahl, obwohl er im Gefängnis sitzt. Aber darf er überhaupt antreten?

Von Sebastian Schoepp

Er führt Wahlkampf hinter Gittern: Brasiliens Arbeiterpartei (PT) hat am Samstag den Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gekürt. In einer Botschaft aus dem Gefängnis rief Lula die Delegierten zu einem "rastlosen Kampf für die Demokratie" auf. Der 72-Jährige bestreitet die Korruptionsvorwürfe, deretwegen er einsitzt. Seine Anhänger glauben, die alten Eliten des Landes hätten eine politisch motivierte Kampagne gegen ihr Idol gefahren, um ihn aus dem Weg zu schaffen.

Lula ist nach den Sozialprogrammen während seiner Amtszeit 2003 bis 2010 immer noch der beliebteste Politiker Brasiliens, allerdings leben die meisten seiner Unterstützer in den Armenvierteln. Von Lulas Nominierung gehe das Signal aus, "einem verdorbenen System zu trotzen", sagte PT-Chefin Gleisi Hoffmann. Trotz der Nominierung ist noch unklar, ob er antreten kann. Lula verbüßt eine zwölfjährige Haftstrafe wegen Verwicklung in eine Korruptionsaffäre und Geldwäsche. Sollte ein Gericht in letzter Instanz entscheiden, dass Lula nicht antreten darf, wäre der Vizepräsidentschaftskandidat an der Reihe. Im Gespräch ist der ehemalige Bürgermeister von São Paulo, Fernando Haddad. Doch der Parteitag traf noch keine Entscheidung.

Neben der Arbeiterpartei nominierten beim "Super-Samstag" in Brasília weitere Parteien ihre Spitzenkandidaten, so dass das Kandidatentableau für die Wahl im Oktober allmählich steht. Nicht dabei ist der derzeitige Amtsinhaber Michel Temer. Der Rechtskonservative ist ebenfalls in eine Reihe von Korruptionsaffären verwickelt, er hat miserable Zustimmungsraten. Für die Mitte-rechts-Partei PSDB kandidiert der 65-jährige Geraldo Alckmin, der schon 2006 gegen Lula verlor und ebenfalls nicht sehr beliebt ist.

Für das Netzwerk Nachhaltigkeit tritt die 60-jährige Marina Silva an, die als einzige Kandidatin Umweltthemen oben auf der Agenda hat und gegen die Abholzung in Amazonien kämpft. Silva war unter Lula Umweltministerin, verließ 2009 dessen Arbeiterpartei und schloss sich den Grünen (Partido Verde) an. Nach ihrem Austritt dort gründete sie 2013 das Netzwerk Nachhaltigkeit (Rede Sustentabilidade). Bei den Präsidentschaftswahlen 2010 und 2014 trat Silva als Kandidatin der Grünen beziehungsweise der Brasilianischen Sozialistischen Partei (PSB) an. Sie belegte jeweils den dritten Platz.

Da keiner der Kandidaten wirklich eine breite Mehrheit anspricht, werden dem ultrarechten Kandidaten Jair Bolsonaro Chancen eingeräumt. Der ehemalige Offizier fiel durch frauenfeindliche und homophobe Sprüche auf, er ist eine Art brasilianischer Donald Trump, der sich häufig in rechtspopulistischer Manier mit den Medien anlegt.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2018
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