Wahlen in Brasilien:Wahlkampf am Sarg der Queen

Wahlen in Brasilien: Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro und seine Frau Michelle bei den Trauerfeierlichkeiten für die verstorbene Queen Elizabeth in London.

Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro und seine Frau Michelle bei den Trauerfeierlichkeiten für die verstorbene Queen Elizabeth in London.

(Foto: Chip Somodevilla/AP)

In London nutzt Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro die Trauerfeierlichkeiten, um sich selbst zu loben. Zu Hause brennt es derweil lichterloh im Amazonas-Regenwald.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Nur etwa zwei Kilometer Luftlinie sind es von der Residenz des brasilianischen Botschafters in London bis zur Westminster Hall im britischen Parlament. Am Sonntag war dort noch immer Königin Elizabeth II. in ihrem Sarg aufgebahrt, da trat Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro auf einen Balkon der Botschafterresidenz. Unten, auf der Straße, hatten sich Anhänger versammelt. "Mito, mito", riefen sie: Mythos, ein bewundernder Spitzname seiner Fans für den rechten Staatschef. Er habe tiefen Respekt vor der königlichen Familie und dem Volk des Vereinigten Königreichs, sagte Bolsonaro. Aber man sei noch wegen etwas anderem hier: "Vor uns liegt ein Moment, der die Zukunft unserer Nation entscheiden wird." Brasilien sei auf dem richtigen Weg, das Land sei ein leuchtendes Beispiel für die Welt. "Unser Motto ist Gott, Heimat, Familie und Freiheit", sagte Bolsonaro. "Es kann nicht anders kommen: Wir werden schon im ersten Durchgang gewinnen!"

Knapp zwei Wochen noch, dann stimmt Brasilien über einen neuen Präsidenten ab. Südamerikas größte Demokratie steht dabei vor einer Richtungswahl: Offiziell bewerben sich knapp ein Dutzend Kandidaten um das höchste Amt im Staat. Schon jetzt aber ist klar, dass es am 2. Oktober vor allem um zwei Männer gehen wird: Brasiliens aktuellen rechten Regierungschef Jair Bolsonaro und den linken Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva.

Alle Umfragen sagen derzeit dem Herausforderer einen klaren Sieg voraus: Schon im ersten Stimmgang soll Lula mehr als zehn Prozentpunkte vor Jair Bolsonaro liegen, und glaubt man den Hochrechnungen, wollen in einer Stichwahl mehr als die Hälfte der Brasilianer für den linken Kandidaten stimmen.

Viele Wähler sind aber auch noch unentschieden, und Jair Bolsonaro hat in den letzten Wochen wieder Boden gutgemacht. Ein Sieg sei immer noch möglich, sagen Beobachter, und in den Augen von Präsident Bolsonaro und seinen Anhängern sogar unausweichlich. Als Beweis führen sie große Massendemonstrationen in den vergangenen Wochen an, die belegen sollen, dass viele Brasilianer hinter dem Präsidenten stehen. Und immer wieder hat der Staatschef in der Vergangenheit auch Zweifel gesät am Wahlsystem. "Wenn wir nicht in der ersten Runde gewinnen, stimmt etwas nicht", sagte Bolsonaro in einem am Sonntag veröffentlichten Interview.

33 000 Brände im Amazonasgebiet: Bauern und Rinderzüchter wollen Tatsachen schaffen

In den vergangenen Wochen ist Brasiliens Staatschef unermüdlich durchs Land getourt. Er war auf Rodeo-Veranstaltungen und bei evangelikalen Gottesdiensten. Dass er nun, mitten im Wahlkampf, zum Begräbnis der britischen Königin gereist ist, werten Beobachter als einen Versuch, den Wählern in seiner Heimat zu demonstrieren, dass seine Regierung im Ausland Unterstützung genießt.

Aus der brasilianischen Presse gab es aber Kritik. "Alter, das ist ein Begräbnis", schrieb Vera Magalhães, eine der bekanntesten brasilianischen Journalistinnen, bei Twitter. Sie war wenige Wochen zuvor vom Staatschef während einer TV-Debatte persönlich angegriffen worden. Bolsonaros Herausforderer Lula da Silva kritisierte den Präsidenten ebenfalls auf Twitter: "Es ist ja löblich, dass Bolsonaro zum Begräbnis der Königin fährt. Noch besser wäre es aber gewesen, wenn er Angehörige und Waisen von Opfern der Covid-19-Pandemie besucht hätte." Brasiliens rechter Staatspräsident hatte die Gefahren des Erregers stets kleingeredet und vor den angeblich negativen Folgen von Impfungen gewarnt.

Je näher die Wahl rückt, desto aufgeheizter wird die Stimmung. In London mussten Polizisten Gegendemonstranten schützen, weil es zu Wortgefechten und wohl auch Handgreiflichkeiten kam. In Brasilien derweil gibt es schon Verletzte und auch Tote: Erst vorvergangene Woche brachte ein Bolsonaro-Anhänger einen Arbeitskollegen um, nachdem dieser ihn in einem Streit über Politik mit einem Messer angegriffen hatte.

Gleichzeitig brennen im Amazonasgebiet so viele Feuer wie schon seit Jahren nicht mehr. Allein im August wurden 33 000 Brandherde vom staatlichen Institut für Weltraumforschung registriert. Mit Satellitenbildern überwacht es die Region. Und schon in der ersten Septemberwoche gab es mehr Brände als im vergangenen Jahr im kompletten Monat.

Bauern und Rinderzüchter, so die Vermutung, wollen vor den Wahlen noch Tatsachen schaffen: Illegal besetztes Gebiet wird entwaldet, um Platz zu schaffen für Rinder und Felder. Unter Präsident Jair Bolsonaro wurden Schutzmechanismen für den Regenwald gezielt geschwächt und Umweltvergehen kaum verfolgt oder bestraft. Der Kandidat der Linken, Lula da Silva, hat aber bereits angekündigt, sich für einen stärkeren Schutz der Natur und des Amazonasregenwaldes starkmachen zu wollen. Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 waren die anfangs noch enorm hohen Abholzungszahlen stark gefallen.

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