Brasilien:Gelb wie der Hass

Das Fußballtrikot des Landes wird zum Symbol der Spaltung.

Von Christoph Gurk

Derzeit wiederholt sich in Brasilien fast jedes Wochenende das immer gleiche Bild: Menschentrauben bilden sich an Strandpromenaden oder ziehen durch Einkaufsstraßen, grölend, fahnenschwenkend und zumeist bekleidet mit den gelb-grünen Trikots der brasilianischen Fußballnationalmannschaft. Als Außenstehender könnte man nun meinen, Brasilien habe mal wieder die Weltmeisterschaft gewonnen, zumindest aber ein wichtiges Gruppenspiel. Den meisten Brasilianern aber ist klar, dass hier keine Fans feiern, sondern die radikale Rechte. Mit Jair Bolsonaro als Präsident hat sie die Macht übernommen in dem lateinamerikanischen Riesenland, dazu aber auch endgültig ein eigentlich urbrasilianisches Symbol für sich gekapert: A amarelinha, das kleine Gelbe.

Stars wie Pelé, Romário oder Ronaldo schossen ihr Land in den gelb-grünen Trikots fünf Mal zum WM-Titel, Rekord und ganzer Stolz einer fußballverrückten Nation. Brasilien ist doppelt so groß wie die EU, mehr als 200 Millionen Menschen leben hier, in gigantischen Städten oder Dörfern im Urwald, in luxuriösen Villen oder Favelas. Über Jahrzehnte hinweg war a amarelhina so etwas wie ihr kleinster gemeinsamer Nenner.

2015 aber protestierten Hunderttausende Brasilianer gegen die damalige linke Präsidentin Dilma Rousseff. Es ging um Korruption, aber auch um Macht und alte Vorbehalte gegenüber ihrer Arbeiterpartei. Deren Farbe ist das Rot, auch darum nutzten Rousseffs Gegner bei den Demonstrationen so gerne Gelb. Fußball und Fahnen drückten dazu auch noch Patriotismus aus. In einem mehr als fragwürdigen Amtsenthebungsverfahren wurde Rousseff 2016 schließlich entmachtet, zwei Jahre später gewann Jair Bolsonaro die Wahlen. Die Feiern zu seinem Sieg glichen den Bildern einer Fanmeile: gelb-grüne Trikots, wohin man sah.

Gemäßigte Fußballfans sprechen mittlerweile von einer Usurpation des Trikots durch Rechte. Um nicht mit den Demokratiefeinden in Verbindung gebracht zu werden, ziehen sich viele das zweite Trikot der Nationalmannschaft an, blau statt gelb. Andere versuchen, a amarelinha wieder für sich zurückzuerobern. Es gibt Aktionen im Netz, und unlängst hat eine große brasilianische Zeitung sogar dazu aufgerufen, bei Pro-Demokratie-Demonstrationen Gelb zu tragen.

Viel zu spät, sagt dagegen der Journalist und Filmemacher João Carlos Assumpção. Er hat eine Kampagne initiiert mit dem Ziel, das Trikot umzuändern, zurück zu den Farben, mit denen Brasilien vor 70 Jahren einmal spielte. Damals lief die brasilianische Nationalmannschaft noch in weiß-blauen Hemden auf, verlor dann aber bei der Fußballweltmeisterschaft 1950 im eigenen Land gegen den kleinen Nachbarn Uruguay. Ein Schock, der wegen des Stadionnamens als Maracanaço in das kollektive Unterbewusstsein einging und so tief saß, dass sogar die Trikots geändert werden mussten.

Heute, 70 Jahre später, sei das Land abermals traumatisiert, sagt Kampagneninitiator João Carlos Assumpção, nicht durch Fußball, sondern die Politik. Ein Trikotwechsel sei darum der einzige Weg: Statt Gelb, der Farbe des Todes, wie Assumpção sagt, zurück zu Weiß, der Farbe des Friedens.

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