Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Ein Heiratsantrag,  eine Kampfansage

Nach der Haftentlassung plant der frühere Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva seine Zukunft - auch ein neuer Anlauf für die Präsidentschaft ist möglich.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Kurz vor seiner Freilassung am Freitag hatte Luiz Inácio Lula da Silva noch ein Video auf Twitter gepostet. Es zeigte ihn beim Fitnesstraining. Brasiliens früherer Präsident und bis dahin wohl berühmtester Häftling des Landes stemmte Hanteln und schwitzte auf dem Laufband. Darunter wummerte das Lied "Eye of the Tiger", bekannt aus dem Film "Rocky III", der vom Comeback eines Boxers handelt. Die Botschaft war eindeutig: Aufgepasst, ich bin wieder da. Um 18 Uhr Ortszeit verließ Lula da Silva sein Gefängnis. Eines der umstrittensten Kapitel der jüngeren brasilianischen Geschichte schloss sich - und ein neues beginnt.

Exakt 580 Tage saß Brasiliens ehemaliger Präsident in Haft, verurteilt, weil er einem Baukonzern lukrative Staatsaufträge zugeschanzt haben soll. Als Gegenleistung habe er eine Luxuswohnung erhalten, so die Staatsanwaltschaft, sie konnte hierfür aber letztendlich nur Indizien und keine Beweise vorlegen. Der Angeklagte selbst bestritt vehement alle Vorwürfe, dennoch wurde Lula 2017 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und damit auch von der Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen 2018 ausgeschlossen.

Das Verfahren gegen ihn bezeichnete Lula von Anfang an als politisch motiviert

Schon einmal hatte Lula da Silva das Land regiert, von 2003 bis 2010. Dank der weltweiten Rohstoffnachfrage erlebte Brasilien damals einen nie dagewesenen Boom. Die Staatskassen waren gut gefüllt und da Silva investierte das Geld in umfangreiche Sozialprogramme. Millionen schafften es so aus der Armut und Lula selbst wurde zu einer Ikone der Linken. Er hatte Chancen, 2018 abermals zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden. Seinen Prozess bezeichnete Lula darum von Anfang an als politisch motiviert, erst sein Ausscheiden machte vermutlich den Wahlsieg von Jair Bolsonaro möglich. Der rechtsextreme Politiker hatte schon vor Amtsantritt versprochen, Lula "im Gefängnis verrotten" zu lassen. Und kaum war Bolsonaro Präsident, machte er Sérgio Moro zu seinem Justizminister - jenen Mann also, der als Ermittlungsrichter maßgeblich dafür verantwortlich war, dass Lula überhaupt erst hinter Gittern landete.

Mit allen erdenklichen Mitteln versuchten da Silvas Anwälte, ihren Mandanten aus dem Gefängnis zu bekommen. Ohne Erfolg. Dass er nun dennoch wieder frei ist, verdankt der linke Politiker dem obersten brasilianischen Gerichtshof. Dieser hatte eine Regelung aufgehoben, die es erlaubte, einen Verurteilten schon vor Ausschöpfung aller Rechtsmittel einzusperren. Damit sollte verhindert werden, dass reiche Angeklagte weitere Prozesse mit Verfahrenstricks immer weiter hinauszögern. Dies sei nach den neuen Änderungen wieder möglich sagen Kritiker. Gleichzeitig aber feiern die Lula-Fans: Jubelnde Anhänger empfingen ihn vor dem Hauptquartiers der Bundespolizei im südbrasilianischen Curitiba, wo er die vergangenen Monate eingesperrt war. Ob er bei der Präsidentenwahl 2022 kandidieren wird, ließ Lula aber offen. Zuvor müsste er noch ein paar juristische Hürden überwinden. Er ist angeklagt in fast einem Dutzend Korruptionsverfahren und es ist möglich, dass er am Ende wieder zurück ins Gefängnis muss.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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