Brasilien:Bald endet das Drama um Dilma Rousseff

Im früheren Wirtschaftswunderland Brasilien steht Präsidentin Rousseff kurz vor ihrer endgültigen Amtsenthebung. Wie es so weit kam - eine Tragödie in acht Akten.

Von Benedikt Peters

Noch wohnt Dilma Rousseff im Präsidentenpalast, aber möglicherweise ist sie schon in wenigen Stunden keine Präsidentin mehr. Im Senatsgebäude der brasilianischen Hauptstadt Brasília debattieren seit Tagen die Senatoren über die endgültige Amtsenthebung der seit Mai suspendierten Staatschefin. Die Senatoren prüfen noch einmal die Vorwürfe, nach denen Rousseff beim Haushalt getrickst haben soll. Rousseff hält sie für politisch motiviert, da das normalerweise nicht für eine Amtsenthebung reicht. Es steht nicht gut um Rousseff, zuletzt hatte sie eine Mehrheit der Senatoren gegen sich. Hinter ihr liegen Monate der Intrigen und Machtkämpfe. Das Lager ihrer Widersacher wird angeführt von Michel Temer, der inzwischen die Interimspräsidentschaft übernommen hat und Rousseff beerben will. Was im brasilianischen Drama bisher geschah:

Erster Akt - "Dilma, meine Königin, ich liebe Dich."

Am 1. Januar 2011 steht Dilma Rousseff auf dem Balkon des Palacio do Planalto, dem Präsidentenpalast von Brasília. Die Menge zu ihren Füßen singt und klatscht, ein Mann reckt ein Schild in die Höhe: "Dilma, meine Königin, ich liebe Dich." Links neben Rousseff steht ihr Vorgänger und Mentor, Luiz Inácio Lula da Silva. Er überreicht ihr die Präsidentenschärpe, dann packt er ihren linken Arm zum gemeinsamen Jubel. Rechts neben der neuen brasilianischen Präsidentin steht Michel Temer, der Chef von Rousseffs wichtigstem Koalitionspartner PMDB, ein Partner - aber kein Freund, wie sich später noch zeigen wird. Ideologisch trennen Temer und Rousseff Welten. Temer zögert. Dann stimmt auch er in den Jubel ein. "Ich bin glücklich wie selten zuvor in meinem Leben", spricht die neue Präsidentin in das Mikrofon. Gemeinsam mit Temer wolle sie Lulas Politik der "herausragenden Transformationen" fortsetzen. In der Tat steht das Land nach acht Jahren unter der Präsidentschaft von Rousseffs politischem Ziehvater blendend da - die Wirtschaft wächst, Millionen Brasilianer steigen in die Mittelschicht auf, man freut sich auf die Fußballweltmeisterschaft und auf Olympia. Rousseff wird richtig liegen, auch in ihrer Präsidentschaft wird es Transformationen geben - aber sie werden für sie alles andere als "herausragend" sein.

Zweiter Akt - Dunkle Wolken

Auf der Avenida Paulista im Zentrum São Paulos sammeln sich die Demonstranten. "Raus mit den KorruPTen!" steht auf einem Schild. Die Buchstaben PT sind großgeschrieben, denn so lautet das Kürzel von Rousseffs linksgerichteter Arbeiterpartei, der Partido dos Trabalhadores. Es ist November 2014, Rousseff ist gerade als Präsidentin wiedergewählt worden, aber ihre zweite Präsidentschaft steht unter einem völlig anderen Stern. Wenige Monate zuvor haben Ermittler um den Bundesrichter Sergio Moro den Petrobras-Skandal öffentlich gemacht - ein gigantisches System aus Schmiergeldzahlungen um den halbstaatlichen Ölkonzern. Heute weiß man: Politiker nahezu aller Parteien sind in die Affäre verstrickt. Die Ermittlungen aber konzentrieren sich auf die Regierungspartei - Kritiker des leitenden Richters Moro werfen ihm eine Kampagne vor. Der Unmut im Volk wächst auch deswegen, weil sich eine wirtschaftliche Rezession breitgemacht hat - Menschen verlieren Jobs, Betriebe machen dicht.

Die Intrige, die gescheiterte Rückkehr, der Showdown

Dritter Akt - Die Intrige

Die Stimme Eduardo Cunhas klingt metallisch, die Telefonverbindung ist schlecht. Doch die Botschaft, die er in einem TV-Interview im Herbst 2014 an die Regierung sendet, ist unmissverständlich. Seine Partei, der PMDB, werde nicht mehr der "automatische Verbündete" der Regierung sein, kündigt er an. Und Cunha, neben Temer der zweite starke Mann in der Partei, wird in den folgenden Monaten ernst machen. Offiziell geht der PMDB zwar erneut eine Koalition mit der wiedergewählten Präsidentin ein, Temer wird wieder ihr Stellvertreter. Inoffiziell aber tut Cunha, inzwischen mit dem mächtigen Amt des Parlamentspräsidenten versehen, alles, um die Regierungsarbeit zu unterlaufen. Ärgerlich ist für ihn: Bis heute gibt es keine plausiblen Hinweise auf Verstrickungen Rousseffs in den Petrobras-Skandal. Daher konstruiert Cunha einen anderen Vorwurf: Rousseff soll im Staatshaushalt Zahlen geschönt haben, um ihre Wiederwahl zu erreichen. Nach Ansicht vieler Juristen reicht das zwar kaum aus für eine Amtsenthebung. Cunha eröffnet das Verfahren im Dezember 2015 trotzdem, sein Amt befähigt ihn dazu. Allerdings: Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament ist nicht zu erreichen, solange der PMDB offiziell an der Seite Rousseffs steht. Die PMDB-Strategen Cunha und Temer treffen sich zu Gesprächen.

Vierter Akt - Die gescheiterte Rückkehr

Im Morgengrauen des 4. März 2016 halten Streifenwagen vor einem Anwesen vor den Toren São Paulos, schwer bewaffnete Polizisten steigen aus. Sie verhaften den Hausherrn: Es ist der frühere Präsident Lula da Silva. Medienwirksam wird er zum Verhör gebracht, wenige Stunden später ist er wieder frei. Der Vorwurf gegen den Expräsidenten lautet auf Vermögensverschleierung und Geldwäsche - und er wird einen Plan vereiteln, mit dem Rousseff ihre Regierung stabilisieren will. Schon zuvor hatte Lula mit einem politischen Comeback geliebäugelt, Mitte März 2016 will ihn die Präsidentin zu ihrem Kabinettschef machen. Der Altmeister, beliebt und berühmt für sein Verhandlungsgeschick, soll die Koalition zusammenhalten und das Volk gewogener machen. Doch der Plan scheitert an den Korruptionsvorwürfen gegen Lula, die bis heute nicht bewiesen sind. Cunha und weitere Oppositionelle verbreiten ihre Version, nach der Lula nur das Ministeramt wolle, um einer Verurteilung zu entgehen. Der Richter Sergio Moro lässt Lulas Telefon abhören und veröffentlicht den Mitschnitt eines Gesprächsprotokolls zwischen Rousseff und Lula, der diesen Plan zweifelsfrei belegen soll - es aber nicht tut.

Fünfter Akt - Der Showdown

Der 11. April ist der Tag, an dem die Intrige offensichtlich wird. Auf dem Tonband klingt Michel Temers Stimme gelassen, ruhig, staatsmännisch. Er hält, wie er selbst sagt, seine "erste Rede an die Nation". Er gibt sich wie der Präsident, der er noch gar nicht ist. Er sei bereit, die gravierenden Probleme anzugehen, die Brasilien heute plagten - wenn der Senat nun bald die Absetzung Rousseffs endlich beschlossen habe. Die Tonbandaufnahme dokumentiert ein Politikertraining: Temer übt für den Moment, in dem er Rousseff die Schärpe abnimmt. Dieser Moment rückt näher. Tage zuvor hat seine Partei den endgültigen Koalitionsbruch verkündet. Ob das Tonband mit der Übungs-Antrittsrede geleakt wurde oder ob Temer die Veröffentlichung lancierte, steht nicht fest. Spätestens seit die Brasilianer dem Training ihres künftigen Staatschefs in Radio und Internet lauschen durften, ist aber jedem klar: Temer - und auch Cunha - geht es nicht um die angeblichen Haushaltstricksereien Rousseffs. Sondern um den Griff nach der Macht.

Temers Triumph, brennende Fahnen, das letzte Tribunal

Sechster Akt - Temers Triumph

Mit einem breiten Lächeln kommt er in den Saal, er trägt Anzug, das weiße Haar ist akkurat zurückgekämmt. Die alten Männer, die ihn umringen, klatschen. Temer hebt den Daumen der rechten Hand. Er ist am Ziel, er ist der neue Präsident, zumindest für die folgenden Monate. Es ist der 13. Mai, am Vortag hat der Senat die Suspendierung Dilma Rousseffs besiegelt. Sie hat die Macht verloren. Eine "Sabotage" sei das, sagt sie, eine "offene Verschwörung", ein "Staatsstreich". Temer zeigt sich davon unbeeindruckt. "Vertraut mir", sagt er in das Mikrofon im Präsidentenpalast. "Vertraut den Werten unserer Leute und unserer Fähigkeit, die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen."

Siebter Akt - Brennende Fahnen

Die Flammen fressen sich durch den grünen Stoff, bald erreichen sie die fünf weißen Ringe, die in der Mitte der Fahne abgebildet sind. Es ist der 6. August, und es sollte eigentlich ein Feiertag sein für die 200 Millionen Brasilianer, gerade hier in Rio de Janeiro. Doch viele der "Cariocas", wie die Bewohner der Stadt genannt werden, gehen nicht zur Eröffnung der Olympischen Spiele, sie gehen auf die Straßen. Sie verbrennen nicht nur Fahnen mit den olympischen Ringen, viele von ihnen recken Schilder in die Höhe. Darauf steht "Temer raus" oder "Dieses Land erlebt einen Staatsstreich". Viele Demonstranten tragen Rot, die Farbe der aus der Regierung gedrängten Arbeiterpartei PT. Die Farbe Dilma Rousseffs. Von den Verbesserungen, die ihr Nachfolger versprochen hat, merken sie nichts. Von sich reden machte die neue, ausschließlich männliche Regierung nur dadurch, dass sie bereits in den ersten Wochen drei Minister verlor. Sie mussten ihr Amt niederlegen - wegen Korruptionsvorwürfen.

Achter Akt - Das letzte Tribunal

Oben auf dem Podest sitzt Ricardo Lewandowski. Der Präsident des Verfassungsgerichts hat die Hände auf das Kinn gestützt und lauscht, die Lippen aufeinandergepresst. Der brasilianische Senat ist in diesen Tagen Ende August kein Senat mehr, er ist ein Tribunal. Die Abgeordneten kommen zusammen und tragen die Vorwürfe gegen Dilma Rousseff vor, Lewandowski führt den Vorsitz. Die Haushaltstricksereien, die Rousseff vorgeworfen werden, hat sie teilweise eingeräumt. Doch das würde normalerweise nicht für eine Amtsenthebung reichen. Am Montag hat sie hier, im Senat, noch einmal selbst gesprochen, um sich zu verteidigen. Doch es sieht nicht gut aus, die meisten der Senatoren gelten als Gegner der Präsidentin. Die finale Abstimmung wird für Dienstag erwartet. Zur Stunde deutet vieles darauf hin, dass Temer dann der neue Präsident Brasiliens wird - und endgültig am Ziel ist.

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