Brasilien:Dilma Rousseff abgesetzt

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Die Präsidentin hat den Machtkampf verloren. Der Senat enthob Dilma Rousseff mit großer Mehrheit ihres Amtes.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Der neue Staatspräsident von Brasilien heißt Michel Temer. Er wird als jener Mann in die Geschichte eingehen, der die viertgrößte Demokratie der Welt regierte, ohne jemals eine Präsidentschaftswahl gewonnen zu haben. Die vor zwei Jahren von gut 54 Millionen Brasilianern gewählte Präsidentin Dilma Rousseff war im Mai vom Parlament zunächst vorübergehend suspendiert worden. Am Donnerstag verlor sie im Senat wie erwartet auch die endgültige Abstimmung im Amtsenthebungsverfahren. 61 von 81 Senatoren stimmten für ihre Absetzung. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde damit deutlich erreicht. Dagegen fand der Antrag auf einen Ausschluss Rousseffs von allen öffentlichen Ämtern für die Dauer von acht Jahren keine Mehrheit.

Es ist das zweite Mal in der brasilianischen Geschichte seit dem Ende der Militärdiktatur 1985, dass ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt per Impeachment abgesetzt wird. Im Fall von Fernando Collor ging es 1992 um Korruption, Rousseff wurden Finanztricks zur Verschleierung des Staatsdefizits zur Last gelegt. Nachdem das Ergebnis auf der Anzeigetafel aufgeleuchtet hatte, brach im Kongressgebäude Jubel aus. Einige Senatoren stimmten die Nationalhymne an.

So schnell wie möglich will Temer das neue Amt verliehen bekommen

Rousseffs einstiger Vizepräsident Michel Temer, 75, darf nun bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2018 übernehmen. Er hat bereits angedeutet, dann nicht mehr für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Nach Lage der Dinge hätte er auch keine Chance. Er ist im Volk so unbeliebt wie die Frau, die er nun ablöst.

Der bisherige Interimspräsident Temer wurde noch am Mittwoch vereidigt. Er hatte alles daran gesetzt, um möglichst schnell auch offiziell das höchste Staatsamt zu übernehmen. Entsprechende Einladungen hatte er bereits vor der finalen Abstimmung in der Senatskammer verschickt.

Unmittelbar danach wollte er zum G 20-Gipfel nach China reisen. Für seine neue Mitte-rechts-Regierung geht es nun vor allem darum, schnellstmöglich die schwere brasilianische Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Damit sollen auch die vielen Zweifler von der Legitimität dieses ungewöhnlichen Regierungswechsels überzeugt werden. Temer kündigte eine Deckelung des Staatsdefizits an, eine Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie eine breite Privatisierungswelle. Offen ist allerdings die Frage, wie viel Zeit er bekommt, um seine Pläne umzusetzen. Zwischen den wichtigen Kommunalwahlen im Oktober und dem Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes für 2018 bleibt nur ein kurzes Zeitfenster, um unbequeme Reformen zu verkünden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass bald auch gegen Temer ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird - wegen seiner mutmaßlichen Verwicklung in mehrere Korruptionsaffären.

Der promovierte Jurist Temer ist der Sohn einer katholischen Familie aus Libanon, die vor etwa 90 Jahren nach Brasilien ausgewandert ist. Er war schon zweimal Präsident der brasilianischen Abgeordnetenkammer. Anfang des Jahres war Temer mit seiner Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) aus der Regierungskoalition mit Rousseffs Arbeiterpartei ausgetreten. Er selbst blieb trotzdem Vizepräsident, um seine langjährige Chefin im Amtsenthebungsverfahren stürzen zu können. Durch neue Bündnisse bekam er die dafür notwendigen Mehrheiten zusammen.

Brasiliens bisherige Präsidentin Rousseff hatte dieses Verfahren bis zuletzt als "parlamentarischen Putsch" verurteilt. Sie argumentierte, die im Impeachment-Antrag aufgeführten Vorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage. Ihre Ankläger sehen es als erwiesen an, dass sie mit der Vorlage eines geschönten Staatshaushalts ein "Verbrechen gegen ihre Verantwortung als Präsidentin" beging. Ob damit allerdings auch die Voraussetzungen erfüllt sind, die laut der brasilianischen Verfassung ein Verfahren zur Amtsenthebung rechtfertigen, ist juristisch hoch umstritten.

"Ein parlamentarischer Putsch": Brasiliens abgesetzte Präsidentin Dilma Rousseff sieht sich als Opfer einer Intrige. (Foto: Mario Tama/Getty Images)
© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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