Brasilien:Der Präsident will bleiben

Jair Bolsonaro bekommt die Corona-Krise nicht in den Griff, doch er hat viele Anhänger. Seine Gegner sind so verzweifelt, dass sie einen Staatsstreich ersehnen. Das aber wäre fatal.

Von Christoph Gurk

Auch in Brasilien fragen sich Menschen gerade, wann wohl alles vorbei ist. Anders als im Rest der Welt geht es ihnen dabei aber nicht nur um die Corona-Pandemie, sondern auch um die Regierung ihres rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro. Dessen Kabinett bröckelt, der politische Rückhalt schwindet, die Opposition verbündet sich gegen ihn und der Oberste Gerichtshof torpediert seine Politik. Nun laufen auch noch Ermittlungen gegen das Staatsoberhaupt. Er soll sich in Untersuchungen der Bundespolizei eingemischt haben, um seine Söhne vor den Strafermittlern zu schützen. Der Präsident wankt, so scheint es, dennoch aber sollte man sich keine Illusionen machen: Ein Ende wird so schnell nicht kommen, gewiss wird es kein Happy End geben. Denn Bolsonaro wird nicht freiwillig gehen. So bliebe nur der erzwungene Abgang, mit gravierenden Konsequenzen.

Eine Möglichkeit, um Bolsonaro aus der Staatsspitze zu entfernen, wäre eine Amtsenthebung. Solch ein Verfahren ist aber langwierig und hat in der Bevölkerung keinen Rückhalt. Bereits 2016 entzweite die Amtsenthebung der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff das Land. Ein weiteres Verfahren, zumal in einer der größten Krisen der vergangenen Jahrzehnte, lehnen 48 Prozent der Brasilianer nach einer aktuellen Umfrage ab, nur 45 Prozent sind dafür. Die Daten des Instituts Datafolha zeigen auch, dass zwar die Zufriedenheit mit dem Handeln des Präsidenten in der Corona-Krise schwindet, seine allgemeinen Zustimmungswerte aber steigen: So bezeichneten im Dezember 30 Prozent der Befragten die Regierung als gut oder sehr gut, heute sind es sogar 33. Andere Umfragen kommen zwar zu anderen Ergebnissen, auch bei ihnen aber sind es konstant fast ein Drittel der Befragten, die hinter Bolsonaro stehen, komme was wolle. Ein Amtsenthebungsverfahren würde Bolsonaro für die radikale Rechte in einen Märtyrer verwandeln.

So bleibt nur als Alternative: Eine Machtübernahme des Militärs. Die Generäle sind schon jetzt die wichtigste Stütze des Präsidenten, besetzen bedeutende Posten und werden immer präsenter in der Öffentlichkeit. Schon seit Wochen gibt es Spekulationen, ob sie nicht längst die Macht an sich gerissen haben und Bolsonaro als Marionette nur noch ihre Befehle ausführt. Das ist natürlich nicht wahr, doch selbst wenn dem so wäre, würde die Situation wohl ziemlich schnell unhaltbar, viel zu unberechenbar ist Bolsonaro und eine Schattenregierung in Zeiten einer Pandemie wäre kaum praktikabel.

Dann also lieber gleich die Entmachtung durch einen klassischen Staatsstreich? In Brasilien hätte diese Option durchaus ihre Unterstützer. Sie wäre aber nicht nur undemokratisch, sondern auch gefährlich. 1964 putschten sich Generäle zuletzt an die Macht, es folgten Folter, Mord und bleierne Jahre. Eine Rückkehr von Lateinamerikas heute größter Demokratie auf diesen Pfad wäre ein fatales Zeichen für die ganze Region.

Am Ende bleibt so nur das Warten. Darauf, dass der Rückhalt des Präsidenten schwindet. Dafür wären wohl einschneidende Ereignisse notwendig. Covid-19 könnte sie liefern. Die Todeszahlen steigen, die Wirtschaft bricht ein. Nach Zehntausenden Toten, Massenarbeitslosigkeit und allgemeiner Not könnte man den Präsidenten vielleicht aus dem Amt bekommen. Aber selbst dessen größte Kritiker werden sich so ein Ende nicht wünschen, dem Land und seinen Bewohnern zuliebe.

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