Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Bolsonaros umstrittene Superminister

  • Brasiliens neu gewählter Präsident Bolsonaro ernennt mehrere umstrittene Vertraute zu Ministern.
  • Der Richter Moro wird Justizminister und ist auch noch für öffentliche Ordnung zuständig: Er hat Ex-Präsident Lula ins Gefängnis gebracht und so die Chancen des rechtsextremen Kandidaten Bolsonaro erhöht.
  • Der Wirtschaftsideologe Guedes will als Superminister für Wirtschaft und Finanzen privatisieren und die Importbarrieren abbauen, die die Industrie stärken sollten.
  • Bolsonaro kündigt außerdem an, gegen kritische Zeitungen vorgehen und das Waffengesetz lockern zu wollen.

Von Sebastian Schoepp

Am Tag nach der großen Einschüchterung hält die derzeit wichtigste Gegnerin des künftigen brasilianischen Präsidenten Kurs. Am Sonntag hatte Jair Bolsonaro Journalisten von Folha de S. Paulo und anderen Zeitungen von seiner ersten großen Pressekonferenz ausgesperrt. Aus den Motiven machte er keinen Hehl: "Diese Zeitung ist erledigt", sagte er über Folha, der er die öffentlichen Anzeigenaufträge entziehen will, weil sie im Wahlkampf kritisch über seine Methoden berichtet hatte. Am Montag titelte das Blatt aus São Paulo, Brasilien brauche Einheit und keine Spaltung, und zitierte Banker der großen Itaú-Bank als Kronzeugen.

Zweites großes Thema war die Berufung des Ermittlungsrichters Sérgio Moro zum Justizminister. Damit werde das Bild der Korruptionsermittlungen im Zuge des Lava-Jato-Skandals zerstört, so Folha. Moro hatte die Verurteilung des früheren Präsidenten Lula da Silva zu einer langen Haftstrafe erreicht, was nicht nur nach Meinung der keineswegs linken Folha allmählich wie ein Komplott aussieht: ein Richter bringt mittels dünner Indizien den aussichtsreichsten linken Kandidaten ins Gefängnis; das Bild von dessen Arbeiterpartei ist demoliert; der rechtsextreme Hinterbänkler Jair Bolsonaro kann sich als Saubermann profilieren und gewinnt die Wahl - und macht eben jenen Richter nicht nur zum Justizminister, sondern zu einer Art Superminister. Moro soll auch die öffentliche Ordnung unterstehen, die größte Sorge der meisten Brasilianer angesichts der rekordverdächtigen Kriminalitätsraten.

Vor Jahresfrist hatte Moro abgestritten, dass er in die Politik will. Jetzt sagte der kantige Richter, es sei ihm "eine Ehre", den Posten anzunehmen. Er kündigte strenge Maßnahmen gegen Korruption an, seine Gegner befürchten, dass damit vor allem die Korruption in den Oppositionsparteien gemeint sein dürfte, weniger bei den Ministerkandidaten, die Bolsonaro zur Durchsetzung seines "autoritären Projekts" (Folha) präsentiert und von denen keineswegs alle über jeden Verdacht erhaben sind.

Während die Arbeiterpartei in ihrer Regierungszeit der Ansicht folgte, man müsse den Armen den Aufstieg ermöglichen, um die Gewalt zu reduzieren, hat das Team Bolsonaro eine andere Analyse: Es setzt auf mão dura, die harte Hand. Ein Gesetzesvorhaben ist Bolsonaro so wichtig, dass er es noch vor seinem Amtsantritt 2019 durchs Parlament bringen will: die Liberalisierung des Waffengesetzes. "Jeder, der will, soll eine Waffe zu Hause haben, um seine Familie zu verteidigen", hat er gesagt. Das klingt stark nach Donald Trump und USA, was kein Zufall ist. Auch Brasiliens Gründungsmythos fußt auf gewaltsamer Landnahme und das Recht des Stärkeren seit den Zeiten der bandeirantes, der Glücksritter, die seit dem 17. Jahrhundert auf der Suche nach Gold, Diamanten und Sklaven das Landesinnere eroberten. Da will Bolsonaro offenbar wieder hin.

"Wir werden nun im Geiste des Thatcherismus regiert"

Sozialpolitik zur Armutsbekämpfung dürfte bei ihm keine Chance haben, das zeigt die Berufung von Paulo Guedes zum Superminister für Wirtschaft und Finanzen: Der politikunerfahrene marktliberale Wirtschaftsideologe will privatisieren und die Importbarrieren abbauen, mit denen die frühere Regierung versucht hatte, Brasiliens Industrie zu stärken. Guedes setzt auf Freihandel, das wird vor allem die Chinesen freuen, die Hauptabnehmer von Brasiliens Rohstoffen sind.

Allerdings dürfte Guedes mit Bolsonaro über die Privatisierung des Giganten Petrobras in Streit geraten. Vor allem die Generäle sind dagegen, und die spielen in Bolsonaros Truppe eine wichtige Rolle. So wird Guedes sich wohl als erstes an Renten und Pensionen machen, "Privilegien reduzieren" nennt er das, was nichts anders heißen soll, als zu sparen, um Brasiliens Defizit in den Griff zu bekommen. "Wir werden nun im Geiste des Thatcherismus regiert", schreibt dazu Kommentator Vinicius Mota in Folha.

Freies Spiel der Kräfte, das geht in einem Agrarland wie Brasilien leicht zu Lasten des Amazonas, fürchten Umweltschützer. Immerhin ist Bolsonaros ursprünglicher Plan vom Tisch, Umwelt- und Agrarministerium im Zuge seiner geplanten Verringerung der Ministerien zusammenzulegen, also eigentlich: die Umwelt der Landwirtschaft unterzuordnen.

Ängste ausgelöst hat Bolsonaros Wahl vor allem bei der LGBT-Community. Folha berichtet von einer Heiratswelle bei Homosexuellen, die befürchten, dass die neue Regierung liberale Regelungen zurücknehmen wird: Die Schwulenehe ist kein Gesetz, nur ein von der Justiz garantiertes Recht. Unruhe löste die Meldung aus, der erzreaktionäre evangelikale Prediger Magno Malta solle Familienminister werden.

Ansonsten darf Folha sich in guter Gesellschaft fühlen. Sie berichtete, Anhänger Bolsonaros hätten eine Liste mit Namen von 700 Kulturschaffenden veröffentlicht, die sie zu "Feinden" erklären. Unter ihnen sind die Schauspielerinnen Camila Pitanga und Patrícia Pillar, der Schriftsteller Fernando Morais, die Musiker Caetano Veloso, Chico Buarque und Gilberto Gil sowie die Theologen Frei Betto und Leonardo Boff. Bossa-Nova-Star Chico Buarque erlebt das nicht zum ersten Mal. Er musste schon während der Diktatur in den 1960er-Jahren ins Exil.

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SZ vom 06.11.2018/jsa
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