Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Der Präsident und sein General

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Jair Bolsonaro liegt weit abgeschlagen in den Umfragewerten - doch statt um mehr Stimmen zu kämpfen, setzt er auf einen alten Vertrauten: das Militär.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Am Ende war es für die Kritiker Jair Bolsonaros wohl keine böse Überraschung, dennoch bleibt eine üble Vorahnung: Am Sonntag hat Brasiliens Präsident bekannt gegeben, dass er Walter Braga Netto zu seinem Vize-Kandidaten bei den Wahlen im Oktober machen will. Der General ist ein enger Vertrauter Bolsonaros, schon in der aktuellen Regierung hat er mitgearbeitet, unter anderem als Verteidigungsminister. Walter Braga Netto galt vielen darum als logische Wahl für den Posten des Kandidaten für die Vize-Präsidentschaft.

In den letzten Wochen waren allerdings auch Zweifel aufgetaucht: In Umfragen liegt Bolsonaro weit abgeschlagen auf einem zweiten Platz hinter seinem Herausforderer, dem brasilianischen Ex-Präsidenten Lula da Silva. Vor allem bei den Wählerinnen hat Bolsonaro kaum Rückhalt: Sein auf Männlichkeit, Waffen und Konfrontation ausgerichteter Kurs scheint bei den Brasilianerinnen nicht zu verfangen. Nicht einmal ein Viertel von ihnen gab an, für Bolsonaro stimmen zu wollen.

Es gab darum die Hoffnung im Umfeld des Präsidenten, dass man mit einer weiblichen Anwärterin für die Vizepräsidentschaft eventuell Stimmen bei den Frauen im Land generieren könnte. Schnell war auch eine geeignete Kandidatin gefunden, Tereza Cristina, eine Agraringenieurin, die bis vor Kurzem noch Landwirtschaftsministerin war. Im besten Fall hätte sie nicht nur mehr Wählerinnen überzeugt, sondern auch noch für zusätzlichen Rückhalt im mächtigen Agrarsektor gesorgt. Aber: Bolsonaro entschied sich anders und die Frage ist: warum?

Einmal, so berichten es Stimmen aus dem Umfeld des Präsidenten, habe dieser Angst, dass Tereza Cristina ihm im Falle einer Regierungskrise in den Rücken fallen könnte. Die 67 Jahre alte Politikerin gehört dem mächtigen Zentrumsblock im Parlament an, sie ist gut vernetzt und könnte, sollte es zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Bolsonaro kommen, dazu beitragen, dass der Präsident stürzt.

Vor seiner Laufbahn als Politiker war Bolsonaro Hauptmann bei den Fallschirmjägern

Und auf der anderen Seite ist da eben auch noch jener alte Verbündete, auf den Jair Bolsonaro sich in den letzten Jahren stets verlassen konnte: das Militär.

Kein anderer Präsident in der jüngeren Geschichte des Landes stand in so enger Verbindung zu den Streitkräften wie er. Vor seiner Laufbahn als Politiker war Jair Bolsonaro selbst Hauptmann bei den Fallschirmjägern. Später, in seiner Zeit als Abgeordneter, suchte er stets die Nähe zum Militär. Und als Präsident holte er dann schließlich so viele Armee-Angehörige in zivile Posten wie noch kein demokratisch gewählter Amtsinhaber vor ihm. Mehrere Kabinettsmitglieder waren aktive oder ehemalige Militärs und schon jetzt ist Bolsonaros Vizepräsident ein General.

Diese Nähe hat schon früher immer wieder Bedenken ausgelöst über die Rolle und die Macht der Streitkräfte in Brasilien: Gerade einmal etwas mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit Brasilien nach einer blutigen Militärdiktatur zur Demokratie zurückgekehrt ist. Bis heute ist dieses Kapitel in der Geschichte des Landes nur unvollständig aufgearbeitet, konservative Kreise verklären die damalige Zeit als Jahrzehnte der Ordnung und des Fortschritts. Auch Präsident Jair Bolsonaro lobt immer wieder die Diktatur, und sein zukünftiger Kandidat für die Vizepräsidentschaft, Walter Braga Netto, bezeichnete noch vor Kurzem den Putsch von 1964 als "wichtigen Schritt" in der Geschichte Brasiliens, der dazu diente, "die Ordnung im Land wiederherzustellen".

Seine Umfragewerte sind schlecht, und Bolsonaro kritisiert das Wahlsystem

All dies löst bei Kritikern von Brasiliens rechtem Präsidenten Sorge aus. Denn während seine Umfragewerte konstant schlecht bleiben, kritisiert Jair Bolsonaro immer expliziter das Wahlsystem im Land: Wähler geben in Brasilien ihre Stimmen an elektronischen Wahlmaschinen ab. Unabhängige Experten haben diese als weitgehend zuverlässig eingestuft, Bolsonaro aber fürchtet Manipulation. Sollte er die Abstimmung im Oktober nicht gewinnen, so der Präsident, liege dies höchstwahrscheinlich daran, dass es Betrug gegeben hätte. "Eine neue Klasse von Dieben hat sich in unserem Land gebildet", sagte Bolsonaro vor ein paar Wochen bei einer Veranstaltung. "Sie wollen unsere Freiheit stehlen. Aber wenn es notwendig ist, dann ziehen wir in den Krieg."

Längst ist es aber eben auch nicht mehr nur der Präsident, der Zweifel an dem Wahlsystem sät: Auch Angehörige der Armee üben immer öfter öffentlich Kritik. Und selbst wenn Brasiliens Militär nicht geschlossen hinter Jair Bolsonaro steht, fragen sich nun immer mehr Beobachter, was passieren würde, wenn es im Land zu einer Situation kommen würde, wie es sie vergangenes Jahr im Januar in den USA gegeben hatte, als Anhänger des damals noch amtierenden, aber bereits abgewählten US-Präsidenten Donald Trump den Kongress stürmten. Bolsonaro war damals einer der wenigen Politiker weltweit, der diesen Angriff nicht sofort verurteilte. Er selbst warnte erst vor wenigen Tagen wieder vor einer "Tragödie": "Jeder weiß doch, was hier abläuft".

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