Putsch-Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsident:Jair Bolsonaro muss vor Gericht

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Brasiliens ehemaliger Präsident Jair Bolsonaro am Montag in São Paulo. (Foto: Amanda Perobelli/Reuters)

Dem ehemaligen Staatschef von Brasilien wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, einen Putsch geplant zu haben – und sogar die Ermordung politischer Gegner. Der Oberste Gerichtshof hat die Anklage nun zugelassen.

Von Christoph Gurk

Es war keine plötzliche Explosion, sondern eher eine geplante Sprengung, die am Mittwochmittag Ortszeit Brasilien erschütterte: Jair Bolsonaro, Ex-Präsident des südamerikanischen Landes von 2019 bis 2022, wird ein Prozess gemacht, wegen der Planung eines Putsches und der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Schon im Februar hatte die brasilianische Generalstaatsanwaltschaft deswegen Klage eingereicht beim Obersten Gerichtshof. Mehrere Wochen lang hatten die Richter dort den Antrag geprüft – und diesem nun am Mittwoch einstimmig stattgegeben.

Überraschend ist das nicht, und selbst Jair Bolsonaro hatte wohl damit gerechnet, dass er sich bald vor Gericht verantworten muss. Und dennoch: Für Brasilien ist der Prozess ein Meilenstein. Denn er wird nicht nur klären müssen, ob der ehemalige Staatschef an den Grundpfeilern der Demokratie in Brasilien – immerhin die größte in ganz Südamerika – gesägt hat. Es geht auch darum, in welche Richtung das Land in naher Zukunft steuert.

Die Vorwürfe gegen Jair Bolsonaro und ein halbes Dutzend Mitangeklagte wiegen schwer: Versuch der gewaltsamen Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats, Bildung einer kriminellen Vereinigung, geplanter Mord. Fast 900 Seiten umfassen die Untersuchungsakten, zusammengetragen von der brasilianischen Bundespolizei. In mühsamer Kleinarbeit haben die Beamten eine Vielzahl von Zeugen vernommen, Wohnungen und Büros durchsucht, ebenso wie Handys und Computer. Die Hinweise, die sie dabei gefunden haben, ließen die Ermittler und die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Schluss kommen, dass es wohl schon 2021 erste Überlegungen im Umfeld des damals noch amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro gegeben haben soll, sich im Falle einer Wahlniederlage im darauffolgenden Jahr mit Gewalt an der Macht zu halten.

Anhänger Bolsonaros stürmten im Januar 2023 zu Tausenden das Regierungsviertel

Diese Pläne seien spätestens dann konkreter geworden, nachdem der aktuelle Präsident Brasiliens, Luiz Inácio Lula da Silva, im Oktober 2022 tatsächlich die Wahlen gewonnen hatte. In den Tagen nach der Abstimmung blockierten Anhänger von Jair Bolsonaro im ganzen Land Straßen. Und einige Wochen später, im Januar 2023, stürmten sie schließlich zu Tausenden das Regierungsviertel in Brasília, drangen in den Kongress ein, ebenso wie in das Gebäude des Obersten Gerichtshofs.

Jair Bolsonaro und seine mutmaßlichen Mittäter, glaubt die Staatsanwaltschaft, hätten geplant, den Ausnahmezustand ausrufen zu lassen. Eine Übergangsregierung hätte die Macht übernehmen sollen, alles mit Unterstützung oder zumindest der Billigung des brasilianischen Militärs. Lula selbst sollte wohl vergiftet werden, ebenso wie es Teil des Plans gewesen sei, den aktuellen Vizepräsidenten zu ermorden und auch mindestens einen Richter des Obersten Gerichtshofs.

Jair Bolsonaro soll von der Verschwörung nicht nur gewusst, sondern das Putschvorhaben gebilligt und sogar unterstützt haben, so der Vorwurf. Mit dem Ex-Präsidenten zusammen müssen sich sieben weitere Personen vor Gericht verantworten, darunter auch der ehemalige Leiter des brasilianischen Geheimdienstes und Walter Braga Netto, ein hochrangiger Ex-General, der unter Jair Bolsonaro Verteidigungsminister war. Er wurde schon im Dezember festgenommen, weil er die Ermittler beim Sammeln von Beweismaterial behindert haben soll.

Die Verbrechen der Militärdiktatur sind nur ungenügend aufbereitet, Täter kamen größtenteils nie vor Gericht

Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen allen langjährige Haftstrafen: Allein auf den Vorwurf des Putschversuchs stehen in Brasilien bis zu 12 Jahre Gefängnis. Zusammen mit den anderen Vorwürfen würden sich die Strafen auf bis zu 43 Jahre summieren. Jair Bolsonaro ist erst vor wenigen Tagen 70 Jahre alt geworden. Es wäre also möglich, dass er, sollten die Richter ihn für schuldig befinden, den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringt.

Für Brasilien ist der Prozess auch deshalb hochbrisant, weil gerade einmal vier Jahrzehnte vergangen sind seit dem Ende der letzten Militärdiktatur. Ihre Verbrechen – darunter Entführung, Folter und Mord - sind bisher nur ungenügend aufgearbeitet, und Täter kamen größtenteils nie vor Gericht. In Teilen der Streitkräfte wird der Putsch von 1964 stattdessen immer noch als „militärische Revolution“ bezeichnet - notwendig demnach, um unter anderem die angebliche Gefahr einer Machtergreifung durch Marxisten und Kommunisten abzuwenden.

Große Teile der brasilianischen Rechten folgen diesem Diskurs bis heute, ebenso wie Jair Bolsonaro selbst: Vor seiner Laufbahn als Politiker war er Hauptmann bei den Fallschirmjägern, und bis heute bezeichnet er Carlos Alberto Brilhante Ustra als eines seiner größten Vorbilder, einen ehemaligen Armeeoffizier und verurteiten Folterknecht.

Bei der Anhörung des Obersten Gerichtshofs am Dienstag und Mittwoch saßen auch Angehörige von Diktaturopfern mit im Saal, ebenso wie Jair Bolsonaro selbst. Der Ex-Präsident hat bisher alle Vorwürfe vehement bestritten. „Absurd“ seien die Anschuldigungen, sagt Bolsonaro, und er sei Opfer von „politischer Verfolgung“: „Ich bin unschuldig“, beteuerte der rechtsextreme Ex-Präsident noch vor ein paar Tagen in einem Interview. Der Prozess diene allein dazu, ihn von den 2026 stattfindenden Wahlen in Brasilien auszuschließen.

"So wie es derzeit aussieht, werde ich kandidieren"

Spätestens hier ist man dann von der Aufarbeitung der Vergangenheit in Brasilien zu den Weichenstellungen für die Zukunft des Landes angelangt. Denn antreten dürfte Jair Bolsonaro laut derzeitigem Stand bei den kommenden Präsidentschaftswahlen eigentlich nicht: 2023 hatte ein Gericht ihn für „unwählbar“ erklärt, weil er noch während seiner Amtszeit Gerüchte über einen angeblich geplanten Wahlbetrug der Linken geschürt hatte. Bis 2030 darf sich Bolsonaro darum nicht auf öffentliche Ämter bewerben. Der rechtsextreme Politiker aber will gegen die Entscheidung vorgehen. Er zeigt sich überzeugt: „So wie es derzeit aussieht, werde ich kandidieren.“

Der rechtsextreme ehemalige brasilianische Staatschef hofft dabei auch auf die Unterstützung von Donald Trump: Der US-Präsident sei schließlich ebenfalls ins Weiße Haus zurückgekehrt, so Bolsonaro, trotz „juristischer Probleme“. Die Regierung in Washington soll nun dabei helfen, eine Verurteilung zu verhindern. Teil dieser Strategie ist es, den Obersten Gerichtshof zu diskreditieren, ebenso wie die Arbeit der brasilianischen Bundespolizei. Und es dürfte somit auch kein Zufall sein, dass Eduardo Bolsonaro, einer der Söhne von Jair Bolsonaro, sich derzeit in den USA befindet: Dort sucht und pflegt er die Kontakte zur US-amerikanischen Rechten, ebenso wie er Stimmung macht gegen das Verfahren am Obersten Gerichtshof: Dessen Richter seien „Psychopathen“, so der Sohn des Ex-Präsidenten, die brasilianische Bundespolizei bezeichnet er als „Gestapo“.

Wie groß das Interesse in Brasilien an dem Prozess ist, zeigte sich am Dienstag und Mittwoch: Trotz teilweise trockener juristischer Argumentationen folgten zeitweilig mehrere Zehntausend Zuschauer dem Livestream des Obersten Gerichtshofs im Netz.

Gleichzeitig aber war die Anhörung auch ein Symbol dafür, wie angespannt die Stimmung ist in Südamerikas größer Demokratie: Schon im Vorfeld waren die Sicherheitsvorkehrungen massiv erhöht worden, und Spezialisten hatten das Gebäude des Obersten Gerichts durchsucht. Sie sollten ein mögliches Attentat verhindern – beispielsweise durch eine Bombe.

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