Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Bolsonaro gerät unter Druck

  • Ein Richter des Obersten Gerichts genehmigt ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten.
  • Brisant ist das vor allem auch deshalb, weil die Causa potenziell in ein Amtsenthebungsverfahren münden könnte.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und sein enges Umfeld stehen zunehmend im Fokus der Justiz. Am späten Montagabend genehmigte ein Richter des Obersten Gerichts die Eröffnung eines Verfahrens gegen das Staatsoberhaupt. Brisant ist das vor allem auch deshalb, weil die Ermittlungen potenziell in ein Amtsenthebungsverfahren münden könnten.

Bolsonaro wird vorgeworfen, politischen Einfluss auf Untersuchungen der Bundespolizei genommen zu haben. Der rechtsextreme Politiker habe verhindern wollen, so der Verdacht, dass die brasilianische Behörde weitere Ermittlungen gegen drei seiner Söhne anstrengt. Diese sind selbst in der Politik aktiv und gelten als enge Berater des Präsidenten. Außerdem werden sie seit Längerem verdächtigt, in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein.

So wird unter anderem wegen Korruption, Geldwäsche und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation gegen sie ermittelt. Zudem haben sie enge Verbindungen zu Mitgliedern der mafiösen und paramilitärischen Milizen, die in Rio de Janeiro ganze Stadtviertel unter Kontrolle haben und den dortigen Handel mit Drogen steuern. Bolsonaros zweitältester Sohn Carlos soll darüber hinaus der Kopf hinter mindestens einer Fake-News-Kampagne gewesen sein.

Laut Berichten der brasilianischen Tageszeitung Folha de S. Paulo stand er deswegen kurz vor einer Verhaftung durch die Bundespolizei. Dann aber entließ Präsident Bolsonaro am Freitag vergangener Woche den Leiter der Behörde. Nachfolger im Amt soll ein enger Freund der Präsidentensöhne werden.

In Brasilien löste der Eingriff des Präsidenten und die Nachbesetzung einen Sturm der Entrüstung aus. Wenige Stunden nach der Entlassung des obersten Bundespolizisten gab Justizminister Sérgio Moro seinen Rücktritt bekannt. Er galt als einer der Stars der aktuellen Regierung und sicherte dem rechtsextremen Präsidenten Rückhalt bei gemäßigteren konservativen Kreisen.

Bei einer Pressekonferenz am Freitag begründete Moro seinen Rücktritt mit der in seinen Augen untragbaren politischen Einflussnahme des Präsidenten auf die Belange und Ermittlungen der Bundespolizei. Moro werden dabei aber selber Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt. Ob die Anschuldigungen des ehemaligen Justizministers wahr sind, will nun die oberste Staatsanwaltschaft untersuchen lassen.

Dem brasilianischen Präsidenten werden unter anderem Behinderung der Justiz, Pflichtverletzung und passive Korruption vorgeworfen. Zwar verhindert die brasilianische Verfassung, dass ein Staatsoberhaupt wegen üblicher Vergehen vor Gericht gestellt wird.

Stehen diese aber im Zusammenhang mit dem Amt, ist ein Verfahren dennoch möglich. "Niemand steht über dem Gesetz", sagte Celso de Mello am Montagabend. Als Richter am Obersten Gerichtshof Brasiliens hatte er die Eröffnung eines Verfahrens genehmigt. Die brasilianische Bundespolizei hat nun 60 Tage Zeit, um den ehemaligen Justizminister Moro zu den von ihm erhobenen Vorwürfen zu befragen.

Auch die meisten Gouverneure stellen sich gegen den rechtsextremen Präsidenten

Moro war selbst lange Bundesrichter und hat es als Kämpfer gegen Korruption zu landesweitem Ruhm gebracht. Zuletzt geriet er aber auch in die Kritik, weil Hinweise auf Absprachen zwischen ihm und Staatsanwälten öffentlich wurden. Sie sollen belegen, dass Moro aktiv eine Verurteilung von Brasiliens linkem Ex-Präsidenten Lula da Silva vorangetrieben hat. Dessen Inhaftierung 2018 machte vermutlich erst den Weg frei für einen Sieg Bolsonaros bei den Präsidentschaftswahlen im selben Jahr.

Sollten sich die jetzigen Anschuldigungen Moros gegen den Präsidenten als falsch erweisen, droht ihm eine Anklage wegen Falschaussage. Geben die Ermittler Moro aber recht, stünde am Ende die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Bolsonaro.

Die Ermittlungen verschärfen die Krise, in der das Land steckt. Das Coronavirus breitet sich aus, in einigen Städten werden Massengräber ausgehoben und Rio de Janeiro will Leichen aus Platzmangel in Kühlcontainern lagern. Die Wirtschaft brach zuletzt dramatisch ein, die Währung verliert an Wert und Bolsonaro immer mehr politischen Rückhalt.

Die US-Regierung prüft die Verhängung eines Einreiseverbots für Brasilianer, wie Präsident Donald Trump am Dienstag sagte. Die Gouverneure der brasilianischen Bundesstaaten haben sich mehrheitlich gegen Bolsonaro gewandt, das Kabinett zerbricht. Den Posten von Justizminister Moro wollte Bolsonaro zunächst mit einem Freund der Söhne nachbesetzen. Nach öffentlicher Kritik soll nun aber der ehemalige Staatsanwalt André Mendonça den Posten übernehmen.

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SZ vom 29.04.2020
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