Brasilien:Regierung Bolsonaro im freien Fall

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Ein Graffito in Sao Paulo zeigt ein Tauziehen zwischen Ärzten auf der einen Seite und Brasiliens Präsident Bolsonaro auf der anderen. Unterstützt wird der Staatschef dabei vom Coronavirus. (Foto: AP)

Vertraute des Präsidenten stürzen oder werden verhaftet, das Virus verbreitet sich in erschreckendem Tempo. Das Kabinett versinkt im Chaos.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Während in Brasilien die Zahl der mit dem neuartigen Coronavirus infizierten Patienten auf über eine Million gestiegen ist, versinkt die Regierung des Landes immer mehr im Chaos. Am Donnerstag erklärte der brasilianische Bildungsminister Abraham Weintraub seinen Rücktritt. Der frühere Investmentbanker galt als rechter Hardliner in der Regierung. Er beklagte eine "sozialistische Unterwanderung" seines Ministeriums und kürzte öffentlichen Universitäten drastisch Gelder, weil er sie für einen Hort des Kommunismus hielt.

Auch in anderen Bereichen der Politik mischte Weintraub sich ein. In den vergangenen Wochen fiel er durch rassistische Ausfälle gegen China im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie auf. Dazu verglich er Hausdurchsuchungen der Bundespolizei bei Bolsonaro-Befürwortern vor einigen Wochen mit der Kristallnacht vom 9. November 1938 in Nazi-Deutschland. Und die Richter des Obersten Gerichtshofes bezeichnete er als "Penner", die eingesperrt gehörten.

Weintraubs Rücktritt ist wohl die Konsequenz des immer größer werdenden Drucks durch die brasilianische Justiz. Sie ermittelt wegen seiner rassistischen Äußerungen und einer Verstrickung in ein Fake-News-Netzwerk gegen ihn. Für die Regierung von Jair Bolsonaro ist Weintraubs Weggang ein ärgerlicher Verlust. Der Minister war vor allem bei den immer wichtiger werdenden Anhängern vom rechten Rand beliebt. Dazu wird der Rücktritt als Niederlage der Regierung im Kampf mit dem Obersten Gerichtshof gewertet.

TV-Sender übertrugen die Verhaftung live

Fast zeitgleich mit dem Rücktritt von Weintraub verhaftete die brasilianische Polizei am Donnerstag auch noch Fabrício Queiroz, einen engen Vertrauten der Familie Bolsonaro. Der Präsident und der ehemalige Polizeibeamte kennen sich seit den 1980er Jahren. Zuletzt arbeitete der 54-Jährige offiziell unter anderem als Fahrer für Bolsonaros Sohn Flávio. Inoffiziell soll Queiroz aber dem selbst in Politik aktiven Präsidentensohn dabei geholfen haben, öffentliche Mittel auf eigene Konten abzuzweigen. Für Jair Bolsonaro könnte die Affäre unangenehme Folgen haben. Er war 2018 vor allem auch deshalb ins Amt gewählt worden, weil er vielen Brasilianern als politischer Außenseiter galt, ohne Verstrickungen in die weit verbreitete Kultur der Korruption in der Politik, Vetternwirtschaft und der eigenen Bereicherung.

Der Präsident und seine Familie bestreiten alle Vorwürfe, Queiroz selbst war nach Bekanntwerden der Vorwürfe geflüchtet. Nun hat ihn die Bundespolizei in der Nähe von São Paulo verhaftet, auf dem Anwesen eines der Anwälte der Bolsonaro-Familie. In Brasilien hat die Verhaftung für enormes Aufsehen gesorgt. Aus Helikoptern heraus übertrugen Kamerateams den Zugriff live im Fernsehen.

Die Justiz erhöht den Druck auf den brasilianischen Präsidenten. So läuft bereits eine andere Untersuchung gegen Bolsonaro: Er soll sein politisches Amt und seine Macht genutzt haben, um Ermittlungen der Bundespolizei gegen seine Söhne zu behindern. Dazu sinken die Zustimmungswerte gegen den Präsidenten im Zuge der Coronapandemie immer weiter. Noch am Freitagabend könnte das Land die Marke von mehr als einer Million Infizierten überschreiten.

© SZ vom 20.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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