Jair Bolsonaro:Triumph mit System

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Gibt gern den starken Mann: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro bei einer Parade am brasilianischen Unabhängigkeitstag. (Foto: Evaristo Sa/AFP)
  • Jair Bolsonaro amtiert seit einem Jahr als Präsident in Brasilien. Mit seinem wüsten Politikstil hat er bislang Erfolg.
  • Er diffamiert Konkurrenten, wettert gegen Hollywood-Stars und bezeichnet sich öffentlich als schwulenfeindlich.
  • Für seine Anhänger ist er damit ein Held im Kampf gegen internationale Kräfte. Doch seine Rohheit treibt die Spaltung der brasilianischen Bevölkerung voran.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires, und Benedikt Peters, Buenos Aires

Ganz am Ende seines ersten Jahres im Amt wurde Jair Bolsonaro doch noch versöhnlich, zumindest auf den ersten Blick. Es ist in Brasilien Tradition, dass der Staatschef vor Weihnachten verurteilte Straftäter begnadigt, ausgerechnet Bolsonaro war dabei besonders generös: Bereits nach dem Verbüßen von nur einem Sechstel ihrer Strafe könnten ausgewählte Verbrecher aus dem Knast entlassen werden, heißt es in einem am 24. Dezember veröffentlichten Dekret. Allerdings, und das ist der Haken, gilt die Bestimmung nur für Polizisten und Soldaten, die wegen Vergehen während ihrer Einsätze verurteilt wurden: weil sie Verdächtige einfach abgeknallt oder Unbeteiligte erschossen haben.

Eigentlich hatte Bolsonaro vor, solche Delikte überhaupt nicht mehr unter Strafe zu stellen, er scheiterte aber am Kongress. Die Begnadigung ist darum weniger ein Akt der weihnachtlichen Nächstenliebe, sondern vor allem ein später Triumph: Der Präsident will damit zeigen, dass er gewonnen hat, mal wieder, allem Widerstand zum Trotz.

Bei Bolsonaro haben Streit und Beleidigungen System

Dieses Schauspiel vom Unbeugsamen wiederholt sich Woche für Woche, seit Bolsonaro am 1. Januar 2019 sein Amt angetreten hat. Der ultrarechte Politiker kämpft dabei mit Journalisten, Umweltschützern, Politikern, internationalen Stars und selbst mit der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg. Man könnte das alles als das irrlichternde Handeln eines konfusen Staatschefs interpretieren. Das aber wäre ein Fehler. Denn die Beleidigungen und der Streit haben System.

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Als Bolsonaro 2018 die Stimmen von 55 Prozent der Wähler bekam, war Brasilien in einer schwierigen Lage. Nach Jahren des Booms stagnierte die Wirtschaft, Millionen hatten keinen Job, die Armut wuchs, und die Menschen litten unter hoher Kriminalität. Bolsonaro versprach, mit all dem endlich aufzuräumen. Allen voran wollte er mit der Korruption Schluss machen. Dazu schlug er keine konkreten Maßnahmen vor, stattdessen installierte er ein Feindbild, Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva. Puppen von Lula im Sträflingskostüm trugen Bolsonaros-Anhänger bei Demos durch die Straßen. Lula kam in den Knast und Bolsonaro in den Präsidentenpalast, ein Triumph, an dem auch die spätere Freilassung des Ex-Präsidenten nichts mehr ändern konnte, genauso wenig wie Hinweise darauf, dass Bolsonaro und seine Familie ebenfalls in unsaubere Geschäfte verstrickt sind. Als ein Journalist den Präsidenten unlängst auf diese Vorwürfe ansprach, reagierte Bolsonaro mit homophoben Beschimpfungen. Anwesende Anhänger jubelten und johlten, vergessen war jeder Verdacht. Das System Bolsonaro: Es hatte mal wieder funktioniert.

Der Präsident befördert die Rodungen im Amazonasgebiet

Ganz ähnlich ging Bolsonaro auch bei seiner bisher größten Herausforderung vor, der Abholzung des Amazonasgebiets und der internationalen Kritik daran. Für Brasiliens Präsident ist der Wald ein ungehobener Schatz. Dort, wo heute noch Baumriesen stehen, sollen bald Rinder grasen und Bergbauunternehmen nach Bodenschätzen graben. Das soll die angeschlagene Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Als Abholzung und Brandrodung in den Monaten nach dem Amtsantritt sprunghaft anstiegen, enthob Bolsonaro unangenehme Kritiker - soweit es ging - ihrer Posten. Als sich dann internationale Staatschefs und Stars einschalteten und gegen die Rodungen protestierten, machte Bolsonaro wieder das, was er immer macht: Er schimpfte und beleidigte. Organisationen aus dem Ausland hätten die Brände gelegt, um Brasilien in Misskredit zu bringen, behauptete er. Angeführt würden sie von niemand geringeren als dem Hollywoodschauspieler Leonardo DiCaprio, der sein Geld in diese Organisationen stecke. Die Weltpresse schüttelte den Kopf über diese Ausfälle, für viele Bolsonaro-Fans war aus dem Kampf gegen die Abholzung aber auf einmal ein Kampf gegen internationale Kräfte geworden, die sich in die Geschicke des Landes einmischen wollten. Je länger es im Amazonasgebiet brannte, umso besser stand ihr Präsident für sie da.

Genau die gleiche Taktik wandte der Präsident an, als eine Ölpest die Strände im Norden des Landes verschmutzte. Und nach dem gleichen System konterte er Kritik an seinen Kürzungen im Bildungs- und Kulturbereich. Hier machte die Regierung vermeintlich linke Kräfte zum Feindbild. Wenn Studenten demonstrieren, sind sie für Bolsonaro nur Faulenzer und Idioten; wenn Geld für Theater- und Filmproduktionen gestrichen werden, dann ist das Teil eines Kampfes gegen Kommunisten und Gender-Ideologen, die ihre Weltsicht in Brasilien verbreiten wollten. Bolsonaro fordert "ideologische Filter" für die Vergabe von Fördergeldern, und er wünscht sich einen Evangelikalen als Direktor des Filminstituts. Vorbild wäre die Nationale Kunststiftung. Ihr neuer Vorsitzender glaubt, Rockmusik führe zu Abtreibungen und Satanismus.

Noch gibt es Widerstand gegen Bolsonaro und seine Politik. Immer wieder werden Gesetzesvorhaben von Richtern gestoppt, und besonders radikale Maßnahmen scheitern im Parlament. Bolsonaro kann Brasilien nicht so radikal umbauen, wie er gerne würde. Er und seine Gefolgschaft graben aber immer neue Löcher in das Fundament der Demokratie. Sie fordern die Rückkehr zu den Notstandsgesetzen der Diktatur oder verfestigen die Gräben, die es in der brasilianischen Gesellschaft ohnehin schon gibt.

Bolsonaro nannte sich selbst "homophob und stolz darauf"

Zwar deuten die bisher verfügbaren Statistiken nicht darauf hin, dass die Gewalt gegen Homosexuelle unter Bolsonaro angestiegen ist. Sie bleibt allerdings hoch: Beinahe jeden Tag wird in Brasilien ein Mensch aus homophoben Motiven ermordet. Es ist nicht zu erwarten, dass sich das künftig bessert. Schon im Wahlkampf hatte Bolsonaro sich als "homophob und stolz darauf" bezeichnet und immer wieder gegen Schwule gehetzt. In einem früheren Interview hatte Bolsonaro außerdem gesagt: "Ich könnte keinen schwulen Sohn lieben. Ich hätte lieber, dass er bei einem Autounfall sterben würde."

Besonders dramatisch ist die Lage in den Favelas von Rio oder São Paulo. Hier, sagen Kritiker, führe die Polizei einen Krieg gegen Arme und Schwarze, angefeuert von Bolsonaro, der öffentlich erklärt hat, er sehe kein Problem darin, wenn Polizisten Menschen töten. Tatsächlich gibt es täglich Opfer von Polizeigewalt, darunter Kinder. Allein in Rio geht heute fast ein Viertel der Morde auf das Konto der Polizei. Viel zu befürchten haben die Beamten nicht: Nur ein Bruchteil der Taten wird untersucht. Und sollten sie dennoch im Gefängnis landen, haben die Polizisten keine schlechten Chancen, nach Weihachten wieder aus dem Knast zu kommen, begnadigt von ihrem Präsidenten höchstpersönlich.

© SZ vom 02.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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