Brasilien:Bandenkrieg im Knast

Unruhen in brasilianischem Gefängnis

Was ist da drin los? Angehörige von Gefängnisinsassen diskutieren in Manaus mit der Polizei.

(Foto: Edmar Barros/dpa)

57 Gefangene sterben bei Revolten und Kämpfen in amazonischen Strafanstalten. Dort tobt ein brutaler Krieg zwischen verfeindeten Gangs.

Von Christoph Gurk

Es war gerade Besuchszeit in der brasilianischen Strafanstalt Anísio Jobim, als das Morden losging. Am Sonntagmittag um kurz vor 12 Uhr stürmten Insassen die Zellen von Mithäftlingen, stachen mit spitz gefeilten Stielen von Zahnbürsten auf sie ein, erstickten ihre Opfer mit Handtüchern oder erwürgten sie mit bloßen Händen. Die Haftanstalt liegt etwa 30 Kilometer nördlich der tropischen Millionenmetropole Manaus, am Rande des Amazonas-Urwalds.

Es dauerte 45 Minuten, bis die Wärter die Lage unter Kontrolle hatten, doch da hatte es schon 15 Tote gegeben, und die Gewalt breitete sich weiter aus. Bis zum Montag kam es in drei weiteren Gefängnissen des Bundesstaates Amazonas zu Ausschreitungen, mit mindestens 42 weiteren Toten. Gouverneur Wilson Lima erklärte am Montag, eine Sondereinheit sei bereits auf dem Weg, zusätzlich habe er mit Justizminister Sérgio Moro gesprochen: Er erhofft sich von dem Minister Hilfe bei der Lösung der nationalen Krise - denn eine solche ist die Lage in den Gefängnissen.

Brasilien ist weltweit nach den USA und China das Land mit der drittgrößten Zahl von Häftlingen. Von 2008 auf 2018 hat sich die Zahl der Insassen fast verdoppelt, 841 000 Menschen saßen im letzten Jahr in Brasilien hinter Gittern, viele von ihnen in Untersuchungshaft und noch ohne rechtskräftiges Urteil. Die brasilianische Justiz ist überfordert, und die Gefängnisse sind überfüllt. Landesweit sind sie nur für etwa 400 000 Menschen ausgelegt, darum leben in manchen Haftanstalten dreimal so viele Insassen wie eigentlich vorgesehen. Immer wieder kommt es zu Meutereien und Gewalt, zwischen Insassen genauso wie zwischen Wärtern und Häftlingen.

Als Reaktion darauf haben sich in den Gefängnissen schon vor Jahrzehnten Gangs gebildet, zum Beispiel das Comando Vermelho in Rio de Janeiro oder das Primeiro Comando da Capital in São Paulo. Beide Gangs haben sich von Selbstschutzorganisationen in mafiöse und gewalttätige Großunternehmen verwandelt, die große Teile des landesweiten Rauschgifthandels kontrollieren. Mehrere Zehntausend Mitglieder soll allein das Primeiro Comando da Capital heute in ganz Brasilien haben, und weil viele Mitglieder hinter Gittern sitzen, sind die Gefängnisse längst fest in der Hand der Gangs. Sie kontrollieren den Drogenhandel in den Haftanstalten, tragen dort aber gleichzeitig auch ihre Kämpfe untereinander aus.

Schon 2017 kam es deshalb in nordbrasilianischen Haftanstalten zu schweren Unruhen. Häftlinge hackten anderen Insassen die Köpfe ab oder rissen ihnen Herz und Eingeweide heraus, mit dem Blut ihrer Opfer schrieben sie die Namen ihrer Gangs an die Gefängnismauern. Nach drei Wochen waren 150 Menschen gestorben, und die sonst der Gefängnisgewalt gegenüber eher abgestumpfte brasilianische Bevölkerung war aufgerüttelt durch die pure Brutalität der Massaker.

In der Folge wurde ein Sondereinsatzkommando mit speziell geschulten Gefängniswärtern gebildet, und die Polizeipräsenz wurde erhöht, die Gangs wurden getrennt voneinander untergebracht, Häftlinge öfter verlegt. Die Erfolge jedoch blieben aus, die Macht der Banden ist ungebrochen und die Auseinandersetzungen gehen weiter, vor allem im Norden des Landes, wo die besonders lukrativen Schmuggelrouten für Drogen liegen.

Der erneute Gewaltausbruch in den Haftanstalten rund um Manaus ist also alles andere als überraschend, er bringt die Regierung von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro aber dennoch in Erklärungsnot. Bolsonaro war im Januar mit dem Versprechen angetreten, die chaotische Situation in den Gefängnissen unter Kontrolle zu bringen. Dass ihm das bisher nicht gelungen ist, beweisen die Unruhen in Manaus. Gleichzeitig setzt sich der ehemalige Fallschirmjäger aber auch für härtere Strafen ein, das hieße: noch mehr Gefangene. Es ist fraglich, ob der Neubau von Haftanstalten, den Bolsonaro ebenfalls angekündigt hat, mit dem Anstieg der Häftlingszahlen mithalten kann.

In Manaus zumindest scheint die Situation derzeit unter Kontrolle zu sein. Gefährdete Häftlinge seien zu ihrem eigenen Schutz verlegt worden, sagte Vinicius Almeida, der Chef der Gefängnisbehörde des Bundesstaats. Darüber hinaus habe man Besuche für 30 Tage suspendiert und werte nun die Bilder der Sicherheitskameras aus. Die Motive für den Ausbruch der Gewalt seien noch unklar, erklärte Almeida, vermutlich handele es sich aber um einen Streit zwischen Gangmitgliedern.

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