Brasilien:Abrechnung eines Clowns

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Sieben Jahre lang saß Francisco Oliveira Silva im Parlament – dabei kandidierte er nur aus Spaß. Heute wirft der Berufsclown den Politikern Untätigkeit und Bereicherung vor. (Foto: Sebastiao Moreira/dpa)

Der Abgeordnete Francisco Oliveira Silva führt in seiner ersten und letzten Rede das Parlament vor. Er wirft den Politikern Untätigkeit und Bereicherung vor.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Der Abgeordnete Tiririca, 52, sitzt seit sieben Jahren im brasilianischen Parlament. Jetzt hat er seine erste Rede vom Podium gehalten und, wie er umgehend ankündigte, war es auch die letzte. Sein Thema: Die Schamlosigkeit der gesamten politischen Klasse im Land. "Alles absolut peinlich", sagte Tiririca. Selbstverständlich hat er auch einen bürgerlichen Namen: Francisco Oliveira Silva. Aber den benutzt er weder als Politiker noch in seinem Hauptberuf als Clown. Es sollte eigentlich ein Witz sein, als er sich 2010 mit Perücke, Hütchen und Kostüm im Wahlkampf präsentierte. Sein Slogan lautete: "Vote Tiririca, pior que tá não fica!" (Schlimmer als es ist, kann es mit mir auch nicht werden.) Das leuchtete den Leuten ein. Tiririca erzielte eines der drei besten Stimmenergebnisse aller Direktkandidaten in der Geschichte der brasilianischen Demokratie. Überzeugend war offenbar auch sein Wahlprogramm: "Weißt du, was ein Abgeordneter macht? Ich auch nicht, aber wähle mich, dann erzähl' ich es dir."

Inzwischen weiß er, was im Kongressgebäude von Brasília zu tun ist: "Privilegien genießen, sich bereichern und warten, bis der Tag vergeht." Tiririca (frei übersetzt: der Miesepeter) saß in diesen sieben Jahren stets in einer Ecke des Saals, auf den Stühlen für die Besucher. In seiner Antritts- und Abschiedsrede vom Dienstag räumte er ein: "Ich habe nichts gearbeitet, wie fast alle hier, aber das zumindest mit erhobenem Haupt." Die Botschaft, die er hinterlässt, lautet: Die eigentlichen Clowns, das sind die anderen.

Das brasilianische Unterhaus besteht derzeit aus 513 Parlamentariern. Gegen mehr als die Hälfte wird oder wurde schon einmal polizeilich ermittelt. Neben der fast schon zur Folklore gehörenden Korruption geht es auch um Vorwürfe wie Kidnapping, Bildung einer verbrecherischen Vereinigung oder Mord. Diese ehrenwerte Gesellschaft verteilt sich auf 28 Parteien, die draußen niemand aufzählen kann und deren Schwindel schon beim Namen beginnt. Die Sozialdemokraten sind konservativ, die Progressiven rückständig und die "Partei der brasilianischen Frau" zog mit zwei Männern ins Parlament ein. Derzeit ist die Bank der Frauenpartei verwaist, weil ihre Abgeordneten munter zwischen den Fraktionen hin- und herwechseln - je nachdem, wo mehr Privilegien und Posten zu holen sind. In Umfragen stellt die Zustimmung zu diesem Parlamentarismus einen Negativrekord nach dem nächsten auf. Viele Brasilianer sind offenbar der Ansicht: Wenn wir schon von einem Zirkus regiert werden, dann sollte wenigstens ein professioneller Spaßvogel mitmachen. 2014 wurde Tiririca wiedergewählt, mit dem landesweit zweitbesten Ergebnis.

Wie ihm sein Lächeln abhandenkam? Der parlamentarische Putsch gegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff im vergangenen Jahr kann es nicht gewesen sein, Tiririca hat ihn mit seiner Stimme unterstützt. Womöglich waren es die beiden Abstimmungen aus diesem Jahr, mit denen dieselben Parlamentarier die Strafverfolgung gegen Rousseffs Nachfolger, Michel Temer, blockierten und sich dafür fürstlich entlohnen ließen. Vielleicht hat Tiririca aber auch einfach eingesehen, dass seine Satire nicht mehr funktioniert, weil sie sich kaum noch von der Realität unterscheidet. Jetzt tritt er als Politiker ab, "unendlich traurig", wie er sagt. Schon an diesem Samstag ist er in der Dschungelmetropole Manaus wieder als Clown zu erleben.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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