Süddeutsche Zeitung

Abwahl von Stephan Brandner:Ein außergewöhnlicher, aber demokratischer Vorgang

Lesezeit: 2 min

Mit der Abwahl des AfD-Politikers haben die Abgeordneten konsequent ihre Rechte wahrgenommen. Brandners Fraktion sieht sich als Opfer - und belegt damit nur, dass sie kaum mehr ist als eine Partei der Ressentiments und Affekte.

Kommentar von Jens Schneider, Berlin

Die AfD fühlt sich wieder mal verfolgt. Nach der Abwahl des bisherigen Rechtsausschuss-Vorsitzenden Stephan Brandner empört sich seine Fraktionsspitze gemeinsam mit dem auch nach der Abwahl noch unkontrollierten Juristen aus Thüringen. Der AfD-Politiker Brandner schimpft. Er spitzt zu. Er will nichts verstehen. Er greift weiter an und im Ton daneben. Unterstützt wird er von seinen Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland, die mit ihrer Reaktion demonstrieren, dass auch sie nichts verstanden haben.

Die AfD möchte gern zum bürgerlichen Lager gezählt werden. Im Fall Brandner führen ihre Politiker jetzt vor, dass sie - sobald sie unter Druck geraten - gar nicht bürgerlich auftreten können, weil ihnen Maß und Mitte fehlen und jede Fähigkeit zur Selbstkritik abgeht. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sie - nicht nur Brandner - allein für diese Entwicklung verantwortlich sind.

Vor zwei Jahren nominierte die AfD ihn für den wichtigen Rechtsausschuss des Bundestags, obwohl er zuvor im Wahlkampf durch üble Unflätigkeiten aufgefallen war, die keine Partei akzeptieren dürfte und die so wenig bürgerlich sind wie eine Wirtshauspöbelei. Im Thüringer Landtag sammelte Brandner mit Entgleisungen Ordnungsrufe, ohne Respekt für andere Abgeordnete oder politische Kontrahenten, und war noch stolz darauf. Weil die AfD das Anrecht auf den Posten hatte, hievten die anderen Fraktionen ihn ins Amt. Brandner aber lernte nichts hinzu. Er twitterte oder teilte Tweets, die beklemmend und würdelos sind - und weit entfernt von dem, was ein Ausschussvorsitzender des Bundestags sagen sollte.

Die AfD übt die bewährte Opferrolle vorwärts

Das gilt auch für den jüngsten Tweet, der Empörung auslöste. Brandner hatte den Sänger Udo Lindenberg, im Grunde aber auch den Bundespräsidenten beleidigt. Sein Einwand, dass die Verwendung des Ausdrucks "Judaslohn" nicht als antisemitisch verstanden werden könne und auch andere Abgeordnete von den Grünen oder der SPD den Begriff schon nutzten, macht seinen Tweet nicht weniger eklig. Wenn nun ein einstiger Staatskanzlei-Chef der CDU wie Alexander Gauland das nicht spürt, zeigt dies, wie auch ihm im engen geistigen Tunnel seiner Parteiwelt das Empfinden für den richtigen Ton verloren gegangen zu sein scheint.

Die Ablösung Brandners ist richtig und notwendig gewesen. Die Abgeordneten im Ausschuss haben sehr wohl das Recht zu entscheiden, wer sie nach außen vertreten soll. Die Ablösung ist ein außergewöhnlicher Schritt in einer außergewöhnlichen Situation. Aber was daran undemokratisch sein soll, wie die AfD behauptet, lässt sich nicht erkennen - im Gegenteil, die Parlamentarier haben konsequent ihre Rechte wahrgenommen. Und sie sprechen der AfD nun nicht das Recht ab, den Posten neu zu besetzen, der der größten Oppositionspartei, wie im Ältestenrat verabredet, zusteht.

Die AfD versucht wie immer, Kapital aus der Sache zu schlagen. Sie inszeniert sich, wieder einmal, als Opfer. In sozialen Netzwerken kann man schon sehen, dass die Anhänger ihr folgen und Brandners Pöbeleien schätzen. Aber das hilft ihr nicht, wenn sie - wie ihre Köpfe gern behaupten - mehr sein will als eine Partei der Ressentiments. Die AfD-Fraktion müsste jetzt zeigen, dass sie diesen Posten entsprechend seiner Würde besetzen kann. Es sieht einstweilen nicht so aus, als könnte sie das. Sie steckt in einer selbst geschaffenen Sackgasse.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4679999
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.