Süddeutsche Zeitung

Koalitionen:Wir leben in einer "Bundesrepublik Kenia"

In Sachsen und Brandenburg wollen CDU, SPD und Grüne zusammenarbeiten. Das ist kein ostdeutsches Phänomen: Im Bund regiert praktisch schon eine Kenia-Koalition.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Was ist in den vergangenen Jahren nicht alles vorausgesagt worden: Die einen sahen eine Ära der Jamaika-Koalitionen anbrechen, andere setzten wegen der rot-grün-roten Regierung in Bremen auf linke Mehrheiten auch anderswo. Doch gekommen ist jetzt "Kenia". In Sachsen und Brandenburg loten CDU, SPD und Grüne ein derartiges Bündnis aus. In Sachsen-Anhalt gibt es bereits eine solche Koalition. All das nur für ein ostdeutsches Phänomen zu halten, wäre falsch. Denn auch im Bund regiert faktisch längst ein Bündnis aus Union, SPD und Grünen. Wir leben politisch in einer "Bundesrepublik Kenia".

Union und SPD mögen über die Mehrheit im Bundestag verfügen. Um auch im Bundesrat zu reüssieren, brauchen sie aber die Unterstützung der Grünen. Wie groß deren Macht ist, demonstrieren sie gerade: Die Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck haben angekündigt, die Stärke ihrer Partei im Bundesrat dafür zu nutzen, das Klimapaket der großen Koalition zu verschärfen.

Falls es in Brandenburg und Sachsen zu Kenia-Koalitionen kommt, werden die Grünen an elf der 16 Landesregierungen beteiligt sein - und damit an genauso vielen wie Union oder SPD. Weil die Koalitionsverträge vorsehen, dass sich ein Land im Bundesrat enthalten muss, wenn sich dessen Regierungspartner nicht einigen können, und Enthaltungen faktisch wie Neinstimmen gezählt werden, können die Grünen bereits jetzt alle zustimmungspflichtigen Gesetze blockieren. Und davon gibt es trotz der Föderalismusreformen immer noch jede Menge. Mehr als ein Drittel aller Gesetzentwürfe, die der Bundestag beschließt, müssen auch vom Bundesrat gebilligt werden, um in Kraft treten zu können. Dazu gehören auch wichtige Teile des Klimapakets.

Für all jene, denen das Klimapaket nicht weit genug geht, mag das eine gute Nachricht sein. Für die Effizienz und Transparenz des politischen Systems generell ist es aber keine. "Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie", hat der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal gesagt. Das stimmt. Richtig ist aber auch, dass es der Demokratie abträglich ist, wenn die Bürger nicht mehr genau erkennen können, welche Partei wofür verantwortlich ist.

Zuständigkeiten von Bund und Ländern müssten entflochten werden

Die Erosion der Volksparteien hat auch den Bundesrat verändert. Wenn es in Brandenburg und Sachsen zu Kenia-Koalitionen kommt, werden zum ersten Mal die Hälfte aller Landesregierungen Dreierbündnisse sein. Schon in vielen Zweierkoalitionen sind Kompromisse nicht einfach zu erzielen, in Dreierkoalitionen ist es noch schwerer. Bereits jetzt retten sich deshalb Landesregierungen oft in eine Enthaltung - auch das verwischt Verantwortlichkeiten.

Den Landesregierungen vorzuschreiben, sich im Bundesrat entscheiden zu müssen, ist trotzdem keine gute Lösung. Die Vorgabe würde viele Dreierbündnisse regelmäßig an den Rand des Scheiterns bringen. Stattdessen ist eine neue Föderalismusreform nötig. Statt die Zuständigkeiten von Bund und Ländern - wie mit dem Digitalpakt für die Schulen - immer weiter zu verschränken, müssten sie dringend entflochten werden.

An der Lage würde sich übrigens auch bei einer schwarz-grünen Koalition im Bund nichts ändern. Die bräuchte dann nämlich die Unterstützung SPD-regierter Länder. Es bliebe also bei der "Bundesrepublik Kenia".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4612200
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.09.2019/jael/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.