Süddeutsche Zeitung

Brandenburg:Konkrete Poesie

Manche freuten sich "grandios", andere waren "zu Tränen gerührt". SPD, CDU und Grüne rühmen ihren Koalitionsvertrag, der viele Versprechungen birgt.

Von Jan Heidtmann, Potsdam

Kurz konnte man den Eindruck gewinnen, in der falschen Veranstaltung gelandet zu sein. Auf die gut 80 Seiten gemeinsamer Arbeit verweisend, sagte die Verhandlungsführerin der Grünen, Ursula Nonnemacher, die Präambel haben einen Kollegen "zu Tränen gerührt". Brandenburgs CDU-Chef Michael Stübgen wiederum meinte, "ich freue mich auch, ja fast grandios", und Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte schon vorher bemerkt, das Papier sei von "poetischer Schönheit".

Was nach einem Werk irgendwo zwischen Theodor Fontane und Rosamunde Pilcher klingt, ist der Koalitionsvertrag von SPD, CDU und Grünen. Dass er nun, knapp acht Wochen nach der Landtagswahl, vorliegt, ist tatsächlich bemerkenswert. Doch statt Poesie sind es vor allem die sehr konkreten Vorgaben, die die langwierigen und präzisen Verhandlungen dokumentieren. Überschrieben ist der Vertrag mit den Schlagworten "Zusammenhalt, Nachhaltigkeit, Sicherheit". Doch wollte man eine Klammer für den Geist der Vereinbarung finden, hieße die am ehesten "mehr".

In fast allen Bereichen kündigen die zukünftigen Koalitionspartner zusätzliche Ausgaben und zusätzliches Personal an. So soll es mehr Züge, mehr Sitzplätze und mehr Verbindungen für die Pendler zwischen Brandenburg und Berlin geben. Eine "Wohnungsbauoffensive" ist geplant, die zahlreichen Mobilfunklöcher im Land sollen nun gestopft werden, in zwei Jahren werde der gesamte Kindergartenbereich für Kinder ab drei Jahren für die Eltern beitragsfrei sein. Ministerpräsident Woidke sprach von einem "Jahrzehnt der Investitionen" für Brandenburg. Dazu gehörten auch 400 neue Fachkräfte für die Schulen des Landes, 300 zusätzliche Polizisten und 30 Millionen zusätzlich für die Pflege.

Dafür will das Bündnis eine Milliarde Euro zusätzlicher Schulden machen. Diese sollen in einen Zukunftsinvestitionsfonds fließen, mit dem über die kommenden zehn Jahre ausschließlich reine Investitionen zum Beispiel im Klimaschutz finanziert werden sollen. Die Verhandler wollen damit die Angleichung der Lebensverhältnisse in allen Regionen Brandenburgs unterstützen. Die Vorgaben der Schuldenbremse sollen dabei eingehalten werden; auch angesichts der niedrigen Zinsen waren sich die Verhandler einig, dass dies jetzt der richtige Schritt sei.

"Lust auf Zukunft" sei eines der unausgesprochenen Signale, die von diesem Koalitionsvertrag ausgehen sollen, sagte Nonnemacher. Mit diesem Papier gingen alle Beteiligten "als Gewinner vom Platz". Zählt man die Sondierungsgespräche mit hinzu, haben SPD, CDU und Grüne in den Wochen nach der Landtagswahl fast 50 Tage verhandelt. Zeitweise waren gut 100 Vertreter aus den drei Parteien an den Gesprächen beteiligt. "Manchmal schien es so, dass wir die Felsbrocken im Weg nicht schaffen könnten", beschrieb Stübgen die Verhandlungen. "Aber: Wir haben fertig", hatte Stübgen in einer etwas schiefen Analogie zum früheren Bayerntrainer Giovanni Trapattoni bereits zuvor gesagt.

Sowohl Grüne als auch CDU werden den Vertrag nun ihrer Parteibasis bis Mitte November zur Abstimmung vorlegen. Für die Grünen ist das Votum der Mitglieder dann bindend. Bei der CDU entscheidet abschließend ein Parteitag, ebenso bei der SPD.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4656084
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.