Brandenburg: Früher Stasi, heute Polizei:Die Elf-Sekunden-Prüfung

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Sie wurden nach der Wende nur flüchtig überprüft: Ex-Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit arbeiten noch heute bei der brandenburgischen Polizei. Pikante Note: Dienstherr ist der CDU-Hardliner Schönbohm.

Ehemalige Stasi-Mitarbeiter arbeiten auch 20 Jahre nach dem Mauerfall im Polizeidienst des Landes Brandenburg. Wie der Rundfunk Berlin-Brandenburg an diesem Mittwoch berichtete, bestätigte das Landesinnenministerium entsprechende Recherchen des Magazins Klartext.

Wie viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter noch bei der Brandenburger Polizei arbeiten, ist nicht bekannt. Sie gehören nicht dazu: Polizeianwärter des Landes Brandenburg 2006 beim Eid. (Foto: Foto: ddp)

Rund 220 ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sollen nach Überprüfung durch die Runden Tische übernommen worden sein, darunter auch ein heutiger Abteilungsleiter des Landeskriminalamtes.

Wie viele der ehemaligen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter des MfS heute noch für die Polizei des Landes tätig sind, sei nicht mitgeteilt worden. Nur in Einzelfällen sei die konkrete Tätigkeit ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums überprüft worden.

Kritik von ehemaligem Bürgerrechtler

Im Ergebnis der Personalüberprüfungen 1990 waren 242 hauptamtliche und 1238 inoffizielle Stasi-Mitarbeiter festgestellt worden. Wie viele der ehemaligen hauptamtlichen und inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter genau heute noch für die Landespolizei tätig sind, wurde laut RBB nicht mitgeteilt.

Der ehemalige Bürgerrechtler und Teilnehmer des Runden Tisches, Harry Ewert, kritisierte die Aufarbeitungspraxis der Landesregierung.

Brandenburg habe im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundesländern am schlechtesten abgeschnitten. Im Schnitt hätten den Überprüfungskommissionen je Fall nur elf Sekunden zur Bearbeitung zur Verfügung gestanden.

Dienstherr der brandenburgischen Polizisten ist seit 1999 Landesinnenminister Jörg Schönbohm (CDU), der sich als Hardliner einen Namen gemacht hat.

Zunächst wollten sich weder Schönbohm noch sein Staatssekretär zu der Causa äußern, hieß es aus dem Innenministerium in Potsdam auf Anfrage von sueddeutsche.de.

Stattdessen wurde eine Pressemitteilung verbreitet: Darin heißt es, Mitarbeiter von Ministerium und Polizei seien "mehrfach nach einheitlichen, von der damaligen Landesregierung festgelegten Verfahren und Kriterien überprüft" worden.

Stasi-Vergangenheit: 600 Polizeiangehörige aus Dienst entfernt

Soweit "neue Erkenntnisse bekannt werden, werden sie einer erneuten Einzelfallprüfung unterzogen." Rund 600 Polizeiangehörige seien wegen Stasi-Belastung aus dem Dienst entfernt worden, hieß es in der Pressemitteilung.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft warnte in diesem Zusammenhang vor einer "schweren Ansehensschädigung" der Polizei bei den Bürgern. Gewerkschaftschef Rainer Wendt forderte in der Leipziger Volkszeitung die Innenminister der Länder auf, "alle Karten auf den Tisch zu legen und zu prüfen, in welchen Fällen dienstrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind". Er gehe davon, dass dies "kein Einzelproblem Brandenburgs" sei. "Deshalb sind die politischen Führungen in allen Ländern gefordert."

Zugleich wandte sich Wendt aber "gegen einen Generalverdacht gegen alle Polizisten", die schon zu DDR-Zeiten aktiv gewesen seien. "Es geht um eine Einzelfallprüfung in allen begründeten Verdachtsfällen." Wenn allerdings in der Vergangenheit Überprüfungen, auch durch gerichtliche Urteile, erfolgt seien, müssten diese Entscheidungen weiter Bestand haben.

Der Generalsekretär der brandenburgischen CDU, Dieter Dombrowski, forderte zuvor angesichts der Erkenntnisse über die Stasi-Vergangenheit mancher Polizisten eine neue Überprüfung. Stasi-Täter hätten im öffentlichen Dienst und in Organen der Rechtspflege nicht zu suchen, betonte er.

Auch die Akte des früheren inoffiziellen Stasi-Mitarbeiters und Westberliner Polizisten Karl-Heinz Kurras war nur durch Zufall und nicht durch gezielte Recherche entdeckt worden, wie wissenschaftliche Mitarbeiter der Birthler-Behörde bestätigten.

Kurz darauf gelangten die Informationen an die Öffentlichkeit. Kurras hatte 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen.

Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, schließt personelle Konsequenzen im Fall Kurras nicht aus. "Es war nicht in Ordnung, dass die Behördenleitung nicht sofort nach dem Fund über diese wirklich aufsehenerregende Sache informiert wurde", sagte Birthler am Dienstagabend laut einer Pressemitteilung in der RBB-Sendung "Klipp & Klar".

Wer die Verantwortung dafür trägt und was die möglichen Konsequenzen seien, wollte sie aber nicht sagen und verwies auf die laufenden internen Auswertungen. Sie selbst habe erst am Nachmittag des 21. Mai davon erfahren. "Kurz danach erschien es in den Medien", fügte sie hinzu.

Birthler lehnte zugleich erneut die Übergabe der Stasi-Akten an das Bundesarchiv ab. Die Akten würden auch im Bundesarchiv nicht schneller und professioneller erschlossen. Die Bundesbehörde verwaltet etwa 112 Kilometer Akten und Millionen Karteikarten aus den Archiven der Stasi.

© sueddeutsche.de/dpaAFP/odg/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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