Landtagswahl:Brandenburg und die verpasste Ökowende

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Ein Erntehelfer pflückt auf einem Feld frische Erdbeeren. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Brandenburg könnte das Bio-Bundesland Nummer eins sein, aber die Politik hat die Entwicklung verschlafen. Die Öko-Bauern finden indes eigene Lösungen.

Von Camilla Kohrs, Brandenburg

Eigentlich ist Erntezeit. Aber an diesem Donnerstagvormittag im August steht der Biobauer Sven Geelhaar im hellblauen Hemd und frisierten Haaren vor seiner Scheune. Der Landwirtschaftsminister ist zu Besuch, begleitet von Journalisten, Ministeriumsarbeitern und Vertretern aus der Biobranche. Fotogerecht werden Hände geschüttelt, dann führt Geelhaar die Besucher einen Sandweg hinab auf eine Wiese. Dort hält der Landwirt etwas mehr als 1000 Hühner in grünen dreieckigen Bauten mit Rädern. Fünf dieser sogenannten Hühner-Mobile stehen verteilt auf der Wiese im Ortskern von Chorin, einem kleinen Ort nordöstlich von Berlin.

Geelhaar verkauft die mehr als 20 000 Eier, die seine Hühner monatlich legen, in den Städten Bernau, Eberswalde und Berlin. Weiter gehts nicht: "Die Nachfrage ist zu groß", sagt er. Eigentlich, denkt man, die perfekte Voraussetzung, um das Angebot weiter auszubauen. Doch Geelhaar zögert, er hat schon viel Geld ausgegeben. Eigentlich müssten die 40 000 Euro teuren tierfreundlichen Hühnerhäuser vom Land bezuschusst werden. Im Herbst 2017 habe er einen Antrag gestellt, sagt Geelhaar, aber bisher sei er nur vertröstet worden.

Die Brandenburger Bauern fordern Hilfe beim Zugang zum großen Berliner Markt

Eines von Geelhaars Hühnermobilen, rechts im Bild. Den Traktoranhänger nutzen die Hühner als Unterstand. (Foto: Camilla Kohrs)

Der, der ihm dabei helfen könnte, steht direkt neben ihm. Umringt von Kameras und Mikrofonen sagt der sozialdemokratische Minister Jörg Vogelsänger den Bauern: Sein Ministerium sei mit den Dürrehilfen nach dem Hitzesommer 2018 beschäftigt gewesen, aber nun seien die 72 Millionen Euro ausbezahlt. Für Geelhaar ist das zu spät. "Jetzt ist die Zeit, den Berliner Markt zu erobern", sagt er. Wenn er auf die Fördergelder warte, kämen ihm andere zuvor.

Die langsame Auszahlung der Fördergelder ist nur eines der Probleme, die Biobauern in Brandenburg haben. Es fehlt an Vertriebsstrukturen nach Berlin, an Betrieben, die die Erzeugnisse weiterverarbeiten und an einer guten Vermarktung der regionalen Marke, klagen die sie. "Es kann doch nicht sein, dass die Kartoffeln im Biomarkt aus Bayern und Baden-Württemberg kommen, aber nicht aus Brandenburg", sagt Geelhaar einige Tage später am Telefon.

Eigentlich ist es absurd: Mitten im Zentrum des Bundeslandes, das zu 45 Prozent aus landwirtschaftlicher Fläche besteht, liegt einer der größten Bio-Absatzmärkte. Gerade die Berliner Schulkantinen, die mehr und mehr auf Bio und Regional umsteigen, brauchen geschälte Kartoffeln und geschnippelte Karotten. Im vergangenen Jahr, als Berlin seine Initiative zu besserem Schulessen startete, gab es keine einzige Kartoffelschälmaschine in Brandenburg, schrieb die taz. Dabei schrieben sich SPD und Linke bereits 2014 in den Koalitionsvertrag: "Wir wollen die Spitzenstellung Brandenburgs im Ökolandbau weiter ausbauen. Um bessere Zugänge insbesondere zum Berliner Markt zu schaffen, werden wir eine Verarbeitungs- und Vermarktungsstrategie entwickeln".

Dem Minister wird vorgeworfen, nur die industrielle Landwirtschaft gefördert zu haben

Am 1. September wird in Brandenburg gewählt, und für die SPD wird die Wahl aller Wahrscheinlichkeit nach einen weiteren Tiefpunkt markieren. Ausgerechnet in dem Bundesland, das die Partei seit der Wende regiert. Folgt man den Umfragen, werden die Sozialdemokraten um die zehn Prozentpunkte verlieren. Mitte der Neunziger kam die SPD hier mal auf mehr als 50 Prozent, nun konkurriert sie mit um die 20 Prozent mit der AfD um den ersten Platz, dicht gefolgt von der CDU, den Grünen und den Linken. Und die Frage, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll, wird wohl mitentscheiden, wer in einer Koalition zusammenarbeiten wird. Die Grünen, nach aktuellen Umfragen mit guten Chancen auf eine Regierungsbeteiligung, fordern eine Kehrtwende, die Linke will, dass beim Umwelt- und Naturschutz mehr passiert, und auch die CDU will den Ökolandbau stärken. Eigentlich will das auch die SPD - ihr Landwirtschaftsminister gilt aber unter seinen Kritikern als derjenige, der in den vergangenen neun Jahren die Entwicklung verpasst und stattdessen vor allem die industrielle Landwirtschaft gefördert hat.

Kurz vor der Wahl will Vogelsänger den Eindruck revidieren: Im Mai hat sein Ministerium ein Programm verabschiedet, in dem sich das Bundesland erstmals eine Zielquote setzt: Bis 2030 soll der Flächenanteil der Ökolandwirtschaft auf 20 Prozent erhöht werden. Das sei immer von ihm gefordert worden, sagt Vogelsänger und schaut dabei auffordernd, als solle man ihm nun auf die Schulter klopfen. Aber er ärgert sich auch: Die Medien hätten kaum über das Paket berichtet. Das soll nun die Biotour richten. Doch es kommt zum berühmten Vorführeffekt: Die Biolandwirte nutzen die Chance, um sich zumindest vorsichtig zu beschweren. Die Betreiberinnen vom Milchschafhof Pimpinelle haben in ihrem Garten extra eine Pinnwand mit ihren Plänen für einen neuen Schafstall aufgestellt. "Der Bauantrag ist genehmigt, Firmen gefunden, alle Vorarbeiten erledigt", steht dort. Nun warten sie noch auf die Zusage der Fördermittel.

Landwirtschaftsminister Vogelsänger (links) und der Betreiber vom Ökodorf Brodowin, Ludolf von Maltzan, im Lager des Biobetriebs. (Foto: Camilla Kohrs)

Der Betreiber vom Ökodorf Brodowin, Ludolf von Maltzan, lobt zunächst das Maßnahmenpaket vom Mai. Da seien viele wichtige Anstöße drin. Vogelsänger nickt zufrieden. Er wünsche sich aber mehr Spielräume in der Ausbildung junger Landwirte. Denn dem Bundesland gehen die Fachkräfte aus, bis 2030 müssen laut einer landeseigenen Studie etwa 20 000 neue Arbeitskräfte anfangen. Frank Prochnow, Leiter vom Jahnsfelder Landhof, spricht den niedrigen Bio-Getreidepreis an. Es werde zu viel Getreide und zu wenig Gemüse angebaut. Er fordert, dass die Politik andere Anreize schafft. Vogelsänger steht neben den Bauern und Bäuerinnen, hört sich die Kritik an und antwortet mit Sätzen wie "Das werden wir besser machen" oder "Da bin ich auf jeden Fall gesprächsbereit".

Brandenburg gehört zu den deutschen Spitzenreitern beim Bio-Landbau

Eigentlich erzählen die Zahlen eine andere Geschichte, eine des Erfolgs: Brandenburg gehört mit zwölf Prozent Ökoanteil an der landwirtschaftlich genutzten Fläche unter den Flächenländern bundesweit zur Spitze, liegt auf Platz drei hinter dem Saarland und Hessen, gleichauf mit Baden-Württemberg, zeigen Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Fragt man den Minister nach den Meilensteinen der vergangenen Legislaturperiode für die Ökolandwirtschaft, nennt er das Wachstum. Das betrug mehr als 25 000 Hektar zwischen 2015 und 2018, steht in dem Maßnahmenprogramm vom Mai. Was jedoch nicht dabei steht: Brandenburg war mal auf Platz eins. Vor zehn Jahren, kurz bevor Vogelsänger das Amt übernahm, betrug der Ökoanteil bereits mehr als zehn Prozent.

Der hohe Anteil ist ein Stück weit historisch begründet. Bereits nach der Wende stieg die Zahl der Biobetriebe rasant an, wegen der EU-Förderungen, aber auch wegen der vielerorts sehr sandigen Böden. Die Differenz zwischen den Erträgen von Biolandbau und konventionellem Landbau ist wegen der schlechten Bodenverhältnisse in vielen Teilen Brandenburgs nicht so hoch wie anderswo. In Vogelsängers Amtszeit kam es sogar zwischendurch zu einem Rückgang - mitten im Bio-Boom. Sein Ministerium setzte die Umstellungsprämie für Biolandwirte zwischenzeitlich aus, in den Jahren 2013 bis 2015 wurden in der Folge Bio-Lebensmittel auf weniger Fläche produziert als zuvor. Ausgerechnet das Jahr 2015 nutzt das Landwirtschaftsministerium nun als Bezugspunkt für das "enorme Wachstum."

Jochen Fritz zeigt mit seinem Zeigefinger auf das Maßnahmenprogramm, auf die Zeile mit dem Bezug auf 2015: "Danach kam ja auch noch die Milchpreiskrise." Der Biobauer sitzt auf der Terrasse hinter seinem Haus in der brandenburgischen Stadt Werder an der Havel auf einer Bierbank. Auf dem Tisch stehen Kaffeetassen und ein Korb mit frisch gepflückten Stachelbeeren, ein oranger Sonnenschirm spendet Schatten. Viele Milchbetriebe seien damals auf Bio umgestiegen, um sich mit den Ökoprämien und höheren Preisen pro Liter über Wasser zu halten, sagt er. Nicht, weil die Politik viele Anreize geschaffen habe. Fritz beschäftigt sich seit Jahren mit der Thematik. Er setzt sich für eine nachhaltigere Landwirtschaft ein, organisierte Demonstrationen in Berlin und gründete vor vier Jahren einen kleinen Hof im Nebenerwerb.

Biobauer Fritz füttert seine Schafsherde. (Foto: Camilla Kohrs)

Keine zentrale Anlaufstelle für Neugründer, wenig Flächenprämie

Gemeinsam mit seiner Frau und einer befreundeten Familie betreibt Fritz den Ökohof bei Werder, etwa 50 Kilometer vom Berliner Zentrum entfernt. Neben Schafen halten sie Wasserbüffel und Hühner, haben Grünflächen und bauen die Futterpflanze Luzerne an. Die Hofbetreiber sehen darin nicht nur eine landwirtschaftliche, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe: Kinder kommen hierher, um Hühner zu füttern, zum alljährlichen Baumblütenfest in Werder öffnen sie ihren Hof, suchen den Kontakt zu der Stadtgesellschaft. Sie waren die ersten Biolandwirte in der Gegend, die direkt an Kunden verkauften, sagt Fritz.

Damals erlebte er, wie schwierig es ist, einen Hof aufzubauen. Es gibt keine zentrale Anlaufstelle für Neugründer, bei der angehende Landwirte mit Informationen zu Subventionen und Förderanträgen versorgt werden. Die Flächenprämie, die Landwirte in den ersten zwei Jahren für die Umstellung auf den ökologischen Ackerbau erhalten, ist nirgendwo geringer als in Brandenburg. Dabei sind vor allem die ersten Jahre kritisch, da die Erzeugnisse noch nicht unter dem Siegel "Bio" vertrieben werden können.

Auch aufs Land zu kommen, ist vor allem für junge Menschen, die kaum Kapital haben, schwierig. Denn das Land wird seit Jahren teurer. Weil nach der Wende die riesigen Flächen der ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) an große Unternehmen, oft aus dem Westen, verkauft wurden, entwickelte sich eine großflächige Landwirtschaft. Zunächst war das Land im Bundesvergleich günstig, weshalb auch viele große Biobetriebe entstehen konnten. Nach der Finanzkrise 2008 aber wurden die Flächen für Investoren interessanter, die große Flächen kauften und somit die Preise nach oben trieben. Nicht nur Fritz beklagt, dass die Landwirtschaft an diesen Orten ihren Bezug zur Region verloren habe.

Für Fritz stellt sich die Frage: Wie kann es vor allem jungen Menschen einfacher gemacht werden, Ökolandbau zu betreiben? Gemeinsam mit dem Landschaftsökologen Timo Kaphengst will Fritz ein Finanzierungskonzept für die Region schaffen. Regionalwert AG Berlin-Brandenburg nennt sich ihr Unternehmen, die Idee kommt aus der Region Freiburg. Privatleute können Aktien an der AG kaufen, das Geld investieren Fritz und Kaphengst wiederum in Unternehmen, die anbauen oder weiterverarbeiten. Es fehlen vor allem Schlachtereien und Betriebe, die Gemüse verarbeiten, sagt Fritz. Gerade hat sich die Regionalwert-AG Anteile an einer Dorfbrauerei in der Uckermark gesichert. "Es geht darum, junge Leute zu fördern, die sich in der Region einbringen wollen", sagt Fritz. Sie versuchen das umzusetzen, was die Europäische Union in ihrer Agrarpolitik vorsieht: Die fördert nicht nur per Direktzahlungen die bewirtschaftete Fläche, sondern sieht Landwirte auch als wichtige Akteure in der Entwicklung des ländlichen Raumes. Weil sie Arbeitsplätze schaffen, das soziale Gefüge prägen und eine wichtige Rolle beim Klimaschutz spielen.

Alle Bauernverbände hoffen auf einen politischen Wandel nach der Wahl

Derzeit stecken sie in der ersten Finanzierungsrunde, 418 000 Euro haben sie schon gesammelt. Bis Anfang September sollen noch 200 000 dazukommen. Fritz und Kaphengst sind bei weitem nicht die einzigen, die versuchen, die brandenburgische Öko-Landwirtschaft voranzubringen. Die FÖL, die Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau, engagiert sich seit fast 20 Jahren in dem Feld; der Bauernbund, der sich als christlicher und konservativer Vertreter der bäuerlichen Familienbetriebe begreift, tritt für eine Stärkung der kleineren konventionellen und ökologischen Betriebe ein. Egal, wen von ihnen man fragt: Alle hoffen auf einen politischen Wandel nach der Wahl. Auch der Landesbauernverband fordert, dass regionale Kreisläufe stärker gefördert werden. Die Politik von Minister Vogelsänger aber bewertet der Verband anders: Die Förderpolitik des Landes habe wesentlich zu dem Erfolg der Ökolandwirtschaft beigetragen.

Der Fraktionschef der Grünen, Axel Vogel, sagt, er nehme Vogelsänger seinen neuen Kurs nicht ab. "Nach Öko blinken und nach industriell abbiegen", nennt Vogel das. Er könne sich nicht vorstellen, nach der Wahl mit Vogelsänger zusammenzuarbeiten. Auch die Linke, Koalitionspartner der SPD, klagt, dass man es in den vergangenen fünf Jahren nicht hinbekommen habe, ein Leitbild für die Landwirtschaft auszuarbeiten. "Der politische Wille, der falschen Entwicklung auf dem Bodenmarkt etwas entgegenzusetzen, fehlte", sagt Anke Schwarzenberg, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Minister Vogelsänger hat andere Pläne: Selbstverständlich wolle er Minister bleiben. Das sei er ja immerhin schon seit neun Jahren. "Normalerweise halten sich Minister ja nur sechs Jahre im Amt", sagt er und fügt hinzu: "Hab' ich zumindest mal in der Zeitung gelesen."

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