Süddeutsche Zeitung

Botschaft des Umbruchs:Ostern ist überall

Der Papst hat die Osterbotschaft verkündet - selten war sie so aktuell wie in diesem Jahr. Ostern ist die Überwindung von Angst, die Befreiung aus Dumpfheit und Unterdrückung, aus dem vermeintlich Unabänderlichen: vom Aufstand in Ägypten bis zu Stuttgart 21.

Heribert Prantl

Ostern ist das älteste Fest der christlichen Geschichte, und es ist das höchste in der liturgischen Rangordnung. Ostern ist aber bei weitem nicht so populär wie Weihnachten; das hat damit zu tun, dass zwar jeder weiß, was eine Geburt ist, dass sich aber kaum einer eine Auferstehung vorstellen kann.

Das Neue Testament ist da keine Hilfe. Während dort die Geburt im Stall zu Bethlehem anschaulich und anrührend ausgemalt wird, schweigen sich alle Evangelisten über die Auferstehung des toten Gekreuzigten aus. Diese Auferstehung wird von ihnen nicht beschrieben, sondern nur angekündigt oder als vollzogen vermeldet; faktisch bleibt sie unsichtbar.

Auferstehung in Kairo

In Szene gesetzt haben die Auferstehung erst die großen Maler der Renaissance und des Barock - Grünewald, Dürer, Raffael und Rembrandt. Christus als Held, Christus als Sieger; er ist von schwerem Kampf zurückgekehrt und hebt an zum Aufstieg in den Himmel. Diesen Bildern gemäß sieht man den Auferstandenen noch heute, holzgeschnitzt, in den Kirchen. "Es war ein wunderlicher Krieg, da Tod und Leben rungen; das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen." So beschreibt das Martin Luther. Aber ein vorstellbares Osterbild ergibt sich daraus heute nicht mehr. Auferstehung als mythisch-militärisches Projekt ist unzeitgemäß, und als aviatorische Angelegenheit, als frühes Unternehmen der Luftfahrt, ist sie peinlich. Man tut sich schwer mit der Auferstehung. Und daher beherrschen die Lämmer, Hasen und gefärbten Eier die österliche Szenerie.

Dabei gibt es so viele neue, ganz andere Osterereignisse, welche die Auferstehung weltlich buchstabieren - aber gerade deswegen zeigen, was Ostern bedeutet: Aufstehen und Aufbrechen. Ostern ist ein Sich-Aufrichten aus einem Grab, das man sich nicht im Wortsinn als Grab vorstellen muss. Ostern ist die Befreiung aus Dumpfheit und Unterdrückung, aus dem vermeintlich Unabänderlichen; Ostern ist die Überwindung der Angst. Wenn man Ostern so versteht, dann ist die Welt gerade in diesem Jahr voller Ostern. Die Bilder vom Tahrir-Platz in Kairo, von den Jugendlichen in Bengasi, in Sanaa und Damaskus sind österlich. Es sind Bilder von österlicher Kraft. "Ich habe eure Jochstangen zerbrochen und euch wieder aufrecht gehen lassen", heißt es im Alten Testament, im Buch Levitikus. Jochstangen waren Instrumente der Unterdrückung, und Ostern bedeutet, dass sie zerbrochen werden, ob sie nun ein diktatorisches Regime aufgestellt oder ob man sie sich selbst errichtet hat. Ostern bedeutet Befreiung von Zwängen - denen der Welt oder den eigenen.

Ostern ist, wenn die Menschen wieder aufrecht gehen können. Das ist nicht Blasphemie, das steht so auch in der Bibel. Es wird nämlich dort derselbe Wortstamm "Auferstehung" und "Auferweckung", der das österliche Geschehen benennt, auch dann verwendet, wenn es um das Aufrichten von Kranken und Blinden geht. "Steh auf, er ruft Dich", heißt es da. Steh auf! Das Bild von der Auferstehung hat hier eine individuelle Dimension. Man muss Unsicherheit ertragen und aufstehen, um wieder zu gestalten, zu handeln, zu wagen. Und diese individuelle Dimension lässt sich ins Gesellschaftliche übertragen, wenn Menschen gemeinsam handeln - die Befreiungsbewegungen in Arabien führen uns das vor Augen. Vielleicht aber auch, und damit rückt die gesellschaftliche Dimension von Auferweckung angenehm oder unangenehm nahe, der Protest um Stuttgart 21; Auferweckung lässt sich übertragen auf die zivilgesellschaftliche Gegenwehr überhaupt, sei es gegen Atomkraft oder Datenspeicherung.

Wenn etwa aus der Energiewende eine Bewusstseinswende wird, wenn sie eine andere, verantwortungsbewusstere Art des Lebens einleitet - dann wäre sie eine Art Auferstehung, dann wäre Fukushima ein Weckruf gewesen. "Manchmal stehen wir auf/ stehen wir zur Auferstehung auf / mitten am Tage", hat Marie Luise Kaschnitz in einem Gedicht geschrieben. Sie hat die Überwindung des geistigen und zugleich alltäglichen Todes gemeint, eines Zustandes, der am Bestehenden festhält, am Status, an den gewohnten Bequemlichkeiten. Manchmal dauert es lange, bis eine solche Befreiung gelingt, bis man suchend sein Ziel erreicht. Die Israeliten, um noch einmal die Bibel zu zitieren, irrten auf ihrem Weg ins gelobte Land 40 Jahre durch die Wüste.

Es stört viele Europäer, dass gerade nach den ersten Erfolgen der Befreiungsbewegung in Afrika und einigen arabischen Staaten Menschen von dort aufbrechen; aber gehören die Bilder aus Lampedusa nicht auch zu den neuen Osterbildern? Es sind Bilder von Menschen, die alles hinter sich lassen wollen, um ein neues Leben in Europa zu beginnen. Das passt vielen Europäern nicht, sie halten das für einen unheiligen, einen heillosen Exodus, einen, der nicht im Buche steht. Sie wehren ihn ab als Bedrohung und Gefahr. Es ist vielleicht eine Zumutung, die hochriskante, oft todbringende Flucht übers Mittelmeer als österliches Ereignis zu bezeichnen. Der eine oder andere Pfarrer hat diese Flüchtlinge gar als "Botschafter" bezeichnet. Sie sind nicht Diplomaten in Schlips und Kragen, sie sind zerlumpte Botschafter der Menschenrechte. Gewiss: Auch eine solche Beschreibung ist eine Zumutung. Aber der christliche Osterglaube, also der Glaube daran, dass bei der Auferstehung bisherige Denkschemata und Gesetzlichkeiten überwunden wurden, ist ja auch eine Zumutung.

Altern als österliches Ereignis

Es gibt noch ganz andere neue Osterbilder: Die Gesellschaft hat es sich angewöhnt, über das Alter zu stöhnen - gerade so, als ob dieses nur aus Demenz und Leid bestünde. Das längere Leben ist aber auch eine kleine Auferstehung. Binnen eines Jahrhunderts haben die Menschen zwei Lebensjahrzehnte dazugewonnen; mehr Zeit zum Leben und, auch dies, mehr Zeit zum Abschiednehmen.

Das ist nicht Grund zum Jammern. Nur ist aus dem Mehrleben noch nicht der richtige Mehrwert gezogen worden. Die alte Einteilung der Lebensphasen passt nicht mehr. In der ersten Phase dominierte die Bildung, in der zweiten Beruf und Familie, in der dritten die Freizeit. Es wird zu einer Neuverteilung der Zeit zwischen den Generationen kommen müssen. Und die Alten sollten in Zukunft nicht mehr nur als Wähler in Erscheinung treten, sondern auch als Volksvertreter. Das könnte ein Beitrag zu einer besseren Politik sein. Oder, um es mit dem Untertitel eines Buches über das Alter zu sagen: Alte Menschen sind gefährlich, weil sie keine Angst vor der Zukunft mehr haben.

Sind das die falschen Osterbilder? Zurück zur klassisch-biblischen Ostergeschichte: Da gesellt sich der auferstandene Jesus zu seinen Jüngern, die ihn nicht erkennen und sich mit ihm über seine Kreuzigung unterhalten. Erst beim gemeinsamen Abendessen im Ort Emmaus gehen ihnen, wie es im Evangelium heißt, "die Augen auf". Auch das ist Ostern: Wenn einem die Augen aufgehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1088533
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.04.2011/wolf
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.