Bosnienkrieg:Radovan Karadžić - Psychologe, Dichter, Kriegsverbrecher

Er gilt als Planer des Völkermords von Srebrenica und sieht sich selbst als Poet: Radovan Karadžić. Vor dem UN-Tribunal in Den Haag wurde er wegen Völkermord schuldig gesprochen.

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Radovan Karadžić

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Der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadžić wird für die schlimmsten Massaker in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs verantwortlich gemacht. Vor dem UN-Tribunal in Den Haag war er 2016 wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Im Berufungsverfahren bekam er lebenslange Haft.

FILE PHOTO - KARADZIC FAMILY - MARCH 1991

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Radovan Karadžić wurde am 19. Juni 1945 als Sohn einer armen Familie in den Bergen Montenegros geboren. In den 60er Jahren zog er nach Sarajevo und studierte dort Medizin und Psychologie. Einen Teil seines Studiums absolvierte er in New York an der Columbia University. Nachdem er Doktor der Medizin wurde, arbeitete Karadžić zeitweise als Mannschaftsarzt des FC Sarajevo.

Mit seiner Frau Ljiljana, hier 1991 links im Bild, hat er eine Tochter Sonja und einen Sohn Aleksandr Sasa.

KARADZIC APPEARS IN  A 1994 FILE PHOTO

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1984 wird er wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder verhaftet, jedoch nach elf Monaten wegen Mangel an Beweisen wieder freigelassen. 1989 beginnt der Arzt und Hobbydichter dann seinen Weg in die Politik.

1990 wird er erster Vorsitzender der neuen Serbischen Demokratischen Partei (SDS) in der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina. Die Partei ist für einen Verbleib in der jugoslawischen Föderation, während die Bosniaken einen unabhängigen Staat anstreben und die Kroaten in Herzegowina sich in Richtung des 1991 als unabhängig ausgerufenen Staates Kroatiens orientieren. Es kommt zu Spannungen zwischen den Gruppen. Von 1990 bis 1992 ist Karadžić Parlamentspräsident der Sozialistischen Republik Bosnien-Herzegowina innerhalb Jugoslawiens.

Im Januar rufen die Serben in Bosnien die Serbische Republik Bosnien und Herzegowina (Republika Srpska) aus, die ein Teilstaat Jugoslawiens sein soll. Karadžić wird ihr Präsident. Im März 1992 erklärt allerdings Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit. Es kommt zum Bürgerkrieg zwischen den Serben der Republika Srpska und den Bosniaken und Kroaten, der bis 1995 dauert. Bis 1996 bleibt Karadžić Präsident der Serbischen Republik.

WARCRIMES-ICTY-BIO-KARADZIC-ETHNIC MAP

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In seinen Reden versucht Karadžić bereits früh das Feindbild der Osmanen, die einstigen Herrscher über Südosteuropa, auf die ebenfalls muslimischen Bosniaken zu übertragen. Er gilt als Vordenker und Visionär der serbisch-nationalistischen Idee in Bosnien-Herzegowina und strebt einen Staat Großserbien an, in dem alle Serben unter einer Führung vereint werden sollen. Die Gräueltaten während des Bosnienkrieges rechtfertigt er als ein "legitimes Mittel".

Im Bild: Karadžić zeigt Journalisten im Januar 1993 eine "ethnische Karte" von Bosnien-Herzegowina. Die Republik Srpska, deren Präsident er ist, soll allein für Serben bestimmt sein.

FORMER YUGOSLAV PRESIDENT SLOBODAN MILOSEVIC WITH FORMER BOSNIAN SERB LEADER RADOVAN KARADZIC FILE PHOTO

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Der Bosnienkrieg: Bis Dezember 1992 gelingt es den bosnischen Serben unter der Präsidentschaft Karadžićs und der militärischen Führung von Ratko Mladić sowie mit Unterstützung Serbiens unter Slobodan Milosević (links im Bild) 70 Prozent des Gebiets von Bosnien-Herzegowina zu kontrollieren und die Hauptstadt Sarajevo zu belagern. Dabei kommt es zu ethnischen Säuberungen, Vertreibung, Vergewaltigung, Folter und Mord an bosniakischen und kroatischen Zivilisten. Karadžić soll diese Verbrechen geplant und befohlen haben. Er wird, wie auch Mladić und Milosević, in Den Haag wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Für die Kläger ist erwiesen: Alle drei haben Massaker wie in Srebrenica geplant und organisiert. Milosević stirbt in der Haft 2006, bevor der Prozess gegen ihn beendet ist.

Karadzic und Mladic in Banja Luka

Quelle: Reuters

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Karadžić wird unter anderem das als Völkermord anerkannte Massaker von Srebrenica zur Last gelegt. Am 11. Juli 1995 übernehmen auf Karadžićs Befehl hin serbische Truppen unter General Ratko Mladić (l.) die UN-Schutzzone, in der sich 40 000 bosnische Flüchtlinge aufhalten. Die niederländischen Blauhelmsoldaten sehen keine Möglichkeit, die Zivilisten zu beschützen - sie werden ihrem Schicksal überlassen. Frauen und Kinder werden von den Männern getrennt und vertrieben, 8000 muslimische Jungen und Männer werden verschleppt, ermordet und verscharrt. Immer wieder wurden neue Massengräber gefunden, etwa im Dezember 2015 unter einer Müllhalde.

FILE PHOTOGRAPH OF BOSNIAN SERB LEADER RADOVAN KARADZIC WITH RUSSIAN NATIONALIST LEADER VLADIMIR ZHIRINOVSKI

Quelle: REUTERS

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Auch für die 44-monatige Belagerung der Stadt Sarajevo soll Karadžić verantwortlich gewesen sein. Während des Krieges residiert er in der Kleinstadt Pale, ein paar Kilometer außerhalb der bosnischen Hauptstadt, in der tausende Zivilisten Hunger, Granaten und Scharfschützen ausgesetzt sind. Die Belagerung Sarajevos gilt als Kriegsverbrechen. Sie kostete laut Menschenrechtsorganisationen 10 000 Zivilisten das Leben.

Im Bild: Karadžić 1994 mit dem russischen Rechtsextremisten und Duma-Abgeordneten Wladimir Schirinowski.

Fahndungsplakat für Slobodan Milosevic, Radovan Karadzic und Ratko Mladic

Quelle: DPA

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Schon am 24. Mai 1995 gibt das UN-Kriegsverbrechertribunal bekannt, gegen Karadžić und Mladić zu ermitteln. Einige Monate später, nach dem Massaker von Srebrenica, wird eine weitere Anklageschrift eingereicht und am 11. Juli 1996 erlässt das Tribunal einen internationalen Haftbefehl. Jetzt taucht Karadžić unter. 1998 setzen die USA fünf Millionen Dollar Belohnung aus für Informationen, die zur Ergreifung von Karadžić und Mladić führen. Mehr als zwölf Jahre dauert es, den wegen Kriegsverbrechen gesuchten Karadžić zu finden. Mladić wird sogar erst 2011 gefasst.

Former Bosnian Serb leader Karadzic attends party in Novi Banovci

Quelle: REUTERS

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Als Alternativmediziner Dr. Dragan David Dabic lebt Karadžić mehr als zwölf Jahre unerkannt in aller Öffentlichkeit. Er nimmt stark ab und verändert sein Aussehen. Mit gefälschten Papieren kann er ein normales bürgerliches Leben führen. So verfügt er über eine eigene Visitenkarte, E-Mail-Adresse, zwei Handynummern, hat seine eigene Arztpraxis sowie eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Belgrad.

Im Bild: Karadžić besucht eine Party in Novi Banovci unweit von Belgrad - zum Zeitpunkt der Aufnahme wurde er bereits wegen Kriegsverbrechen gesucht.

WARCRIMES-ICTY-SERBIA-BOSNIA-KARADZIC-MINIC

Quelle: AFP

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Um seiner Rolle als alternativer Heiler gerecht zu werden, hat er sich eine falsche Biografie zugelegt. Demnach hätte er in Amerika eine Ausbildung zum Heiler absolviert. Als Experte für Bioenergie gibt er Seminare und tritt öffentlich auf. Nach Darstellung des UN-Tribunals in Den Haag wird er von Helfershelfern in der serbischen Armee, Politik und Geheimdienst gedeckt. Dies ermöglicht es ihm auch, als Stammgast die Kneipe "Irrenhaus" zu besuchen, wo er stets unter seinem eigenen Konterfei gesessen haben soll. Ehemalige Patienten beschreiben ihn als "charismatisch" und "gütig".

Im Bild: Karadžić links neben einem weiteren "Experten für Bioenergie", Mina Minic, in Belgrad.

Karadzic displays a book of his brother Radovan Karadzic in Belgrade

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Schon als junger Mann bewegt sich Karadžić übrigens in der Literaturszene. Er schreibt Gedichte, Kinderbücher und komponiert Musik im Stil serbischer Volksmusik. Zwischen 1968 bis 1990 veröffentlicht er vier Gedichtbände. Auch im Untergrund schreibt er weiter.

Im Bild: Radovan Karadžićs Bruder Luka präsentiert 2004 in einem Belgrader Buchladen den Roman seines Bruders mit dem Titel "Eine wunderbare Chronik einer Nacht".

RUSSIA-BOSNIA-WARCRIMES-SERBIA-KARADZIC

Quelle: AFP

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Während er sich im Untergrund aufhält, ruft seine Frau (rechts im Bild bei einem Besuch in Russland 1994) ihn 2005 im Fernsehen dazu auf, sich den Behörden zu stellen. Sie wisse nicht, wo sich ihr Mann aufhalte. Nach Recherchen des Filmemachers Marc Wiese habe die Familie jedoch Kontakt zu ihm gehabt. Es gibt den Vorwurf, die US-Regierung habe damals aus politischen Gründen kein Interesse an seiner Festnahme gehabt, obwohl sein Aufenthaltsort bekannt war.

Karadžićs Firmen sollen während des Krieges durch Einfuhrmonopole für Zigaretten, Alkohol, Zement oder Öl riesige Verdienste abgeworfen haben, womit er sich ein Leben im Untergrund finanziert haben soll.

File photo of Bosnian Serb wartime leader Karadzic at the ICTY in The Hague

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Ab 2009 läuft der Prozess gegen Karadžić vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Er verteidigt sich hauptsächlich selbst - unterstützt von einem Team von Anwälten. Sogar die Kläger attestieren ihm, mittlerweile ein recht guter Anwalt geworden zu sein. Karadžić plädiert in allen elf Anklagepunkte auf Freispruch. Von den Vorgängen in Srebrenica will er nichts gewusst haben. Dagegen spricht die "Direktive Nr. 7" von 1995. Darin habe Karadžić die Eroberung der "UN-Schutzzone" Srebrenica befohlen und die Armee angewiesen, für die dort eingeschlossenen Muslime "eine unerträgliche Lage totaler Unsicherheit ohne Hoffnung auf weiteres Überleben" zu schaffen. Nach dem Urteil gegen ihn geht er in Berufung. 2019 fällt vor dem UN-Tribunal erneut ein Urteil.

Wegen der Verbrechen in Srebrenica wurden bereits 2013 der ehemalige bosnisch-serbische Innenminister und sein Polizeichef wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. 2017 erfolgte auch das Urteil gegen Ratko Mladić, der in wichtigen Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde. Der ehemalige General wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Supporters of Serbia's ultra-nationalist Radical Party acting leader Nikolic show pictures of Bosnian Serb fugitives Karadzic and Mladic during a final pre-election rally in Belgrade

Quelle: REUTERS

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In nationalistischen Kreisen genießt Karadžić, genau wie Mladić, hohes Ansehen. Der serbische Dichter Dragoljub Scekic soll sogar gefordert haben: "Jedes serbische Haus soll sein Versteck sein, und jeder wahre Serbe sein Verbündeter." Nach Karadžićs Festnahme kam es in Belgrad zu Ausschreitungen zwischen seinen Anhängern und der Polizei, während in Sarajevo Menschen auf den Straßen feierten.

Im Bild: Anhänger der ultra-nationalistischen Serbischen Radikalen Partei zeigen auf einer Demonstration Bilder von Karadžić und Mladić. Der Drei-Finger-Gruß war ursprünglich ein Eid auf die Bibel und die serbisch-orthodoxe Kirche, der sich aus den Aufständen gegen die Osmanen entwickelte. Durch den Krieg in Jugoslawien wurde er zum nationalen Identifikationssymbol der Serben.

© SZ.de/mcs/odg
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