Süddeutsche Zeitung

Bosnien-Herzegowina:Streit um das Genozid-Gesetz

Lesezeit: 2 Min.

Wer behauptet, das Massaker von Srebrenica sei kein Völkermord gewesen, dem droht in Bosnien-Herzegowina künftig Haft. Serbische Politiker schäumen - und stellen sich gegen den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft.

Von Tobias Zick, München

Wenn Christian Schmidt (CSU), ehemaliger deutscher Verteidigungsstaatssekretär und Landwirtschaftsminister, kommende Woche sein neues Amt antritt, wird er sich in frisch aufgewühlte Gewässer begeben. Als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft hat er künftig die Aufgabe, das hochkomplexe und brüchige Gebilde namens Bosnien-Herzegowina zusammenzuhalten und zu einem funktionierenden Staat auszubauen.

Das ganze Projekt, im Friedensvertrag von Dayton 1995 beschlossen, war in den vergangenen Jahren stark ins Stocken geraten. Der sogenannte Lenkungsausschuss des Friedensimplementierungsrates für Bosnien-Herzegowina, der den Hohen Repräsentanten bestimmt, gibt ihm zugleich auch die politische Linie vor. Und die war zuletzt zunehmend weicher geraten. Die Wortführer im Lenkungsausschuss, darunter die USA und Russland, Deutschland und die EU, hatten zuletzt auf immer weniger aktive Einmischung gesetzt. Von den "Bonner Vollmachten", die es dem Hohen Repräsentanten theoretisch erlauben, Gesetze zu erlassen und politische Amtsträger abzusetzen, hat dieser elf Jahre lang keinen Gebrauch gemacht.

Kurz vor Ende seiner Amtszeit hat Schmidts Vorgänger, der Österreicher Valentin Inzko, es nun doch getan - und damit erwartungsgemäß massiven Ärger hervorgerufen. Ende vergangener Woche erließ Inzko Kraft seiner Bonner Vollmachten ein Gesetz, das die Leugnung des Völkermordes von Srebrenica künftig unter Strafe stellt. Er sei "zutiefst besorgt", sagte Inzko, "dass namhafte Individuen und öffentliche Behörden in Bosnien-Herzegowina weiterhin bestreiten, dass während des damaligen bewaffneten Konflikts Akte des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen worden sind."

Bis zu drei Jahre Haft für die Leugnung

Die einfache Leugnung des Genozids, den das zuständige UN-Kriegsverbrechertribunal schon 2001 zweifelsfrei als solchen eingestuft hat, wird demnach mit bis zu drei Jahren Haft bestraft; handelt es sich beim Täter um einen Amtsträger, kann das Strafmaß verdoppelt werden. Auch wer verurteilten Kriegsverbrechern Ehrungen erweist, etwa indem er öffentliche Orte nach ihnen benennt, kann künftig belangt werden.

Das Gesetz ist freilich neutral formuliert, aber es lässt sich schwer verbergen, durch wessen Verhalten es zumindest inspiriert worden ist. Milorad Dodik, serbisches Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums, verbreitet seit Jahren immer wieder seine Position, dass es sich bei dem Massaker von Srebrenica, wo im Juli 1995 serbische Einheiten nahezu alle männlichen Muslime des Ortes töteten, keineswegs um einen Völkermord gehandelt habe.

Auch hat Dodik immer wieder gefordert, das Amt des Hohen Repräsentanten abzuschaffen, und mit dem Inhaber dieses Amtes hat er sich sehr persönliche Fehden geliefert; vor dem UN-Sicherheitsrat beschimpfte er Inzko im November 2020 unter anderem als "Lügner" und als "Monster". Inzko hatte in Berichten an die UN-Führung immer wieder vorgetragen, wie der Serbenführer Dodik ein friedliches Zusammenwachsen Bosnien-Herzegowinas zu einem funktionsfähigen Staat unterminiere; so hat Dodik mehrmals öffentlich über eine "friedliche Auflösung" des Landes sinniert und mit einer Vereinigung des serbischen Landesteils, der seinerzeit aus dem Krieg und den damit verbundenen ethnischen "Säuberungen" hervorgegangen ist, mit Serbien geliebäugelt.

Die Reaktion Dodiks und anderer führender serbischer Politiker auf Inzkos neues Gesetz war denn auch weitgehend abzusehen. Unmittelbar nach dessen Erlass erklärte er, der Hohe Repräsentant habe "keine Legitimität" - und brachte eine Petition auf den Weg, die er dann auch gleich als Erster unterzeichnete: Es habe kein Genozid stattgefunden, heißt es darin, und man protestiere gegen das "aufgezwungene" Gesetz.

Am Dienstag kündigte Nedeljko Čubrilović, der Sprecher des Parlaments der serbischen Teilrepublik, an, dass die politischen Vertreter des Landesteils die Arbeit der gemeinsamen staatlichen Institutionen boykottieren würden - so lange, bis das neue Gesetz widerrufen werde. Und der Vorsitzende der Serbischen Demokratischen Partei, Mirko Šarović, sekundierte: "Wir werden nie wieder irgendeine Entscheidung des Hohen Repräsentanten akzeptieren."

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