EU-Erweiterung:Um des europäischen Friedens willen

EU-Erweiterung: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Šefik Džaferović, bosniakisches Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Šefik Džaferović, bosniakisches Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina.

(Foto: Petr David Josek/AP)

Auch Bosnien-Herzegowina soll nach dem Willen der Kommission den Status eines Beitrittskandidaten erhalten - überfällig nach der Entscheidung für Ukraine und Moldau. Aber hat das Land auch bald eine realistische Chance, aufgenommen zu werden?

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Bosnien-Herzegowina soll nach dem Willen der EU-Kommission zu einem offiziellen Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union ernannt werden. Man wolle damit eine "positive Dynamik" in den Beitrittsprozess bringen, sagte der EU-Außenbeauftrage Josep Borell am Mittwoch, als die Kommission ihren "Fortschrittsbericht" vorstellte; darin wird beurteilt, wie sich die Länder entwickeln, die sich der EU anschließen wollen.

Bosnien-Herzegowina werden Erfolge bei der Umsetzung nötiger Reformen bescheinigt, aber allem Anschein nach handelt es sich bei der Empfehlung der Kommission vor allem um eine geostrategische Entscheidung - als Antwort auf den russischen Angriff auf die Ukraine. So klingen jedenfalls die Rechtfertigungen aus der Kommission.

Der Prozess der EU-Erweiterung sei "eine Langzeitinvestition in Frieden, Wohlstand und Stabilität für unseren Kontinent", sagte Borrell. Der für Erweiterungsfragen zuständige Kommissar Olivér Varhélyi ergänzte: "Die Empfehlung, den Kandidatenstatus zu gewähren, ist ein historischer Moment für die Bürger von Bosnien-Herzegowina." Er forderte die führenden Politiker des Landes auf, "das Beste aus dieser Gelegenheit zu machen." Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rechtfertigte die Entscheidung ihrer Behörde mit dem Satz: "Der westliche Balkan gehört zu unserer Familie."

Von den sechs Staaten des Westbalkan hätte, eine Zustimmung des Rates der 27 Mitgliedsstaaten vorausgesetzt, nur noch Kosovo nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten. Der fragile Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegowina würde sich damit zu Albanien, Serbien, Nordmazedonien und Montenegro gesellen. Die 27 Regierungschefs werden sich voraussichtlich im Dezember mit der Frage Bosnien-Herzegowina befassen. Eine Zustimmung werde erwartet, hieß es aus Diplomatenkreisen. Nachdem die EU der Ukraine und Moldau den Status im Eiltempo gewährt habe, könnte man ihn Bosnien-Herzegowina nicht verweigern.

Vernichtendes Urteil über die Türkei

Vor allem Österreich hatten im Zuge der Entscheidung für die Ukraine und Moldau darauf gedrungen, bei Bosnien-Herzegowina ebenfalls diesen Weg zu gehen. Dem Staat wurde bereits 2003 der EU-Beitritt in Aussicht gestellt, 2016 reichte die Regierung offiziell einen Aufnahmeantrag ein. 2019 wurde dann entschieden, dem Land erst den Kandidatenstatus zu gewähren, wenn es 14 Reformauflagen erfüllt hat. Im letzten "Fortschrittsbericht" war die EU-Kommission noch zu dem Ergebnis gekommen, es gebe nur geringe Fortschritte in dem Land. Kommissar Varhélyi betont nun, für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sei weiter entscheidend, dass die Auflagen erfüllt werden.

Vielleicht abgesehen vom Sonderfall der Ukraine hat jedoch kein Land aus dem Kreis der aktuellen Kandidaten eine realistische Perspektive, in den nächsten Jahren aufgenommen zu werden. Damit ein Land der EU beitreten kann, muss es die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen. Denen zufolge muss ein Beitrittskandidat eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung garantieren, die Menschenrechte wahren und Minderheiten schützen. Außerdem muss er dem wirtschaftlichen Wettbewerbsdruck in der EU standhalten können.

Ein vernichtendes Urteil fällt der "Fortschrittsbericht", wie im letzten Jahr, über die Türkei, mit der Beitrittsverhandlungen schon begonnen hatten. In den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sei der Negativtrend nicht umgekehrt, heißt es nun. Die Einschätzung, dass die Beitrittsverhandlungen zum Stillstand gekommen seien, gelte nach wie vor.

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