Süddeutsche Zeitung

Bosnien:Dritte Welle

Früher kamen aus den Golfstaaten Dschihadisten auf den Balkan, dann religiöse Stiftungen. Heute entdecken Touristen aus Dubai und Doha das muslimisch geprägte Bosnien. Ängste löst auch der neue Besucherstrom aus.

Von Peter Münch, Sarajevo

Am Morgen trifft man sich unter Männern im Café "Habibi", man trinkt Tee, man raucht, man redet. Wunderbar bauchige Wolken hängen am Himmel. So kühl und windig kann der Sommer sein. Das Urlaubsglück ist perfekt für Jasem Ali, der aus Kuwait nach Sarajevo gekommen ist, so wie jedes Jahr, immer für drei Monate. "Hier gibt es das beste Wetter der Welt und die Berge sind wie im Paradies", preist er. Die Freunde nicken. Oh, wie schön ist Bosnien. Jasem Ali holt aus zu einer großen Geste, zeigt auf die Häuser und Straßen ringsum und sagt: "Das ist alles schon arabisch hier."

Die Gäste vom Golf haben die Schluchten des Balkans entdeckt. Die Reichen unter den Arabern fahren natürlich immer noch nach Kitzbühel oder an die Côte d'Azur. Die Mittelklasse aber hat Bosnien als Fluchtort vor der heimischen Sommerhitze lieben gelernt. Die fünfstündigen Direktflüge von Dubai, Doha oder Kuwait City aus sind für weniger als 300 Euro zu haben, und der Visumzwang wurde längst aufgehoben. Kein Wunder, dass die Zahl der Besucher steil ansteigt: 2015 kamen 40 000 Golf-Araber nach Bosnien, 2017 waren es schon 90 000.

Sie wissen zu schätzen, dass sie in Europa sind und zugleich in einem muslimisch geprägten Umfeld. "Anderswo gibt es Probleme, aber hier ist es egal, wenn unsere Frauen verschleiert sind", sagt Jasem Ali. "In anderen Ländern darfst du auch nicht im Gras sitzen und grillen, aber hier ist das normal." Und das Wichtigste, so fügt er noch an: "Es ist billig."

Auf den Straßen und in den Medien wird intensiv über die arabischen Gäste diskutiert

Streng genommen ist dies schon die dritte Welle aus der arabischen Welt, die Bosnien erreicht. Die erste kam in den Kriegsjahren 1992-95, als die Muslime aus dem Morgenland Solidarität mit den bedrängten Glaubensbrüdern auf dem Balkan zeigten. Sie leisteten humanitäre Hilfe, sie schickten Waffen, und sie entsandten auch arabische Kämpfer zum Dschihad. Nach Kriegsende siedelten sich dann religiöse Stiftungen in Sarajevo und den muslimischen Regionen Bosniens an. Sie unterstützten den Wiederaufbau, vor allem aber den Moscheen-Bau. Das hat Befürchtungen geweckt vor einem Brückenkopf des strengen wahabitische Islam in Bosnien, wo der Glaube doch sonst traditionell sehr liberal gelebt wird.

Die Touristen mögen also angesichts der vorherigen Wellen eher unauffällig erscheinen. Doch Ängste und Abwehrreaktionen löst auch der neue Besucherstrom aus.

Auf den Straßen und in den Medien des Landes wird heftig über die arabischen Gäste diskutiert. Schrille Kommentatoren warnen vor einer schleichenden Eroberung oder vor salafistischen Umtrieben. "Ich mag keine xenophoben Gefühle", sagt Asim Mujkić, ein Soziologie-Professor an der Universität von Sarajevo. "Aber die Leute haben Angst, dass die Ressourcen dieses Landes einfach weggegeben werden."

Sorgen bereiten den Bosniern nicht die Urlaubs-, sondern die Einkaufstouren der Gäste. "Sie erwerben Land und viele Apartments", berichtet Mujkić. Er selbst habe schon Erfahrungen gemacht mit einem Vermieter, "der keine lokale Sprache sprach". Als Drahtzieher hinter dem von vielen befürchteten Ausverkauf vermutet er die regierende Partei SDA des bosnischen Präsidenten Bakir Izetbegović und andere mächtige Kreise. "Die Käufe sind verbunden mit Korruption und kriminellen Aktivitäten", glaubt er, "wir haben hier eine kleptokratische Klasse."

Tatsächlich hat sich zum Beispiel im Stadtteil Ilidža nahe am Flughafen von Sarajevo bereits eine Parallelwelt gebildet. Da stehen zum einen noch die alten Villen aus der Habsburgerzeit, die Parks mit den riesigen Bäumen und die Thermen mit dem schwefelhaltigen Heilwasser. Daneben aber gibt es ganze Straßenzüge voll mit arabischen Restaurants und Shisha-Cafés, mit Autovermietungen, die gezielt um die Gäste vom Golf werben ("Rent a Hummer"), mit Reise- und vor allem Immobilienbüros.

"Die Kunst des Bauens" lautet der Werbespruch, mit dem Fawaz Mansur zur Straße hin auf seine Immobilienagentur "Al Mubarkiya" aufmerksam macht. Vorn im Laden sitzt auf gestreiften Kissen die Kundschaft, hinten in einem kleinen Büro streicht sich der Chef aus Kuwait zufrieden über den Bauch und präsentiert die Angebotspalette. "Du kannst ein Haus für 20 000 Euro haben", sagt Mansur, "aber auch eins für eine Million."

Ausländische Privatpersonen dürfen kein Immobilieneigentum erwerben - Strohmänner helfen

Vor sechs Jahren hat er sich in Bosnien niedergelassen. Mit ein paar Einschränkungen - "die Leute lügen alle hier, aber wenigstens töten sie dich nicht" - preist er das Land und vor allem die hiesigen Geschäftsmöglichkeiten. Er bietet den Kunden das Komplettprogramm: "Firmen gründen, Land kaufen, Häuser bauen". Als Privatpersonen dürfen Ausländer nämlich in Bosnien per Gesetz kein Immobilieneigentum erwerben. Deshalb laufen die Geschäfte über Strohmänner oder über eigens gegründete Briefkastenfirmen. Das macht die Dinge kompliziert, doch für Fawaz Mansur und viele andere sichert das auch einträgliche Geschäfte. Statistisch allerdings lässt sich wegen der vielen Schleichwege nicht erfassen, wie viel Land und wie viele Wohnungen tatsächlich schon von der arabischen Kundschaft gekauft wurden. Bekannt ist aber, dass auch teure Hotels sowie zwei große Einkaufszentren in Sarajevo mit arabischem Geld gebaut wurden. Das merkt man unter anderem daran, dass es dort keinen Alkohol zu kaufen gibt. Beobachten lässt sich zudem, dass rund um Sarajevo immer neue Resort-Anlagen speziell für arabische Gäste aus dem Boden sprießen.

Eines der ersten war das "Sarajevo Resort", 25 Kilometer im Südwesten der Hauptstadt gelegen. Grüne Hügel, so weit das Auge blickt. Gebaut wurde die Anlage von einem kuwaitischen Investor, 2015 hat sie eröffnet. Kleine weiße Villen gruppieren sich um eine künstliche Seenplatte, Tretboote schaukeln auf dem Wasser, auf Bosnisch und Arabisch wird gewarnt: "Kein Trinkwasser" und "Schwimmen verboten". Auskunftsfreudig ist man hier nicht, doch immerhin ist zu erfahren, dass in jedem Sommer von Anfang Juli bis Ende September alles belegt ist bis aufs letzte der mehr als tausend Betten. Den Rest des Jahres liegt das Resort brach, mit Ausnahme einiger arabischer Gäste, die im Winter zum Skiurlaub kommen.

Im Dörfchen Osenik, das am Fuß des Ferienhügels liegt, hat man sich an die neuen Nachbarn gewöhnt. "Sie stören uns nicht, wir stören die nicht", sagt Asim Bužo, der im Schatten eine kleine Pause vom Holzhacken einlegt. Seine Frau hebt hervor, dass sie als Putzkraft dort oben viel mehr verdienen könne als sonst in der Gegend. Bužo selbst erinnert sich gern an Geschenkpakete mit Saft, Kaffee und Keksen, die zu muslimischen Feiertagen von den reichen Gästen des Resorts an die Dorfbewohner verteilt werden.

Er zeigt auf freie Felder hinter seinem Haus: "Die sind schon verkauft worden", sagt er, "da entsteht bald das nächste Resort." Früher hätten dort Serben gewohnt, erzählt er, seit dem Krieg seien sie verschwunden, und das Land sei billig zu haben. "Ich würde mein Land aber für kein Geld der Welt verkaufen", sagt er mit lauter Stimme. "Wo sollte ich denn dann auch hingehen?"

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Quelle:
SZ vom 05.07.2018
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