Bosnien:Die Hölle soll geschlossen werden

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Offiziell ist die Balkanroute geschlossen, dennoch schlagen sich Tausende Migranten durch. Das Camp Vučjak war zuvor eine Müllkippe. (Foto: Armin Durgut/imago images/Pixsell)

7000 Flüchtlinge harren in Bihać unter schlimmsten Umständen aus. Das Lager auf einer früheren Müllkippe wird zugemacht. Wohin die Menschen stattdessen sollen, weiß keiner.

Von Peter Münch, Wien

Vučjak ist die Hölle. Das sagen viele, und sie sagen es seit Langem: die Vertreter der Europäischen Union zum Beispiel, die Abgesandten der Vereinten Nationen und auch die Mitarbeiter diverser Hilfsorganisationen. Im Flüchtlingslager Vučjak, errichtet auf einer ehemaligen Müllkippe nahe der bosnischen Stadt Bihać, gibt es kein fließendes Wasser und keinen Stromanschluss. Rund 800 Flüchtlinge, junge Männer meist aus Pakistan, Afghanistan oder Syrien, sind in unbeheizten Zelten untergebracht. Krankheiten breiten sich aus, es grassiert die Krätze. Nun endlich soll das viel kritisierte Lager Vučjak geschlossen werden - doch die Not könnte dadurch noch größer werden.

Zum Einbruch des Winters bahnt sich in Bosnien eine humanitäre Katastrophe an. Schätzungsweise 7000 Flüchtlinge sind in dem Balkanstaat gestrandet, und sie sitzen dort zwischen diversen Fronten. Überlastete Gemeinden fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Serben und muslimische Bosniaken schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Kroatien versucht, sich abzuschotten. Und die Hilfe der EU für das, was sich da an ihrer Außengrenze zusammenballt, ist übersichtlich. Rund 34 Millionen Euro wurden seit 2018 für die Flüchtlingshilfe in Bosnien bereitgestellt.

Eigentlich dürfte es diese Situation gar nicht geben. Die sogenannte Balkanroute für Flüchtlinge gilt schließlich schon seit 2016 als geschlossen. Doch allen Zäunen und Kontrollen zum Trotz sind immer noch Flüchtlinge unterwegs in der Hoffnung auf ein besseres Leben im Westen. Ihr Weg führt sie von der Türkei nach Griechenland, weiter dann entweder über Bulgarien und Serbien oder Albanien, Kosovo und Serbien nach Bosnien. Dort wurden vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 2018 insgesamt 24 000 Flüchtlinge erfasst, 2019 bislang 26 000. Wenn nun von rund 7000 Gestrandeten in Bosnien die Rede ist, deutet das also darauf hin, dass die Grenzen weiter durchlässig sind.

Doch längst nicht jeder schafft es und hat das nötige Geld, um die Schlepper zu bezahlen. Zum Brennpunkt in Bosnien ist daher die 60 000-Einwohner-Stadt Bihać geworden. Sie liegt nahe an der kroatischen Grenze, über welche die Flüchtlinge weiter nach Slowenien, Österreich und Deutschland wollen oder auch nach Italien. "The Game", das Spiel, nennen die Migranten ihre Versuche, die Grenzkontrollen zu überwinden. Doch in diesem Spiel herrschen brutale Regeln. Kroatien, das in den Schengen-Raum aufgenommen werden will und sich deshalb als Verteidiger der EU-Außengrenze profilieren möchte, sieht sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, die Flüchtlinge mit äußerster Brutalität zurückzudrängen nach Bosnien.

Bihać ist dabei zur Sackgasse für viele Migranten geworden, und die dortigen Aufnahmelager waren schnell überfüllt. Viele campierten deshalb mitten in der Stadt, es kam zu Streitigkeiten, die Bevölkerung fühlte sich belästigt und belagert. Deshalb hat die Stadtverwaltung im vorigen Sommer auf eigene Faust das Lager Vučjak eröffnet und die jungen, männlichen Flüchtlinge dorthin gebracht - möglichst weit weg vom Stadtzentrum, noch näher dran an der kroatischen Grenze.

Die Zustände dort sprachen von Beginn an den internationalen gesetzten Standards Hohn, doch für die Stadt Bihać war dies eine Art Notwehrmaßnahme. Nun aber hat der bosnische Innenminister Dragan Mektić verkündet, dass Vučjak in den nächsten Tagen geschlossen werden soll. Die Flüchtlinge sollen demnach auf andere Lager verteilt werden. Die aber sind alle überfüllt. UN-Vertreter in Sarajevo hatten schon im Sommer erfolglos angemahnt, neue Einrichtungen zu schaffen.

Den Migranten aus Vučjak wird bei einer Schließung wenig anderes bleiben, als bei eisigen Temperaturen irgendwo wild zu campieren und von dort aus immer wieder den Grenzübertritt zu versuchen. Eine Meldung dazu kam jüngst aus Slowenien. Ein junger Syrer hatte sich bis dorthin durchgeschlagen - und ist im Wald erfroren.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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