Nach Parteiaustritt:Stadt Tübingen: Palmer hat sich krankgemeldet

Nach Parteiaustritt: Boris Palmer, Ex-Grüner.

Boris Palmer, Ex-Grüner.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Tübingens Oberbürgermeister will erst mal keine Auskunft geben, wie er weitermachen möchte. Die Grünen-Spitze zollt ihm Respekt für seinen Parteiaustritt - äußert aber kein Bedauern darüber.

Von Juri Auel und Max Ferstl

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich nach seinem Parteiaustritt und seiner Ankündigung, eine Auszeit zu nehmen, krankgemeldet. "Herr Palmer ist krank und steht heute nicht für Anfragen zur Verfügung", teilte eine Sprecherin der Stadtverwaltung mit. Auf die Frage, was die Auszeit genau bedeute und wie lange Palmer nicht im Dienst sein werde, teilte die Sprecherin lediglich mit: "Dazu können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskunft geben."

Palmer selbst will ebenfalls erst mal nicht sagen, wie er nach dem Eklat bei einer Frankfurter Migrationskonferenz weitermachen möchte. "Ich mache heute Auszeit und beantworte aus diesem Grund keine Fragen", sagte er in Stuttgart. Auf die Frage, ab wann er wieder ansprechbar ist, antwortete er: "Weiß ich nicht."

Palmer hatte am Montag seinen Austritt bei den Grünen erklärt. Er zog damit die Konsequenz aus einem Eklat, den er am Freitagabend in Frankfurt am Main ausgelöst hatte. Der 50-Jährige war vor einer Migrationskonferenz vor einem Gebäude der Goethe-Universität mit einer Gruppe Menschen aneinandergeraten, die ihn mit seiner Art und Weise, das "N-Wort" zu verwenden, konfrontierten. Ein Schwarzer fragte ihn dabei, ob er ihm das Wort ins Gesicht sage, worauf Palmer das umstrittene, rassistische Wort wiederholte. Er wurde daraufhin mit "Nazis raus"-Rufen unterbrochen, wie auf einem Video zu sehen ist.

Daraufhin sagte Palmer zu der Menge: "Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach." Später bei der Konferenz verteidigte er die Nennung des N-Worts.

Der Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour zollte Palmer Respekt für seinen Parteiaustritt, äußerte aber kein Bedauern darüber. "Es gab ja Gründe, warum wir viele Diskussionen alle miteinander hatten", sagte er im ZDF-"Morgenmagazin". Palmers Schritt sei "respektabel, und ich wünsche ihm ein gutes Leben".

Mit seinen Äußerungen hat Palmer heftige Kritik ausgelöst. Unter anderem der Grünen-Stadtverband Tübingen verurteilte "die wiederholte Verwendung des N-Wortes und den inakzeptablen Vergleich mit dem Judenstern". Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) bezeichnete Palmers Beiträge als "indiskutabel": "Derartige Provokationen leisten Spaltung, Ausgrenzung und Rassismus Vorschub."

Zunächst hatte Palmer am Wochenende versucht, sich und seine Äußerungen zu verteidigen. So wies er zum Beispiel in einem Facebook-Post die Schuld für den Eklat den Studierenden zu, die ihn "in aller Öffentlichkeit und ohne jeden Anlass lautstark der Nazi-Propaganda beschuldigten". Er habe ihnen erklärt, "dass mein jüdischer Großvater vor den Nazis fliehen musste und die Gräber meiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert wurden". Dies hätten die Studierenden "als belanglos" abgetan.

Am Montag dann kündigte Palmer in einer persönlichen Erklärung an, eine Auszeit nehmen zu wollen. Darin heißt es, ihm sei klar, dass es so nicht weiter gehe. Er könne seiner Familie, seinen Freunden und Unterstützern, der Tübinger Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft die wiederkehrenden Stürme der Empörung nicht mehr zumuten.

Er selbst wolle in seiner Auszeit professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: "Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht." Dass der Eindruck entstanden sei, er würde den Holocaust relativieren, "tut mir unsagbar leid". Am Abend dann verschickte der baden-württembergische Landesvorstand der Grünen die Mitteilung über Palmers Parteiaustritt.

"Da gibt es nichts mehr zu erklären"

Damit endet ein zermürbender, innerparteilicher Konflikt. Bei den Grünen ist Palmer, der einmal als große Hoffnung für höhere Aufgaben galt, seit Jahren eine hochumstrittene Figur. Es gibt erbitterte Gegner, die ihn für einen Rassisten halten. Wegen verschiedener mindestens grenzwertiger Äußerungen wollte ihn der grüne Landesvorstand im vergangenen Jahr aus der Partei ausschließen. Doch es gab lange Zeit auch Fürsprecher, die fanden, dass bei den Grünen auch für unbequeme Persönlichkeiten Platz sein müsste. Und die auf seine Erfolge als Kommunalpolitiker verwiesen. Nun, nach dem Skandal von Frankfurt, ist es einsam geworden um Palmer.

Besonders deutlich wurde das am Sonntag, als sich Rezzo Schlauch öffentlich von Palmer distanzierte. Schlauch war früher selbst für die Grünen aktiv und hat den Tübinger OB im vergangenen Jahr während des Ausschlussverfahrens als Anwalt verteidigt. Nach Palmers jüngster Entgleisung allerdings kündigte Schlauch seine Unterstützung auf, politisch und persönlich. Auch werde er Palmer nicht mehr juristisch vertreten.

Keine noch so harte Provokation rechtfertige es, so Schlauch in seiner Mitteilung, "eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen". Und: "Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen."

Mit seinem Austritt bei den Grünen kommt Palmer wohl einer erneuten Debatte um seine Mitgliedschaft zuvor, die eigentlich bis Ende des Jahres ruhen sollte. Das war der Kompromiss gewesen, auf den sich beide Seiten im Ausschlussverfahren verständigt hatten: Der Tübinger OB durfte in der Partei bleiben - aber mit vorübergehend ruhenden Mitgliedsrechten. Es war eine gesichtswahrende Lösung, sowohl für die Partei als auch für Palmer.

Und zunächst wirkte es so, als könnte die Annäherung tatsächlich gelingen. Als er im vergangenen Herbst um seine Wiederwahl als Tübinger Oberbürgermeister kämpfte, hielt sich Palmer sichtlich zurück. Er gewann, mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang. In diesen Tagen trug er stets einen blassgrünen Anzug, "ruhendes Grün", nannte Palmer die Farbe - ein Hinweis für seine ruhende Parteimitgliedschaft. Aber er signalisierte durchaus offensiv, dass er sich schon früher eine Rückkehr in die Parteifamilie vorstellen könnte. Bis Freitag schien das zumindest möglich, gerade weil die Grünen im Südwesten wenige Erfolge in den Rathäusern erzielten. Jetzt ist Palmer offiziell parteilos.

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