Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:"Partygate" weitet sich aus

In Downing Street soll es im Lockdown-Winter 2020 nicht nur eine, sondern gleich sieben Partys gegeben haben. Premier Johnson will das prüfen lassen, dabei macht ihm eine andere Untersuchung schon schwer zu schaffen.

Von Michael Neudecker, London

Boris Johnson sei die ganze Nacht wach gewesen, hieß es am Donnerstagmorgen, und zwar aus einem erfreulichen Grund. Seine Frau Carrie brachte in einem Londoner Krankenhaus das zweite gemeinsame Kind zur Welt, ein Mädchen. Baby und Mutter seien wohlauf, verkündete der Sprecher des britischen Premierministers. Soweit zu den guten Nachrichten für Boris Johnson.

Die schlechten begannen am Donnerstag zunächst mit einem Thema, das zuletzt fast in Vergessenheit geraten war. Ein Regierungskomitee veröffentlichte den Untersuchungsbericht zur Renovierung von Johnsons Apartment in Downing Street - die hatte vor mehreren Monaten Schlagzeilen gemacht, weil ein Parteispender der Tories für einen Großteil der Kosten aufgekommen war. Nun hat das Komitee befunden, das Geld sei nicht korrekt deklariert worden. Deshalb wurde die Partei der Konservativen mit einer Strafe von umgerechnet 20 000 Euro belegt.

Aber weitaus unangenehmer für Johnson ist etwas anderes. Die Ermittler fanden heraus, dass der Premier dem Spender, einem Multimillionär namens Lord Brownlow, eine Whatsapp-Nachricht geschickt hatte. Darin bat er Brownlow um Hilfe bei der Renovierung - und zwar mehrere Monate bevor er bei einer Befragung sagte, er habe nichts von alldem gewusst. Ob das Folgen für Johnson haben wird, war am Donnerstag allerdings unklar, zumal dieser Vorgang wiederum überlagert wird von dieser anderen Sache, der die britischen Medien nun einen Namen gegeben haben: "Partygate".

Seit Tagen spricht man im politischen London über die vermeintlichen Partys in Downing Street im Dezember 2020, während das Land im Lockdown war. Im Vordergrund stand bislang eine Party am 18. Dezember: "Es müssen 40 oder 50 Leute gewesen sein, es war wirklich übel", zitierte die Financial Times einen Downing-Street-Mitarbeiter.

Welches Ausmaß hat der Partygate-Skandal?

Johnson hatte die Anschuldigungen mehrfach geleugnet, ehe er sich am Mittwoch entschuldigte, er sei falsch informiert gewesen, und eine Untersuchung ankündigte. In einer Unterhausdebatte am Donnerstag gab die Regierung dann bekannt, dass der mit der Untersuchung beauftragte Kabinettssekretär auch noch zwei weitere angebliche Zusammenkünfte prüfen werde.

Allerdings berichteten britische Medien am Donnerstag, es habe in den letzten Wochen des vergangenen Jahres nicht nur die Party am 18. Dezember in Downing Street gegeben, auch nicht insgesamt drei Partys - sondern gleich sieben. Ob es sich dabei um regelwidrige Versammlungen handelte, ist jedoch unklar. Bei mindestens einer Gelegenheit soll Johnson anwesend gewesen sein und eine Rede gehalten haben.

Mitten in dieser Gemengelage gab der britische Regierungschef am Mittwochabend weitere Maßnahmen bekannt, um das Coronavirus einzudämmen. Dessen Ausbreitung wird derzeit durch die Omikron-Variante beschleunigt, und die Maßnahmen sind aus nicht-britischer Perspektive eher harmlos. In geschlossenen Räumen gilt wieder die Maskenpflicht, jeder soll möglichst wieder zu Hause arbeiten, für größere Events und Nachtclubs wird ein Impfnachweis benötigt.

Die Abgeordneten, auch die der Tories, kritisierten Johnsons Ankündigung dennoch heftig. Hatte nicht sein Stellvertreter noch tags zuvor betont, es gebe vor kommender Woche keinerlei neue Maßnahmen? Das war allerdings, bevor "Partygate" seinen Namen erhielt.

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