Großbritannien:Johnson und die Supersieben

Großbritannien: Mit Hund kommt immer gut: Großbritanniens Premier Johnson geht Gassi mit Dilyn.

Mit Hund kommt immer gut: Großbritanniens Premier Johnson geht Gassi mit Dilyn.

(Foto: Matt Dunham/AP)

Kleinlaut ist der britische Premier nicht: Für die "Queen's Speech" kündigt Johnson ein paar vage Gesetzideen als "super seven" an. Wegen gesundheitlicher Probleme der Königin muss erstmals Prinz Charles das Parlament eröffnen.

Von Michael Neudecker, London

Zu den wesentlichen Merkmalen der "Queen's Speech" gehört, dass sie von der Queen gehalten wird. Mit der Rede der Regentin wird in London die neue Parlamentssaison eröffnet, und zwar so theatralisch, wie solche Termine eben ablaufen in diesem traditionsverliebten Land. Es wird gerufen und geklopft, dann wird über den Flur des Parlaments geschritten, und irgendwann sitzt die Königin auf ihrem Thron in der Kammer des House of Lords und verliest das Programm ihrer Regierung.

So ist das jedes Jahr, und so wäre es auch an diesem Dienstag, wäre da nicht das Problem, dass sogar die Queen älter wird. Sie ist jetzt 96, in zwei Wochen feiert das Land ihr 70-jähriges Thronjubiläum. Und so teilte der Buckingham-Palast am Vorabend der Zeremonie mit, dieses Mal werde in Absprache mit ihren Ärzten ihr Sohn und Nachfolger, Kronprinz Charles, die Queen vertreten. Es wird erst das dritte Mal sein, dass Elizabeth II. diesen wichtigen Termin verpasst, nach 1959 und 1963. Boris Johnson war da noch gar nicht geboren.

Entschieden wurde erst im letzten Moment, aber schon die theoretische Möglichkeit, dass die Queen's Speech ohne Queen stattfindet, wäre normalerweise eine Eilmeldung im Königreich. Aber was ist schon normal in einem Land, in dem die Medien eine Obsession für Skandale entwickelt haben, die ihresgleichen sucht. "Beergate Tag 12" stand am Montag auf der Titelseite der Daily Mail, Triumph und Irrsinn lagen immer schon nah zusammen.

In "Beergate" geht es um Keir Starmer, den Labour-Chef und Oppositionsführer, und ein Abendessen am 30. April 2021 in Durham. Damals stand eine Nachwahl in der Region an, weshalb Starmer und sein Team örtliche Labour-Abgeordnete trafen. Der Tag war durchorganisiert, für den späten Abend waren 80 Minuten zum Essen eingeplant, es gab Curry vom Bestellservice. Fotos zeigen, dass Starmer bei der Gelegenheit ein Bier in der Hand hält, das Essen war gegen zehn Uhr abends zu Ende. Laut Covid-Regeln galten damals Ausnahmen für "Arbeitstreffen", deshalb hatte die Polizei in Durham schon vor ein paar Monaten verkündet, keine weiteren Schritte zu unternehmen.

"Beergate" um Labour-Chef Starmer kommt Johnson zupass

Nun aber, nach monatelangem "Partygate" und den von der Londoner Polizei ausgesprochenen Strafen gegen Boris Johnson und mehr als 50 Teammitglieder in Downing Street, schrieb Richard Holden, Tory-Abgeordneter für Nordwest-Durham, einen Brief. Darin forderte er die Polizei auf, noch einmal Ermittlungen gegen Starmer aufzunehmen. Schließlich sei doch recht viel gegessen worden, und anders als Starmer suggeriert hätte, sei nach Ende des Essens nicht mehr weitergearbeitet worden, nicht wahr?

Den Brief leitete Holden der Daily Mail weiter, dem Blatt, das schon oft und gerne bei Kampagnen der Tories half. Nach täglichen Titelschlagzeilen und immer mehr Fragen an die lokale Polizei wurde der Druck so groß, dass die Behörde bekannt gab, der Sache doch noch mal nachzugehen. Seitdem fordern diverse Tory-Minister Starmers sofortigen Rücktritt.

Von Nachteil für Starmer ist dabei, wie er die ganze Angelegenheit kommunikativ lange anging. Er hätte die Rechnung für das Curry (200 Pfund) und seinen Terminkalender für den Tag vorzeigen können, proaktive Transparenz killt Storys. Aber Starmer schwieg, und wenn er doch antwortete, dann widersprüchlich. Erst am späten Montagnachmittag sagte Starmer bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz, er werde zurücktreten, falls die Polizei ihn tatsächlich bestrafe. "Nicht alle Politiker sind gleich", sagte Starmer, bemüht, sich so weit wie möglich von Johnson zu distanzieren.

Die Verhältnismäßigkeit zwischen Partygate und Beergate ist in den vergangenen Tagen etwas verrutscht. Auf der einen Seite stehen Johnsons wiederholte Lockdown-Partys in Downing Street inklusive einer bereits ausgesprochenen Strafe, auf der anderen steht Starmers spätes Bestellservice-Abendessen mit Bier während eines langen Wahlkampfmeetings. Für Keir Starmer, den früheren Staatsanwalt, der sehr auf Ehrlichkeit und Anstand pocht, macht das die Sache kaum besser. Die Briten wollen keine gates mehr, sie wollen wissen, wie sie ihre steigenden Energierechnungen bezahlen sollen.

In den Lokalwahlen der vergangenen Woche verlor Johnsons Partei fast 500 Sitze in den Gemeinderäten - eine Zahl, die normalerweise zu einem Misstrauensvotum führt. So aber darf Johnson nun, während die Labour-Wähler von Meinungsforschern befragt werden, ob Starmer im Fall einer Polizeistrafe zurücktreten sollte (Tendenz ja), das tun, was er am besten kann: mit Schlagworten werfen.

In der Queen's Speech, die nun zum ersten Mal von Prinz Charles vorgetragen wird, will er sieben Gesetzesvorschläge verkünden lassen. Sie sollen zeigen, dass der EU-Austritt Großbritannien eine rosige Zukunft beschert. Wie genau die Vorschläge aussehen, ist unklar, aber es gibt schon einen Begriff dafür: Johnson nennt sie "super seven".

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